„Stereotype aus Hollywood“

VORTRAG Über den Werdegang fotografischer Ikonen und deren Funktion bei der Darstellung des Krieges

■ 56, Kunsthistoriker und WiMi an der Uni Tübingen, daneben ist er freiberuflicher Kurator. Für sein Buch „Foto-Ethnografie“ erhielt er 2009 den Deutschen Fotobuchpreis.

taz: Herr Hägele, wie bewerten Sie die Grausamkeit der Bilder aus aktuellen Kriegsgebieten?

Ulrich Hägele: Es sind schlimme Bilder, aber wir sollten mit der Wertung aufpassen: Schon im Ersten und Zweiten Weltkrieg wurden solche Bilder gemacht. Wenn man an Szenen von SS-Massakern aus Polen denkt, dann ist das in der Grausamkeit mit den Bildern von Köpfungen durch die IS-Kämpfer vergleichbar. Mir geht es um die allgemeine Frage, wie Krieg ikonografisch visualisiert wird.

Unterscheidet sich die visuelle Propaganda-Strategie des „Islamischen Staates“ (IS) von historischen Beispielen?

Die IS-Kämpfer haben eine Ahnung, wie man Videos schneidet und man die jungen Menschen antörnt. Mir fallen Parallelen zu Videospielen, aber auch zu Blockbuster-Filmen ein.

Zum Beispiel?

Die Vermummten, die von Pick-Up-Trucks ihre Kalaschnikows in die Luft recken, das sind Stereotype aus Hollywood – eine Ikonografie aus Filmen, die 15 Jahre zurückliegen. Auch aus dem 19. Jahrhundert gibt es Kriegsbilder aus Afghanistan von vermummten „Eingeborenen“, wie es hieß. Der Exotismus war damals wichtig und ist es heute noch.

Was meinen Sie, wenn Sie von „Ikonografie“ sprechen?

Damit meine ich eine Bild-Tradition. Ein Beispiel wäre das Bild von Robert Capa von der kahl rasierten „Femme tondue“, die mit ihrem Kind durch die Straßen gezerrt wird, weil sie mit dem Feind geschlafen hat. Da ist man in der christlichen Ikonografie. Die Symbolik wirkt global, das ist das Entscheidende. Mit solch aufgeladenen Bildern kann man Propaganda machen.

Inwiefern können sich Bilder verselbstständigen und die Intention des Fotografen unterlaufen?

Bei einem Bild von Richard Peter kann man es nachvollziehen: Es zeigt die Statue des Dresdner Engels vor dem Ruinenfeld der zerbombten Leipziger Innenstadt. Damals war es Synonym für das katastrophale Ende des 2. Weltkrieges. Das Bild zeigt aber die Deutschen als Opfer und blendet ihre Verbrechen aus. Insofern ist es auch als revanchistisches Bild zu lesen. Es hat sich verselbstständigt.  Interview:jpb

19 Uhr, Haus der Wissenschaft