: Die Zukunft der Theaterlandschaft
KULTURSALON Einigkeit mündet nicht gleich in eine gemeinsame Strategie. Ihren Einsatz für die Diversität des Theaters konnten die sechs von Alice Ströver eingeladenen Intendanten allerdings jederzeit glaubhaft machen
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
Sieben rote Sessel vor einem roten Vorhang – das ist das vertraute Setting des Kultursalons, in den Alice Ströver seit 1994 einlädt. Der 62. Kultursalon war die vorletzte Runde, denn mit der Wahl im September legt Alice Ströver ihr Amt als kulturpolitische Sprecherin der Grünen nieder und kandidiert nicht mehr. Aber von diesem Abschied war nicht die Rede, als sie mit drei Intendantinnen kleiner Berliner Theater und drei Intendanten großer Häuser einen Blick auf die Zukunft der Theaterlandschaft in Berlin werfen wollte: Große Fragen standen auf dem Programm, etwa nach den Förderstrukturen, die eine größtmögliche Vielfalt der darstellenden Künste garantieren können, oder auch nach den Orten, an denen Theater stattfindet.
Zum Beispiel Neukölln, da arbeitet als Theater vor Ort nur der Heimathafen, ohne Subventionen für sein Haus, nur mit Projektmitteln. Für den Heimathafen saß Nicole Oder, Autorin und Regisseurin, auf dem Podium; ihre Inszenierung von „Arab Queen“ wird zurzeit fast ebenso oft wie „Verrücktes Blut“ aus dem Ballhaus Naunynstraße eingeladen, wenn es um Fragen der Identität der Einwanderungsgesellschaft geht. In Neukölln ist aber auch das Gorki-Theater gerade unterwegs, wie dessen Intendant Armin Petras erzählte, in einem Straßentheaterprojekt gemeinsam mit der Rütli-Schule.
Ströver hätte an diesem Abend, der „Diversity in der Berliner Theaterlandschaft“ überschrieben war, gern ein Bündnis begründet zwischen den großen Institutionen – wie dem Deutschen Theater und dem Gorki – und den jungen Initiativen wie dem Heimathafen. Sie wollte zu einer gemeinsamen Strategie anregen, mehr auf das Publikum zuzugehen, mehr Verantwortung für die Stadt zu übernehmen, um so zu einem Baustein des demokratischen Gefüges zu werden, den zu schützen jedem Politiker, nicht nur dem Kulturpolitiker, einleuchten muss. Aber der Schubs in diese Richtung funktionierte nicht, die TheatermacherInnen begannen vielmehr fleißig aufzuzählen, was sie denn jetzt schon alles tun, um mehr Zugänge zum Theater für die unterschiedlichsten Milieus zu schaffen.
Armin Petras, der seit fünf Jahren am Gorki-Theater einerseits thematisch viele Momente der preußischen und der Berliner Geschichte bearbeitet hat, hat es mit einer fleißigen theaterpädagogischen Abteilung andererseits auch geschafft, ein viel jüngeres Publikum als zuvor zu gewinnen. Ob ihn das aber glücklich mache, fragte er sich selbst zweifelnd. Und er seufzte über diese Anstrengung: „Die Suche, mit wem man noch operieren kann, um das Theater zu öffnen, zieht auch viel Energie ab, die für die Kunst selbst dann fehlt.“
Sehr gut verstand ihn in dieser Hinsicht Gerlinde Altenmüller, die Leiterin des Thikwa-Theaters in Kreuzberg, das seit zwanzig Jahren Theater mit gehandicapten und anderen Schauspielern macht, oft experimentell, manchmal sehr romantisch, manchmal auch etwas konventionell. Ihr guter Ruf als modellhaftes Projekt mit schillernder Kreativität hilft ihnen wenig, wenn es um die Finanzierung geht; wie oft sie sich aufgerieben fühlt zwischen den Senatsstellen für Kultur und Soziales, kann sie kaum noch erzählen und wünscht sich nichts mehr, als endlich ganz in der Kultur ankommen zu dürfen.
Das Thikwa-Theater, das Ballhaus Naunynstraße, für das Shermin Langhoff gekommen war, das Grips Theater, vertreten von Stefan Fischer-Fels, der Volker Ludwig im Leitungskollektiv ablöst: So wie Ströver ihre Gäste ausgewählt hatte, saßen sie ja schon da als ein lebendiger Beweis für die Diversität der Berliner Theaterlandschaft. Alle drei Theater haben ein sehr eigenes Profil und eine eigene Geschichte. Vielleicht waren die Teilnehmer der Runde auch deshalb die falschen Adressaten für die Frage, wie sich diese Diversität denn noch mehr aufschlüsseln kann, bis auch der Jetzt-noch-nicht-Theatergänger Theater so selbstverständlich erhalten will wie Kindertagestätten.
Wer aber unter den Repräsentanten der verschiedenen Theatersparten sich für was zuständig fühlt, darüber hätte Shermin Langhoff schon gerne mit Ulrich Khuon vom Deutschen Theater und Armin Petras geredet: ob sie nicht auch sähen, dass zum Beispiel jemand wie sie, eine äußerst assimilierte Nachfahrin von Migranten, sich eben nicht repräsentiert sähe von einem fast ausschließlich autochthon deutschen Ensemble? Doch diese Diskussion wollte Ströver partout nicht führen. So verlosch der kleine Funke Angriffslust wieder. Im Grunde auch, weil sich ja alle einig waren, dass eben nicht jedes Theater alles machen kann und, um glaubwürdig zu bleiben, auch immer mit den eigenen Erfahrungen verknüpft bleiben muss. Aber gerade deshalb hätte sich Shermin Langhoff, die gerade als stellvertretende Intendantin der Wiener Festwochen ab 2014 ernannt wurde, eben gewünscht, dass auch die großen Häuser Künstler mit einer anderen Erfahrung an sich ziehen.