: „Die letzten Jahre waren bitter“
Heute geht Bremens inoffizielle Kinderbeauftragte Ilse Wehrmann in den Ruhestand. Eine Gespräch über traumatische Erfahrungen, die neue Nachdenklichkeit der CDU und fortschrittliche Konzerne
ILSE WEHRMANN, 56, jahrzehntelang Leiterin des evangelischen Kita-Landesverbandes, ist bundesweit gefragte Vorschulexpertin. Heute wird sie verabschiedet.
INTERVIEW: JAN ZIER
taz: Frau Wehrmann, Sie gehen auf eigenen Wunsch vorzeitig in den Ruhestand, heute werden Sie offiziell verabschiedet. Erwarten Sie von der Politik dabei mehr als warme Worte?
Ilse Wehrmann: Überwiegend haben wir mit den SenatorInnen und StaatsrätInnen positiv zusammen gearbeitet. Aber als ich vor 31 Jahren anfing, war Bremen bundesweit ein Vorreiter: Wir waren das erste Bundesland mit einem beitragsfreien Kindergarten. Wir waren diejenigen, die flächendeckend die integrative Erziehung von Behinderten und Nicht-Behinderten aufgebaut haben. Aber die letzten drei Jahre waren bitter.
Warum?
Da ist der Abbau von Ganztagesplätzen in sozialen Brennpunkten, die Zusammenfassung von behinderten Kindern in wohnortsfernen „Schwerpunkthäusern“. Auch die Debatte um die LaienerzieherInnen war traumatisch. Jetzt will ich für all’ das keine Verantwortung mehr tragen müssen. Dass sie die integrative Erziehung rückbaut, verzeihe ich dieser Stadt nicht.
Ihr Abschied kommt zu einem Zeitpunkt, wo Bremen vor allem durch den Fall Kevin und Kinderarmut auffällt.
Ich bin fachlich hier nicht gefragt, aber der Prophet gilt ja in seinem eigenen Land bekanntlich wenig. Woanders bin ich zur Zeit mehr gefragt. Und mein Abschied hatte ja auch gesundheitliche Gründe. Ich möchte auf keinen Fall meine fachliche Ideale aufgeben. Aber bei einer nüchternen Analyse war genau das der Fall. Jetzt werde ich Daimler Chrysler beim Aufbau von Kinderbetreuung in Deutschland beraten.
Kann man als Beraterin dort womöglich mehr erreichen als im Land Bremen?
Ich glaube, dass ich dort zumindest erreichen kann, das exemplarisch an einigen Stellen – auch am Standort Bremen – eine fortschrittliche Kleinkinderbetreuung aufgebaut wird. Das kann Vorbildfunktion haben. Ich bin erstaunt, wie dieses Unternehmen die frühkindliche Bildung zu seinem Thema macht.
Nun hat gerade die Bremer CDU die Kinder entdeckt. Ist das ein echtes Umdenken oder nur Wahlkampfgetöse?
Ich glaube nicht, dass es hier nur um Wahlkampf geht. Thomas Röwekamp ist ja selbst Vater von drei Kindern – und ich erlebe bei ihm eine gewisse Nachdenklichkeit. Bundesweit ist die CDU mit einer modernen Familienpolitik gut aufgestellt, auch wenn das für diese Partei vielleicht noch neu ist. Bei der SPD kann ich schlechter einschätzen, wie da gedacht wird. Aber wir haben kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem. Wir brauchen eine bessere Infrastruktur, andere Rahmenbedingungen. Das muss Vorrang haben vor allem anderen. Da kann selbst das beitragsfreie Kindergartenjahr vor der Schule erst einmal noch zurück stehen. Eine Erzieherin, die 20 Kinder hat, drei Dreijährige, acht bis zehn Kinder, die nicht die deutsche Sprache sprechen, dazu drei, die von Behinderung bedroht sind, die kann keinen Bildungsplan einhalten.
Was kann Bremen trotz Finanzmisere leisten?
Als erstes brauchen wir den Kindergarten für alle, nicht nur für die Berufstätigen, auch in den sozialen Brennpunkten. Bremen muss alle Kraft auf die zweite Erzieherin legen, das ist seit 20 Jahren ein Thema. Und wir brauchen mehr Ganztagesplätze, kleinere Gruppen. Mit der Personalausstattung, die wir jetzt haben, machen wir uns schuldig. Wir fokussieren uns zu sehr auf Schule, dabei gehören für mich die bestausgebildeten Leute gerade in den Kindergarten. Und wir brauchen so etwas wie Kinderbeauftragte. Aber ohne mehr Geld wird es nicht gehen.
Sie sind frisch promoviert. Ist ihre Perspektive jetzt noch die Wissenschaft?
Nein, die Arbeit an der Dissertation hatte fast einen therapeutischen Wert für mich. Ich habe aber einen Lehrauftrag an der Universität Brixen angenommen. Und ich werde weiter als Anwältin für Kinder eintreten – ob es jemand hören will oder nicht.