: Insel der Picknickdeckenträume
Jungs, die Gefühlsteppiche ausrollen! Mädchen, die Pogo tanzen! Ein Spaziergang über die British Music Week, die am vergangenen Wochenende begonnen hat. The Ghosts waren laut und quenglig, De Rosa so schottisch wie amerikanisch
VON RENÉ HAMANN
Die British Music Week hat angefangen! Zahlreiche Bands, die früher oder später ohnehin über den Ärmelkanal geschwappt wären, geben sich eine Woche lang in der Hauptstadt die Ehre. Das hat etwas von Popkomm, von der Möglichkeit, sich einfach mal uninformiert ein paar Bands anschauen zu gehen, neue Highlights zu finden, für die Zukunft gerüstet zu sein. Die meiste, die aufregendste Musik kommt nämlich aus England – das ist merkwürdigerweise immer noch oder immer wieder so. Und möchte man sich vorstellen, wie eine deutsche Musikwoche in London aussehen könnte? Juli, die Fotos, Wir sind Helden und Nils Koppruch in kleinen Clubs an der Themse? Nicht wirklich.
Am Freitagabend lud der Karrera Klub in den muffigen Keller in der Rosenthaler Vorstadt, den Mudd Club. Vor der üblichen Indietanzsause präsentierten sich die Ghosts, fünf nicht unbedingt ansehnliche junge Männer aus London. Vor fremdem, aber durchaus aufgeschlossenen Publikum spielten sie ein solides Set aus sechs oder sieben Stücken, kurz, knackig, technisch perfekt und gut laut. Die Qualität der Songs hing merkwürdigerweise oft vom Keyboard ab, einem Instrument, dem die fünf vermutlich selbst eine eher geringe Rolle zugedacht hatten: Mal quengelte es sehr geil in einem gut schrottigen Achtzigersound herum, mal sorgte es für diesen komischen Gefühlsteppich, auf dem sich junge Menschen gerne fläzen, wenn denken zu anstrengend ist.
So wurde schnell klar, was der Geister Sache ist: tanzbare, frühlingshafte Melancholie, mit fließend verlaufenen Grenzen zu Kitsch und Pathos. Eine verträumte Musik für die verliebten Momente im Sommer, in denen man einsam auf der karierten Picknickdecke sitzt und an den Typen oder das Mädel aus dem Seminar denken muss. Was die hochgehandelten Ghosts rund um ihren gefühlsbetonten Sänger herum brauchen, ist allerdings ein Superhit, ansonsten führt an Keane kein Weg vorbei. Was schon auch tragisch ist.
Am Samstag galt es, ein Paket mit drei Bands im schicken frannz-Club mitzunehmen. Es ging äußerst pünktlich los, Pech für De Rosa, die mussten so vor einem kleinen Haufen Leute spielen. Was zu diesem Zeitpunkt niemand ahnen konnte: Musikalisch waren sie die kleinen Sieger des Abends. Sie spielten eine angenehm langsame, fast amerikanische Gitarrenmusik, sie sahen auch nicht nach zu häufigen Frisörbesuchen und zu vielen Oasis- oder Radiohead-Platten aus, sondern weitgehend normal. Liegt vielleicht daran, dass sie aus Glasgow kommen, einer Stadt, die für Qualität spricht.
Hiernach kamen SixNationState. Sie begannen mit viel Tamtam und waren fürderhin ungefähr die Zutons, nur schneller und mit Hang zum Rocksteady und dem jungen Meat Loaf als Sänger. Der Bassist spielte barfuß. Mit der Single „Everybody Wants to Be My Baby“ könnte es was werden für die fünf, auch das gut frauendominierte Publikum hatten sie schnell für sich gewonnen. Adrette junge Frauen tanzen Pogo! So etwas ist viel zu selten zu sehen. Überhaupt kommt ein Konzert, das geschmacklich in Ordnung geht und von mehr Frauen als Männern besucht ist, viel zu selten vor. SixNationState könnten da als Pioniere gelten, eine gute Tanzkapelle sind sie allemal.
Was man auch von Vincent, Vincent and the Villains sagen könnte, dem Abschluss des Abends. Eine Tanzkapelle, die knietief im Pulp-Fiction-Soundtrack watete, im Surf/Rock ’n’ Roll der frühen Sechzigerjahre also. Was an sich ja nicht schlecht ist. Bei den Vincents, vier jungen Londonern mit Kurzhaarschnitt, hätte man sich nur gewünscht, sie mögen doch bitte gleich die Originale spielen oder zumindest darüber nachdenken, ob sie nicht einen neuen Sänger brauchen.
Britanniens Zukunft war also nicht zu sehen, weder im Mudd noch im frannz. Was man sehen und hören konnte, war sehr viel Vergangenheit ohne wirklichen Anschluss an die Gegenwart; B-Versionen schon reichlich durchgehörter Acts. Wahrscheinlich werden aber noch einige Keane- und damit Coldplay-Epigonen auf die Welt losgelassen werden, gut geträumt wird immer wieder, und Romantik besteht heutzutage nicht mehr nur aus Kerzenschein, sondern auch aus Union-Jack-Badgets. Auch eine neue Runde Libertines-Lookalikes wird auch noch folgen, dazu manchmal Apartes, manchmal erschreckend Abseitiges. All das wird die Woche über in den Berliner Clubs zu sehen sein. Hingehen, anhören, sich überraschen lassen. Wer die sichere Nummer braucht, kann am Donnerstag zu den Pipettes in die Maria gehen, Knallbonbonpop, dargereicht von hübschen Frauen. Die wahre Zukunft Britanniens hat diesmal leider abgesagt – die Königin des Damen-Grimes, Lady Sovereign, ist auf der Insel geblieben.
Weitere Konzerte. Heute: Patrick Wolf im Roten Salon. Morgen: Idlewild im Lido. Mittwoch: Client im 103 Club. Donnerstag: The Aeroplanes und Kubichek im Magnet Club und The Pipettes in der Maria. Freitag: Kosheen im ColumbiaClub und Simian Mobile Disco im Magnet. Brett Anderson im Postbahnhof. Samstag: Klute im Icon. The Others, The Pigeon Detectives und The Wombats im Lido. Sonntag: Razorlight im Kesselhaus. Anfangszeiten und weitere Konzerte unter britishmusicweek.de