„Die Kakophonie muss aufhören“

Seit vergangener Woche gibt es einen „Koordinierungsrat der Muslime in Deutschland“. Doch das reicht noch nicht, meint Mustafa Yoldas vom Rat der islamischen Gemeinden in Hamburg. Die Muslime müssten sich „von unten“ einigen, nur so könnten sie als Religionsgemeinschaft anerkannt werden

MUSTAFA YOLDAS, 36, bezeichnet sich als „anatolischen Hanseaten“. Der Arzt ist Vorsitzender der Schura Hamburg.

INTERVIEW: DANIEL WIESE

taz: Herr Yoldas, kaum ist der Koordinierungsrat der Muslime in Deutschland gegründet, befürchtet die SPD- Bundestagsabgeordnete Lale Akgün schlaflose Nächte, falls der Rat die Definitionsmacht über den Islam in Deutschland bekommen sollte.

Mustafa Yoldas: Ich bin Arzt. Sie kann gerne zu mir kommen, ich gebe ihr ein geeignetes Schlafmittel.

Agkün sagt, dass sich im Koordinierungsrat die konservativen Kräfte durchgesetzt haben, die meisten Muslime in Deutschland seien aber liberal.

Und wo haben diese dann ihre Moscheen?

Sie wollen sagen, liberale Muslime sind keine praktizierenden Muslime?

Ich möchte niemandem abstreiten, dass er gottesgläubig ist. Ich würde mich davor hüten, irgendjemanden auf der Welt gar als Ungläubigen zu beschimpfen. Aber wenn der deutsche Staat Vereinbarungen mit den Christen treffen will, geht er nicht zu einem Fußballverein, der von Christen frequentiert wird, sondern er geht zur Kirche. Das ist da, wo der Glauben praktiziert wird. Für die Muslime sind das die Moscheen, sie sind das schlagende Herz der Gemeinschaft. Frau Akgün kann diesen Prozess gerne unterstützen, aber sie soll bitte die Moschee im Dorf lassen.

Der Koordinierungsrat behauptet, die Mehrheit der Muslime zu vertreten. Seine Kritiker wie die Marburger Religionsforscherin …

… Ursula Spuler-Stegemann. Wir kennen unsere Pappenheimer.

Die jedenfalls redet von zehn bis 15 Prozent.

Sehen Sie, im Koordinierungsrat sind vier Dachverbände organisiert, sie repräsentieren schon vier Fünftel aller Moscheen in Deutschland. Davon ist die DITIB, die türkisch-staatlich gelenkte Organisation, die größte mit über 800 Moscheen, das ist fast ein Drittel der 2.500 Moscheen in der Bundesrepublik. Dann kommt der Islamrat mit fast 600 Moscheegemeinden. Der Islamrat ist umstritten, weil die islamische Gemeinschaft Milli Görüs als das Rückrat in diesem Dachverband drin ist. Es folgen der Verband der islamischen Kulturzentren mit zirka 300 Gemeinden und der Zentralrat als der Kleinste im Bund.

Der Milli Görüs gehören Sie doch auch an, oder?

Ja, dieser Gemeinschaft, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, gehöre ich auch an. Punkt. Danach kommt nämlich nichts mehr. Was wirft man ihr vor? Nichts, was die Verfassung aus den Fugen bringen könnte. Das sind nur Phobien und Ängste von Sicherheitsbeamten und populistischen Politikern, die ihren Job sichern wollen.

Im letzten Sommer gab es diese Geschichte mit der Hamburger Centrum-Moschee, die zu Milli Görüs gehört und in der Sie auch aktiv sind, in der anti-israelische Kinderfilme vertrieben wurden. Sie haben sich davon distanziert, aber dem Hamburger Abendblatt war das nicht entschieden genug.

Mit der Journalistin hatte ich eine persönliche Auseinandersetzung, und sie hat ihre Stellung in der Springer-Presse benutzt, um mir eins auszuwischen.

Der NDR hat dann aber ins gleiche Horn gestoßen.

Viel Feind, viel Ehr, sage ich. Diese Institutionen können mich nicht aus dem Gleichgewicht bringen. Ich arbeite an der Integration der Muslime in die deutsche Gesellschaft weiter. Es ist eine große Integrationsleistung der Schura …

des Rats der islamischen Gemeinschaften in Hamburg, dessen Vorsitzender Sie sind …

… dass wir Muslime aus Indonesien mit deutschen Konvertiten, Muslime aus Bosnien mit afrikanischen Muslimen unter ein Dach gebracht haben. Und das ist das, was Schule macht. Zwei Jahre später wurde die Schura Niedersachsen gegründet, im letzten Jahr die Schura Bremen und Schleswig-Holstein. Unsere Absicht ist, dass zumindest alle westdeutschen Bundesländer eine Schura bekommen.

Braucht man da noch einen Koordinierungsrat?

Vergangene Woche wurde überraschend bekannt, dass sich vier muslimische Dachorganisationen zum „Koordinierungsrat der Muslime in Deutschland“ zusammengeschlossen haben. Der größte ist die „Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion“ DITIB mit Sitz in Köln, die dem „Präsidium für religiöse Angelegenheiten“ in der Türkei untersteht. Außerdem sind der Islamrat, der Zentralrat der Muslime und der Verband der islamischen Kulturzentren dabei. Der Koordinierungsrat will der zentrale Ansprechpartner für die Belange der Muslime sein, den Innenminister Schäuble für seine Islamkonferenz gefordert hatte. Kritiker werfen dem Rat vor, von konservativen Kräften dominiert zu sein. Die türkische Boulevardzeitung Hürriyet berichtete, dass DITIB sich bei den Entscheidungen des Rats ein Vetorecht gesichert hat. Die Schura Hamburg ist ein Zusammenschluss von Moscheegemeinden und existiert seit 1999. WIE

Zum jetzigen Zeitpunkt ja, wenn wir realistisch sind und die Historie des Islam gut kennen. Die ideale Lösung für die muslimische Selbstorganisation wäre, die föderale Struktur der Bundesrepublik als Vorbild zu nehmen. Weil die Leute in Köln unsere Verhältnisse in Hamburg nicht hinreichend kennen können und viele Gesetze landesspezifisch sind, zum Beispiel der Religionsunterricht. Wir können uns hier für unsere Belange am besten einsetzen. Aber bei solchen Fragen wie Schächten, Kopftuch, Mohammed-Karikaturen soll nicht jedes Bundesland seine eigene Presseerklärung abgeben. Die Kakophonie unter den Muslimen muss endlich aufhören. In gesamtgesellschaftlichen und gesellschaftspolitischen Fragen soll von einer Anschrift, am besten von einem Sitz in Berlin, ein Statement abgegeben werden.

Aber die gibt es jetzt ja.

Nein, die gibt es eben noch nicht. Ein künstlicher Zusammenschluss wie der Koordinierungsrat wird vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht als Religionsgemeinschaft anerkannt werden. Dazu muss ein basisdemokratisches Prinzip existieren, bei dem jede Moscheegemeinde einen Delegierten zu einem Landesparlament schickt, und ein Bundesparlament zusammenkommt, aus dem ein Präsidium gewählt wird. So wie er jetzt ist, ist der Koordinierungsrat eine vorübergehende Einrichtung.

Sieht er das selbst auch so?

Nein, wenn Sie den DITIB-Vertreter fragen, der hat so ein bisschen eine erhabenere Position und glaubt, alle anderen Muslime mitvertreten zu können, wenn sie sich doch jetzt unter die Fittiche der türkischen Muslime begeben und sich von ihnen vertreten lassen. Das geht aber nicht. Dazu ist kaum eine andere muslimische Ethnie bereit.

Aber der Islamrat, in dem Milli Görüs drin ist, macht beim Koordinierungsrat doch auch mit.

Natürlich, wir begrüßen diese neue und aktuelle Entwicklung und unterstützen sie auch. Aber eine richtige Einheit der Muslime kann nur zu Stande kommen, wenn der Einigung von oben eine Einigung von unten folgt. Deshalb haben wir vor zwei Jahren damit angefangen, eine föderale Struktur aufzubauen, und der Islamrat und der Zentralrat sowie der Verband der islamischen Kulturzentren waren bei diesem Prozess von Anfang an dabei. Nur DITIB hat gefehlt. Wo die jetzt als größter Verband dabei sind, kommt Schwung in die ganze Geschichte.