: Das Eis, das alle glücklich macht
Seit 25 Jahren verkaufen Hortensia, Maria und Gonzalo Eis. Nicht irgendwo, sondern am Kottbusser Tor. Der Familienbetrieb südamerikanisch-italienischer Provenienz sorgt für eine eigenwillige Mischung der Kulturen – und der Geschmacksrichtungen
VON WALTRAUD SCHWAB
Auf den 40 Quadratmetern der „Bottega del Gelato“ ist ein Kommen und Gehen. Links, an einem der kleinen Tischchen, sitzen drei Italiener, trinken Espresso und reden von „ragazzi“ und „Berlino“. Rechts wartet eine grauhaarige Dame auf einen Eiskaffee. Sie wartet schon eine Weile. „La señora espera“, ruft Maria Albertina Baragan ihrem Gatten Gonzalo zu, der hinter der Theke steht. Die Señora wartet. Gonzalo ist aber gerade in eine heftige Diskussion mit der spanischen Kuchenbäckerin und der Flamencotänzerin samt ihrem musikalischen Begleiter verwickelt. Die Hände der vier fliegen beim Sprechen wild durch die Luft. Als er das opulente, mit Sahne und Schokolade verzierte Getränk bringt, meint er: „Mit Liebe braucht eben Zeit.“
Am Fenster sitzt eine ältere Frau mit Tochter und Enkelin, sie essen Eis. Die ausgeprägten Wangenknochen deuten auf altes slawischstämmiges Kreuzbergtum hin. Die Kleine schiebt die Stühle durch die Eisdiele am Kottbusser Tor. Niemand stört sich daran. Dann kommt eine argentinische Dame vorbei, um Maria Albertina zu grüßen. Die beiden kennen sich erst seit einem Monat. Bevor sie ihr Enkelkind in der nahe gelegenen Kita abholt, wollte sie „hallo“ sagen. Danach geht sie, aufrecht wie ein Baum, mit langsamem Schritt wieder von dannen. Eiliger hat es der türkischstämmige Schuster von nebenan. Im blauen Overall taucht er auf und lässt sich seine Riesenportion Eis in eine mitgebrachte Tupperdose füllen.
„25 Jahre machen wir jetzt am Kottbusser Tor Eis“, sagt Maria. „Am Kotti“, betont sie noch mal. Der Kotti ist ja nicht irgendwas. Er ist die perfekte Synthese aus Kreuzberger Elend, Kreuzberger Eigensinn und Kreuzberger Laisser-faire. Wie um das zu belegen, betont Maria: „Verstehen Sie, wir machen italienisches Eis. Richtiges italienisches Eis. Wir haben einen Orden verdient. Am Kottbusser Tor steckt unser Leben.“
Mal ehrlich: Wer würde an diesem unwirtlichen Verkehrsknoten, eingerahmt von Bausünden der 70er-Jahre, neben all den orientalischen Imbissen, Knabberläden, Männercafés und Wettbüros so etwas erwarten: eine italienisch-spanisch-südamerikanische Enklave mit echtem italienischem Eis? „Es ist das Leben meiner Mamma, das da drinsteckt“, sagt Maria. Ihre Mamma, Hortensia Zeballos, ließ sich Anfang der 80er von der Eiskette Da Dalt aus Italien an den Kotti schicken. 1982 übernahm sie die Eisdiele.
„Das war nicht einfach“, sagt Maria, „von allen Ecken der Welt ausgerechnet hier zu landen.“ Mitten in die schlimmsten Sozialprobleme und den heftigsten Berliner Aufbruch hinein. Drogen, Alkohol, besetzte Häuser, Desintegration und Anspruch auf alternatives Leben – alles gab es nebeneinander. Maria bewundert ihre Mutter. Dass sie da bestehen konnte. Einfach mit ihrem italienischen Eis. „Wir haben unsere Kultur an den Kotti gebracht. Meine Mamma hat sie dahin gebracht. Alle kennen Hortensia.“ Es klingt, als hätte sie sagen wollen: „Alle lieben Hortensia.“ Noch immer – obwohl die heute 66-Jährige nicht mehr oft zum Kottbusser Tor kommt. Es geht ihr nicht gut.
Maria, die wirklich keinen Wert darauf legt, dass man sie beim Nachnamen nennt, ist vor sieben Jahren ins Eisdielenleben der Mutter eingestiegen. Da war sie 29, Mutter von zwei Kindern, geschieden und hatte auf zwei Kontinenten, in drei Ländern und etlichen Städten gelebt. Geboren in Argentinien wie ihre Mutter – und wie sie mit italienischem Pass –, ging Maria Ende der Siebziger mit ihr und dem Stiefvater nach Italien. Die Diktatur in Argentinien, das habe nicht zu der politischen und sensiblen Hortensia gepasst. In Italien arbeitete die Mutter als Strickerin und heuerte dann bei Da Dalt an. Als sie nach Berlin ging, blieb Maria in Italien im Internat. Aber schon 13-jährig rührte sie in den Ferien am Kotti in den Eiströgen „Das ist bei uns so, dass das, was die Eltern machen, auf die Kinder übergeht.“
Natürlich hätte sich Maria ein anderes Leben vorstellen können. Als Kind hatte sie Ballettunterricht. Tänzerin wäre sie gerne geworden. „Aber das ging dann eben nicht.“ Oder Kunstschmiedin. Ihr Großvater war Kunstschmied in Argentinien. „Mein Nonno war mein Ein und Alles“, sagt sie. „Ich bin bei ihm groß geworden. Schauen Sie, ich kann gar nicht darüber reden“, sagt sie und verscheucht die Tränen. So ein Nomadenleben zwingt zu Abschieden. „Ich bin ein Familienmensch“, meint Maria.
Zuerst machte die Mutter die Eisdiele mit Marias Stiefvater. Dann trennten sich die beiden und Marias erster Mann stieg bei der Mutter ein. Damit das Geschäft in der Familie bleibt. „Da hab ich gedacht, jetzt werden Fesseln um mich gelegt“, sagt Maria. Sie selbst stieß erst dazu, als sie geschieden war. Mit ihr kam Gonzalo.
Gonzalo stammt aus Ecuador. Eigentlich wollte er nur seinen Schwager nach Berlin begleiten. Der ist längst wieder zurück, Gonzalo blieb hängen, weil er Maria kennenlernte. Von ihr hat er das Eismachen gelernt. Stolz zeigt er die Maschinen in der Küche. „Alte Maschinen. Wir holen das Eis noch mit Spatel aus den Bottichen“, sagt er und macht es vor. Dann zeigt er die Zutaten: südamerikanisches Fruchtmark, Karamell aus Argentinien, Eispulver aus Italien. Keine Eier. Ständig kreieren die beiden Neues. Orangen-Joghurt mit Orangeat muss probiert werden, Mango nach Geheimrezept, Kokos mit Schoko und „Menta son“, die Kreation zum 25-jährigen Jubiläum. Es ist eine freche Komposition aus Pfefferminz, ein wenig Mango und Zitrone. „Die Leute lieben unser Eis.“
Vielleicht lieben sie auch das Leben im Eiscafé. Als die Eisdiele am Kotti in der Silvesternacht 2002/2003 abbrannte, vermutlich weil ein frierender Junkie sich dort einen Schuss setzen wollte, zog Maria um die Ecke. In einen kleinen Laden mit Sitzplätzen, eine Küche und einem Kinderzimmer für ihre Kleinen – mittlerweile sind es drei.
Für jede Art von Heimweh gibt es hier was zu kaufen: argentinischen Mate-Tee, Wein und Pesto aus Italien, kubanisches Bier, eingelegtes Gemüse aus Spanien, dazu die riesigen Blumen vom Karneval der Kulturen und Bilder von Guerilleros, die aussehen wie, nun ja, tuntige Guerilleras. In diesem Sammelsurium sitzt die ganze Kreuzberger Mischung. Alt. Jung. Dunkel. Hell. Verliebt. Verlassen. „Unser Eis macht sie glücklich.“ Dass das stimmt, sieht man den Leuten an. Wenn sie auf das kleine Café zukommen, hellt sich ihr Gesicht auf, je näher sie der Tür sind.
Maria weiß nicht, wie ihre Mutter und sie es geschafft haben, all die Jahre am Kotti zu überleben. „Wir sind freundlich zu allen. Man muss aber klar reden und stark sein.“ Auch müsse man sich an die Kultur um einen herum anpassen.“ Die Herausforderung dabei: die eigene Identität nicht verlieren. Und man muss zur Verständigung beitragen. „Ich hab ein bisschen Türkisch gelernt“, sagt Maria. „Es gibt so viele Frauen hier, deren Welt zu eng ist.“ Wenigstens im Eiscafé sollen ihre Wünsche verstanden werden. Weil niemand Maria, Hortensia und Gonzalo für ihre multi-, trans- und metakulturelle Anpassungsfähigkeit und Ausdauer den Orden, den sie verdient haben, verleihen will, feiern sie sich nun mit einem großen Fest selbst. Mit Flamenco und Trommelmusik, mit kubanischem Tanz, mit Gesang, Musik und Essen. Maria hat das Fest absichtlich auf den Platz vor der Eisdiele verlegt. „Hier leben so viele Menschen, die kommen nie in ein Theater. Da bringen wir es eben zu ihnen.“
„Bottega del Gelato“, Adalbertstr. 96 Das Fest beginnt heute (Sa.) um 16 Uhr