: Chinesische Glückskekse für Oranienburg
Brandenburg liebt großspurige Pläne: Nach der Cargo-Lifter-Halle und dem Lausitzring soll nun die erste Chinatown Deutschlands entstehen und Geld ins Land bringen. Erst mal kostet das Projekt 500 Millionen Euro. Die chinesischen Investoren sind offenbar schon da – und fordern Klarheit von der Stadt
von KONRAD LITSCHKO
Die Landebahn liegt furchig in der Abendsonne. Risse durchziehen den Beton. „Stop“ steht kyrillisch in zerbröckelndem Weiß am Ende der Piste. Hinten rauscht monoton die neue B 96. Bis 1994 starteten hier am südlichen Zipfel Oranienburgs noch russische Flieger und Hubschrauber, dann zogen die Restposten der sowjetischen Besatzer ab. Was blieb, war Verfall. Inmitten wuchernden Grases steht der alte Flughafen-Tower – nicht eine Scheibe mehr, innen aufgerissene Holzfußböden, ein einsamer, aufgeschlitzter Sessel. Draußen haben sich „Jeani“ und „Marcel“ mit krakeligem Graffiti ihre Liebe bekundet.
Hier also soll ab Herbst 2008 ein völlig anderes Bild einkehren. Hier soll Deutschlands erste China-Town erwachsen: Teehäuser, Pagoden, Kräuterläden, Heilkundezentrum, Restaurants, ein asiatischer Park, zwei mächtige Stadttore – alles umgeben von einer begrünten chinesischen Stadtmauer. 78 Hektar Gelände, knapp 500 Millionen Euro Investition. Ein gewaltiges Projekt.
2.000 hauptsächlich asiatische Verkäufer sollen Touristen ihre Produkte feilbieten, chinesische Feiertage begehen, in traditioneller Behausung wohnen. Hier, in der zukünftigen Chinatown Oranienburg, nördlich von Berlin.
„Das ist Wahnsinn“, schüttelt Bernd Jarczewski, Oranienburger SPD-Politiker, den Kopf. „Es ist immer dasselbe: Kommt ein großer Investor, sind alle Feuer und Flamme.“ Seine Kollegen sehen das weniger dramatisch: Am vergangenen Dienstagabend stimmte der Oranienburger Bauausschuss mit großer Mehrheit für das Projekt. Nun muss es am 21. Mai noch die Stadtverordnetenversammlung passieren.
Dabei sind nur zu gut noch die letzten Debakel im Land in Erinnerung: die Chipfabrik in Frankfurt (Oder), die Cargo-Lifter-Halle in Brand, der Lausitzring bei Cottbus – allesamt euphorisch angekündigte Großprojekte, die mehr oder weniger brutal floppten. Und erst im vergangenen Jahr kündigte ein Investor an, im südlich von Berlin gelegenen Sperenberg einen gigantischen Europa-Park mit 50.000 neuen Arbeitsplätzen bauen zu wollen. Steffen Kammradt, Sprecher des Wirtschaftsministeriums, will dennoch kein negatives Image sehen: „Brandenburg ist kein Land der gescheiterten Großprojekte.“ Es gebe eine Vielzahl großer Unternehmen, die erfolgreich laufen würden. Im Ministerium für Infrastruktur und Raumordnung wird das erneute Auftauchen eines spektakulären Großprojekts im Land durch die Hauptstadtnähe erklärt. „Wir sind eine Metropolenregion. Da wecken und wünschen wir uns natürlich Interesse“, so Sprecherin Petra Dribbisch.
Im Fall Oranienburg wolle man bis Ende April prüfen, ob ein Raumordnungsverfahren eröffnet werden muss, so Dribbisch. Das Ministerium könnte dann am Ende den Ausschlag geben, ob eine Chinatown in das regionale Umfeld passe. Chancen auf eine Förderung schlägt die Sprecherin aber bereits aus: Gerade für den Wohnungsbau würden nur noch Bauvorhaben in den Innenstädten subventioniert.
Stefan Kunigam, der die Chinatown ausgeheckt hat, lässt Befürchtungen auf einen Flop sowieso nicht gelten. Es sei alles privates Geld potenter chinesischer Investoren, das in das Projekt fließen würde. Konkrete Namen könne man aber erst nennen, wenn man das Grundstück in der Hand hätte. Seine vierköpfige Brandenburg-China Projekt Management (BCPM) Gesellschaft würde aber bereits „intensive Gespräche“ führen.
„Wir sind auf einem guten Weg“, frohlockt der Diplomingenieur aus Frankfurt (Oder). Der struwwelbärtige Mann spricht in einem Mordstempo. Ein „Magnet“ solle die Chinatown werden, „bis weit über die Region hinaus“, schwärmt Kunigam. Oranienburg sei dafür der ideale Standort. Überall in den Randstädten um Berlin habe man sich umgeschaut, aber nirgends einen so perfekten Verkehrsanschluss wie in der 40.000-Einwohner-Stadt vorgefunden. Wenn alles glattgeht, soll ab Herbst 2008 gebaut werden. 30 Millionen Euro soll allein die Geländeerschließung verschlingen. Man wolle Qualität bauen, eine Asien-Zauberwelt bieten, mit hochwertigem Handwerk, traditionellen Heilmitteln und Handelsartikeln – kein billiger Ramsch. Und dies alles verkauft von „echten“ Chinesen. „Wenn ich ins China-Restaurant essen gehen, will ich doch auch von einem Chinesen bedient werden“, giggelt Kunigam. Die chinesischen Angestellten, die auch in der Stadt wohnen sollen, wolle man aus der Region Berlin-Brandenburg anlocken, erklärt Kollege Michael Reiß.
Natürlich stehe es aber auch jedem anderen Interessenten frei, in die Chinatown zu ziehen. Noch sei es für solche Details aber viel zu früh. Schließlich müssen ja noch die Oranienburger Stadtverordnetenversammlung, die Landesplanungsbehörde und die Brandenburgische Bodengesellschaft, der das alte Flughafengelände gehört, ihr Okay geben. „Das sind noch eine Menge Stolpersteine, über die wir hoffentlich nicht fallen“, so der Planer Kunigam. Dabei stehen seine Chance nicht schlecht: Die Brandenburgische Bodengesellschaft (BBG) erteilte seiner Gesellschaft bereits den Vorzug vor den anderen Bewerbern und eröffnete die Verkaufsgespräche.
BBG-Projektleiterin Angela Podwitz lobt, ein schlüssiges Konzept vorgelegt bekommen zu haben. „Wir sehen das als Chance für die Liegenschaft.“ Das Vorhaben Kunigams schätzt Podwitz gegenüber der taz als „seriös“ ein. Nun gelte es, Planungsrechtliches und vor allem die Finanzierbarkeit der China-Stadt zu prüfen.
Die sucht Stefan Kunigam in China selbst. Vor Jahren wollte er mit seiner Frankfurter Ingenieurgesellschaft in China aktiv werden. Der damalige Versuch scheiterte, Kontakte seien aber geblieben. Mit der Berlinerin Zhaohui Ren habe er auch eine gebürtige Chinesin an Bord der Gesellschaft. „Die chinesischen Investoren wollen Klarheit“, fordert die zierliche Frau. „Dann soll die Stadt eben Bedingungen stellen.“
Trotz vereinzelter Bedenkenträger hat Kunigam inzwischen auch im Oranienburger Rathaus die Stadtoberen hinter sich. „Eine Bereicherung für Oranienburg“, lobt die Grüne Cornelia Berndt. „Eine Chance, die wir uns nicht entgehen lassen sollten“, der Bauausschuss-Vorsitzende Udo Semper. Und Bürgermeister Joachim Laesicke gerät gar ins Träumen: Oranienburg könne eine „Plattform zwischen China und Europa“ werden. Man könnte in der Chinatown Einwohner in Chinesisch unterrichten lassen, um sie später in den asiatischen Arbeitsmarkt zu schicken und gleichzeitig einen Teil der „gigantischen Wirtschaftskraft“ Chinas vor Ort abschöpfen. Selbst eine Verlängerung der Bahnverbindung in den neuen Stadtteil scheint plötzlich nicht mehr unmöglich. „Dann hieße die Endstation eben nicht mehr Oranienburg, sondern Chinatown Oranienburg“, so Laesicke zur taz.
Natürlich wisse man von den Luftnummern der anderen Brandenburger Kommunen mit ihren Großprojekten. Da die Stadt hier aber kein Eigenkapital beisteuern müsse, blieben die Folgen bei einem Absturz überschaubar. Laesicke geht daher davon aus, dass auch die Stadtverordnetenversammlung das Projekt absegnen wird. Die Chinatown-Kritiker werden schon mal sanft gewarnt: „Eine Ablehnung würde auch ein schlechtes Licht auf das Parlament werfen. Manche dürfen hier nicht immer gleich in der Opferrolle rutschen. Wir können das Projekt doch offensiv mitgestalten.“ Laesicke geht mit gutem Beispiel voran. Er wolle in Kürze persönlich Kontakt mit der chinesischen Botschaft aufnehmen, um auch selbst Verbindungen zu Unternehmen in Fernost zu knüpfen.
In der Botschaft der Volksrepublik hat man freilich von dem Projekt bisher nur aus der Presse erfahren, kann sich dazu nicht äußern. Ähnliches Spiel beim Berlin-Brandenburger Arbeitskreis der Deutsch-Chinesischen Wirtschaftsvereinigung. Kunigams Gesellschaft aus Frankfurt (Oder) sei ihnen nicht bekannt, versichert der Vorsitzende Kurt Görger. Gerade in Brandenburg gebe es außer kleiner Firmenkontakte nur ein sehr spärliches Netz an Wirtschaftsbeziehungen nach China. „Ich glaube nicht, dass das was wird“, so Görger.
Auch die Oranienburger Bevölkerung ist noch nicht ganz von dem neuen potentiellen Nachbarn überzeugt. Geschäftsinhaber fürchten die Konkurrenz am Stadtrand, andere mauscheln über eine Art „Getto“ durch den abgeschotteten, ummauerten Stadtgrundriss. „Die meisten Bürger hier halten das eh für ein Fantasieobjekt“, behauptet SPD-Mann Bernd Jarczewski. Und auch an den Tourismuseffekt könne er nicht glauben. „Wie viele Besucher des Heideparks Soltau haben sich denn auch die Stadt angeguckt?“
Stefan Kunigam wird dennoch nicht so schnell aufgeben. Seinen kleinen Lebenstraum lässt er sich nicht kaputt machen. Der gebürtige Sachse lebt nun schon seit dreißig Jahren in Frankfurt (Oder). China sei über die Jahre zu seiner Leidenschaft geworden. Peking habe er besucht, Schanghai auch. Es waren tolle Urlaube. Der 54-Jährige lacht: Er werde ja nicht jünger und mobiler, „da dachte ich mir – holste halt ein Stück China hierher“.