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Archiv-Artikel

„Immer mehr Einwohner verlassen die Stadt“

RUSSLAND In Angarsk lagert Uran aus Deutschland. Die Journalistin Swetlana Slobina will wissen, was damit geschieht

Swetlana Slobina

■ 35, arbeitet als Literaturredakteurin bei der Angarsker Zeitung Vremja. Swetlana Slobina engagiert sich seit 2006 bei der russischen Anti-Atomkraft-Bewegung.

INTERVIEW BERNHARD CLASEN

taz: Frau Slobina, warum sind Sie nach Deutschland und Gronau gekommen?

Swetlana Slobina: Seit 1996 liefert die Firma Urenco, die in Gronau eine Urananreicherungsanlage betreibt, abgereichertes Uran nach Russland. Die Atomwirtschaft spricht hier gern von „Wertstoff der Zukunft“. Tatsächlich will man sich hier jedoch nur des Atommülls entledigen, den keiner braucht. Ich wollte mit den Verantwortlichen hier in Deutschland reden.

Waren Sie erfolgreich?

Ein Gespräch mit Urenco kam leider nicht zustande. Ich bin enttäuscht, wir brauchen Informationen. Die Bevölkerung in meiner Heimatstadt Angarsk hat von den Transporten erst 2006 erfahren. Angarsk am Baikalsee ist einer von vier Bestimmungsorten, die anderen drei sind geschlossene Städte. Zehn Prozent des abgereicherten Urans will Urenco nach der Wiederaufbereitung zurücknehmen, doch 90 Prozent bleiben in Russland. Ende 2009 sind die Transporte aus Deutschland eingestellt worden, wahrscheinlich, weil im „Elektrochemischen Werk Angarsk“, das die Urananreicherungsanlage betreibt, kein Platz mehr war.

Wie sieht es in der Urananreicherungsanlage bei Ihnen aus?

Ich habe das Werk im April besucht. Weder die Besucher noch die Angestellten trugen Geigerzähler. Wir können also auch nicht sagen, wie groß die radioaktive Gefahr ist, die von diesem Werk ausgeht, das nur drei Kilometer von Wohnsiedlungen entfernt liegt. Ein ehemaliger Mitarbeiter hat berichtet, dass pro Jahr 100 bis 150 Fässer von abgereichertem Uran, das unter offenem Himmel lagert, rissig würden. Diese Risse würden jedoch schnell wieder verschweißt. Wir hatten keinen Zugang zum Lager und können die Menge nur über Satellitenfotos aus dem Internet schätzen. Darauf ist zu erkennen: Diese Lagerstätte ist größer als das restliche Betriebsgelände.

Wie steht die Bevölkerung zu dem Atommüll?

Zunächst hatte die Anti-Atom-Bewegung in Angarsk nicht viele Unterstützer. Zwar galt die Arbeit im Kombinat immer als gefährlich, sie war aber mit einem gewissen Prestige und sozialen Garantien für die Arbeiter verbunden: Das Werk hatte eigene Kindergärten, gutes und billiges Essen in der Kantine, einen Fitnessclub, billige Wohnungen, Ferienlager, eine Poliklinik und so weiter. Doch seit der Umwandlung des Kombinats in eine Aktiengesellschaft 2008 zählt nur noch der Profit. Was nicht profitabel ist, wurde abgewickelt, es werden zahlreiche Arbeiter entlassen. Es gibt heute keine sozialen Angebote und Vergünstigungen mehr für die Arbeiter des Kombinats. Die Bewohner der Stadt haben immer mehr den Verdacht, dass das Kombinat bald nur noch Müllhalde für Atommüll sein wird. Immer mehr Einwohner verlassen die Stadt. In den letzten acht Jahren ist die Bevölkerung um 13.000 Personen gesunken.

Wie ist es um die Gesundheit der Bevölkerung bestellt?

Die Rate der Krebserkrankungen in unserer Stadt ist ein Geheimnis, auch die genaue Menge abgereicherten Urans. In vielen Krankenberichten meidet man das Wort „Krebs“, schreibt liebt „Herzinfarkt“ oder „Niereninsuffizienz“. Inzwischen wurde bekannt, dass die Krebsrate bei uns mit 0,5 Prozent mehr als doppelt so hoch ist wie in Irkutsk in 46 Kilometer Entfernung.

Was fordern Sie von Urenco? Die deutsche Atomwirtschaft, insbesondere Urenco, behauptet immer wieder, das nach Russland geschickte abgereicherte Uran sei Wertstoff und nicht Müll. Ich habe im April den Generaldirektor des Elektrochemischen Werkes Angarsk, Alexander Belousow gefragt, ob er das Uran wieder nach Deutschland zurückschicken würde. Seine Antwort war Ja. Deshalb will ich von Urenco wissen, ob sie bereit ist, das in Angarsk gelagerte abgereicherte Uran zurückzunehmen. Aus der Antwort wäre schnell ersichtlich, ob es sich um Wertstoff handelt oder um Atommüll, den niemand haben will.