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Archiv-Artikel

Rüttgers am Nebelbuffet

Jürgen Rüttgers: „Die Gewerkschaften haben es in diesen Zeiten auch nicht gerade leicht“

von PASCAL BEUCKER

Da soll mal keiner behaupten, die schwarz-gelbe Landesregierung hätte keinen Sinn für Inszenierung: Pompös dröhnte „Also sprach Zarathustra“ von Richard Strauss aus den Boxen. Rauchschwaden aus der Nebelmaschine stiegen auf. Dann öffnete sich ganz langsam das Tor in der früheren Fabrikhalle in Köln. Mit glücklichen Mienen schritten die mehreren hundert geladenen Gäste ins Freie – zum vorbereiteten Buffet. Schon zuvor hatte sich Jürgen Rüttgers generös gezeigt. Er habe „keine Probleme damit“, dass ihn bei seinem Eintreffen auf dem Veranstaltungsgelände ein paar Demonstranten mit Transparenten und Trillerpfeifen begrüßt hätten, verkündete der christdemokratische Ministerpräsident mit geradezu aufreizender Gelassenheit. Das sei schließlich „ihr gutes Recht“. Und außerdem: „Die Gewerkschaften haben es in diesen Zeiten auch nicht leicht.“

Die Reaktion des Publikums auf den gleich zwei Mal von Rüttgers gesagten Satz: beifälliges Nicken. Aber das Auditorium wusste ja auch ganz genau, wovon Rüttgers sprach. Denn immerhin hatten sich ja hier die Repräsentanten jener von ihm bemitleideten Gewerkschaften versammelt.

Anlässlich des bevorstehenden 1. Mai hatte Rüttgers die nordrhein-westfälische Vorhut der Arbeiterklasse am Dienstag Abend zum Empfang nach Köln geladen. Zur Unterstützung hatte er sich auch noch seinen freidemokratischen Stellvertreter Andreas Pinkwart sowie Arbeitsminister Franz-Josef Laumann und Wirtschaftsministerin Christa Thoben mitgebracht. Zur kulturellen Erbauung hatte die Regierung die Sänger Jem Brent und Marion Wilmer engagiert, die diverse Songs quer durch die Musicalwelt von Evita bis zur Westsidestory vortrugen. Auch die Landtagsopposition folgte der Einladung – wenn auch nur die kleinere: Während prominente Sozialdemokraten nicht zu sichten waren, erschienen die Grünen mit Fraktionschefin Sylvia Löhrmann und Parteichef Arndt Klocke.

Für die von ihren sozialdemokratischen Vorgängern übernommene Traditionsveranstaltung zum Tag der Arbeit hatte sich die schwarz-gelbe Landesregierung dieses Jahr einen ganz besonderen Ort ausgesucht: die „Halle Tor 2“ im Kölner Industriepark Müngersdorf. „Dort wo früher die Arbeiter schuften und schwitzen mussten, schwitzen Nachtschwärmer heute freiwillig“, heißt es in der Werbung für die ehemalige Fabrikhalle aus den 1950er Jahren, aus der mittlerweile ein hochmodernes Kommunikations- und Veranstaltungszentrum geworden ist. Anders als ihre vor der Tür so lautstark demonstrierte rund 150-köpfige Basis, gaben sich die versammelten Gewerkschaftsfunktionäre im Saal wohltemperiert.

„Es wäre der Harmonie zu viel, zu sagen, zwischen uns passt kein Löschblatt“, betonte zwar der nordrhein-westfälische DGB-Landesvorsitzende Guntram Schneider. Gleichwohl übte er sich in der Betonung von Gemeinsamkeiten und warb für den sozialpartnerschaftlichen „rheinischen Kapitalismus“. So hätten die Gewerkschaften beispielsweise den Vorstoß von Rüttgers zur Verlängerung des Arbeitslosengelds I für ältere Erwerbslose „nachdrücklich unterstützt“.

Dem „Laumann-Müntefering-Modell“ zum Kombilohn bescheinigte Schneider einen „gewissen sozialpolitischen Charme“. Es sollte daher ausprobiert werden. Nach seiner Auffassung stünde ein solches Modell auch nicht konträr zur vom DGB geforderten Einführung von Mindestlöhnen.

Insgesamt im Ton moderat, sparte Schneider allerdings durchaus nicht mit Kritik sowohl an der schwarz-gelben Landes- als auch an der schwarz-roten Bundesregierung. So bezeichnete er die Rente mit 67 als „große sozialpolitische Fehlleistung“. Die Landesregierung kritisierte er vor allem wegen des von ihr auf den Weg gebrachten neuen Landespersonalvertretungsgesetzes. Die Regierung kündige damit den „historischen Kompromiss“ der Mitbestimmung auf. Die Gewerkschaften würden jedoch eine „Zerschlagung der Mitbestimmungsrechte in personellen Angelegenheiten“ nicht hinnehmen und auch nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, wenn der jetzt von der Regierung beschlossene Entwurf tatsächlich Gesetz werde. „Wir wollen nicht mehr, als uns zusteht“, sagte Schneider unter Beifall.

Nachdrücklich sprach er sich darüber hinaus gegen die von Christdemokraten und Liberalen eingeführten Studiengebühren aus, die „jetzt schon negative Wirkung“ zeigten. Der DGB fordere demgegenüber, dass das gesamte Bildungssystem von der Kinderkrippe bis zur Hochschule kostenfrei in Anspruch genommen werden kann.

Auf die kritischen Töne Schneiders reagierte Rüttgers großmütig gelassen. Er freue sich über die zurückhaltende Wortwahl Schneiders, „die keine Brücken abbricht“. Auch ansonsten gab sich der selbst ernannte „Vorsitzende der Arbeiterpartei in NRW“ alle Mühe, Missstimmungen zu vermeiden. So begann er seinen Vortrag gleich mit dem Bekenntnis, „auch persönlich“ sei er ein „Anhänger der Einheitsgewerkschaft“. Dann betonte er, für wie wichtig er den 1. Mai als Feiertag halte und wie die immer wiederkehrenden Diskussionen über seine Abschaffung bei ihm „große Entrüstung“ auslösten.

Weiter brach Rüttgers eine Lanze für einen „solidarischen Sozialstaat“ und sprach sich gegen „angelsächsische Wirtschaftsmodelle“ aus, die „uns aufgedrängt“ würden. Auch in der CDU hätten ja manche „eine andere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung präferiert“, kritisierte er seine eigenen Parteifreunde. Zum Ende hin betonte Rüttgers noch, dass Nordrhein-Westfalen „das soziale Gewissen Deutschlands“ bleiben werde.

Immer wieder bedachten die gewerkschaftlichen Zuhörer Rüttgers mit freundlichem Beifall. Einzige Ausnahme: Nur als er auf das gescholtene Personalvertretungsgesetz zu sprechen kam, dessen Entwurf das Kabinett erst am Vormittag beschlossen hatte, schallten ihm dann doch noch vereinzelte Buhrufe und Pfiffe der Gewerkschafter entgegen. Aber die Gemüter beruhigten sich schnell wieder.

So konnte Jürgen Rüttgers kumpelhaft seine Rede mit den Worten beschließen: „Jetzt wird es Zeit, einen miteinander zu trinken.“ Eine Aufforderung, die sich die in Köln versammelten Gewerkschafter nicht zwei Mal sagen ließen. Schließlich ist der Kampftag der Arbeiterklasse ja auch erst am Dienstag.