: Bekenntnis zur Lüge
APPLAUS Er ist der Regisseur der Stunde – Herbert Fritsch. Zum Theatertreffen in Berlin ist er gleich mit zwei Inszenierungen eingeladen
■ In Schwerin hat am 20. Mai die nächste Inszenierung von Herbert Fritsch, „Der Diener zweier Herren“, Premiere. Sie wird auch am 22. und 26. Mai gespielt.
VON ESTHER SLEVOGT
Das haben die Philosophen Max Horkheimer und Theodor W. Adorno schon gewusst: dass jede Sehnsucht nach Freiheit und Veränderung, die je im Theater sich artikuliert, in dem Moment verhallt und als kontemplative Täuschung entlarvt wird, wenn der Applaus beginnt. Wenn die Schauspieler sich vor dem applaudierenden (oder auch buhenden) Publikum in einem Akt der Unterwerfung verbeugen, wird der Illusion ziemlich abrupt ein Ende bereitet und der Ruf nach Veränderung in das Reich der Illusion verweisen.
In Inszenierungen von Herbert Fritsch ist das anders. Herbert Fritschs Applausordnungen sind stets höchst kunstvoll choreografierte, witzig durchdachte Aufmärsche oder Paraden, in denen sich niemals dieser schockhafte Moment einstellt, dass das Theater aus ist und die Spieler sich wieder in die Wirklichkeit zurückbegeben, aus der sie gekommen sind. Der Anspruch einer ins Radikale, oft ins Groteske verzerrten Künstlichkeit, die Behauptung einer künstlerischen Gegenwelt, welche die gesamte Theaterarbeit dieses Regisseurs kennzeichnet, wird niemals preisgegeben.
Das amüsiert oft. Zum Beispiel ist an Fritschs Inszenierung der naturalistischen gesellschaftskritischen Milieustudie „Der Biberpelz“ von Gerhart Hauptmann, die am Theater in Schwerin entstand, so gar nichts Naturalistisches mehr zu finden. Da marschieren am Ende die schrillen Spieler (Comic-Figuren ähnlicher als wirklichen), einen ohrwurmigen Shanty singend, in einer endlosen Polonäse immer wieder auf. Jedes Mal, wenn man denkt, nun sind sie wirklich weg, kommen sie von irgendwo anders wieder. Noch draußen, wenn man die Flucht vor dem blöden Lied fast schon für gelungen hält, tönt es einem immer noch höhnisch von irgendwo hinterher.
Wilderer im Biberpelz
Das ist, wie gesagt, sehr lustig, aber irgendwann auch sisyphoshaft quälend. Und es legt den Finger immer noch in die gleiche Wunde, wie Herbert Fritschs ganze Inszenierung zuvor: dass nämlich die Welt grotesk, der Mensch nur ein von den Verhältnissen übel zugerichtetes, entstelltes Monstrum und Hoffnung auf Veränderung ziemlich sinnlos ist. Weil nämlich die, die diese Veränderung ins Werk setzen müssten, sie stattdessen mit Lug und Betrug betonieren. Im vorliegenden, von Gerhart Hauptmann konstruierten Fall durch Wilderei oder das Stehlen von Biberpelzen.
Bei der Premiere während des Theatertreffens, zu der Fritsch mit gleich zwei Inszenierungen eingeladen ist, verfehlte speziell der Schluss seine Wirkung nicht. Am Ende sprang schimpfend ein Mann im Publikum auf, sprach Fritsch die Befähigung zum Regisseur ab und pöbelte etwas von „Volksverdummung“. Was vielleicht nicht weiter bemerkenswert wäre, hätte es sich bei dem Mann nicht um Claus Peymann gehandelt, der sich immer noch für einen prominenten Vertreter des politischen und zeitkritischen Theaters hält, sich an diesem Punkt aber nicht nur schockierend unkollegial, sondern auch vollkommen blind für den zutiefst politischen Kern dieser Inszenierung zeigte.
Herbert Fritsch, 1951 in Augsburg geboren, ist sechzig Jahre alt geworden in diesem Jahr, das auch das Jahr seines ganz großen Durchbruchs als Regisseur geworden ist, ein Beruf, in den der einstige Schauspielstar in Frank Castorfs Volksbühnenensemble erst vor ein paar Jahren gewechselt ist. Fritsch geht die Verhältnisse sozusagen phänomenologisch an und will sie gar nicht als „politisches Theater“ etikettieren. Das wäre sogar so ziemlich das Letzte, das diesem Theatermacher mit der anarchistisch-surrealen Fantasie in den Sinn käme, der Sinn grundsätzlich für eine totalitäre Zumutung hält, die er mit seiner terroristischen Komik bewusst unterläuft.
Im „Biberpelz“ sehen die Figuren alle aus, als hätten die Verhältnisse sie irgendwann wie ein glühender Lavastrom überrollt und zur Grimasse ihres Unterdrücktseins erstarren lassen. Nun treiben sie als Untote weiter ihr Unwesen in einer Gesellschaft, die ebenso zur Fratze erstarrt ist wie sie selbst. Auf diesem Weg hebt Herbert Fritsch auch ziemlich kongenial das Menschenbild aus den Angeln, das bürgerliche Dichter und Theatermacher sich immer so gern von den sogenannten kleinen Leuten machen, deren Elend sie für ihre Kunstzwecke ausbeuten, aber in Wahrheit nicht antasten. Weil nämlich im Theater eher für den Subventionserhalt als für eine bessere Welt gekämpft wird.
Vom Diskursterror befreit
Die albtraumhaften gesellschaftlichen Verhältnisse herrschen für Herbert Fritsch auch im deutschen Stadttheatersystem, das er seit ein paar Jahren mit seinen hyperventilierenden Inszenierungen erheblich aufmischt. Dort fühlt er sich immer auch wie ein Schauspielerbefreier, so sagt er, der die vom Sinn- und Diskursterror des Regietheaters vollkommen eingeschüchterten Ensembles durchs Spiel entfesseln und befreien will.
Es ist wirklich immer wieder erstaunlich, was Fritsch speziell vorher stets eher verhaltensunauffälligen Ensembles kleinerer Häuser von Halle bis Oberhausen an Aberwitz und spielerischer Präzision entlockt. Dabei wirken seine Inszenierungen gelegentlich wie expressionistische Fieberträume berühmter Stoffe wie Molières „Tartuffe“, den er 2008 am Theater Oberhausen inszenierte.
Aber es kann auch vorkommen, dass Fritschs Flucht vor dem Sinn eine schmerzliche Leere hinter der Oberfläche seiner virtuos komponierten Szenarien hinterlässt und man denkt: Ein bisschen Sinn, das wär’s jetzt gewesen!
In der kommenden Spielzeit wechselt Fritsch in die Bundesliga, inszeniert in Häusern wie dem Hamburger Thalia Theater („Der Raub der Sabinerinnen“) oder Karin Beiers Kölner Schauspielhaus, wo er Bert Brechts „Puntila und sein Knecht Matti“ auf den Kopf stellen wird. Mit einem Theater, das in seiner Intention dem von Bert Brecht gar nicht so unähnlich ist. Es ist ein Theater, das sich in seiner radikalen Künstlichkeit zu seinem Gemachtsein bekennt, alle Mimesis, also Versuche, der Wirklichkeit durch bloße Nachahmung etwas entgegenzusetzen, als verlogen empfindet. Die Wahrheit des Mediums Theater kann sich für Fritsch nur im Bekenntnis zur Lüge und zur Täuschung zeigen, in einem grundsätzlichen Bekenntnis zum Medium selbst, dessen Mittel er ausstellt, transparent macht und an seine Grenzen treibt.