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Archiv-Artikel

Kritik an Österreichs Asylgesetzen wächst

Präsident des Verfassungsgerichts in Wien fordert dringend gesetzliche Neuregelung des restriktiven Fremdenrechts

Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Abschiebehäftlinge um 500 Prozent

WIEN taz ■ Das verschärfte österreichische Fremdenrecht ist teilweise verfassungswidrig, stellenweise unverständlich und zum Teil einfach nur dumm. Diese Meinung vertreten nicht nur Menschenrechtsorganisationen, sondern auch der angesehene Präsident des Verfassungsgerichtshofs, Karl Korinek. Bei einem Treffen am Mittwoch versuchte er Innenminister Günter Platter (ÖVP) zu überzeugen, dass das Gesetz einer gründlichen Reparatur bedürfe. Das Echo war bescheiden.

Asylhilfeorganisationen, Caritas und Diakonie aber auch die Grünen laufen gegen das sogenannte Fremdenrechtspaket Sturm, seit es Mitte 2005 dem Parlament vorgelegt wurde. Beschlossen wurde es nicht nur von den damaligen Regierungsparteien ÖVP und BZÖ, sondern auch mit den Stimmen der SPÖ.

Seit 2006 ist das Gesetz in Kraft. Asylbewerber können jetzt auch abgeschoben werden, wenn sie traumatisiert sind oder die zweitinstanzliche Entscheidung noch aussteht. Wer über Drittstaaten einreist, wird meist sofort in Abschiebehaft gesteckt, weil sich Österreich nicht zuständig fühlt. Binationale Paare haben kein Recht auf Zusammenleben, wenn der ausländische Partner vor der Hochzeit keinen gültigen Aufenthaltstitel hatte. Das betrifft vor allem Asylbewerber. Im letzten Jahr stieg die Zahl der Abschiebehäftlinge gegenüber 2005 um über 500 Prozent. Bis zu zehn Monaten darf das Innenministerium Asylwerber einsperren. Gleichzeitig sind die Asylgerichte nicht effizienter geworden.

Hier setzt die Kritik von Korinek an. Mehr als 14.000 der laufenden Verfahren dauern bereits länger als drei Jahre. In 375 Fällen warten die Betroffenen schon seit über zehn Jahren auf eine Entscheidung. In dieser Zeit dürfen sie nicht arbeiten und das Land nicht verlassen. Manche haben es trotzdem geschafft, ein Minimum an Stabilität in ihr Leben zu bringen. Mit kleinen Hilfsarbeiten oder als Selbstständige verschaffen sie sich ein Einkommen, die Kinder gehen zur Schule und bauen einen Freundeskreis auf. In den vergangenen Monaten gab es in vielen Gemeinden Proteste gegen die drohende Abschiebung von gut integrierten Familien aus dem Kosovo, aus Georgien oder dem Iran.

Korinek, der politisch der ÖVP zugerechnet wird, ist der Meinung, dass Asylbewerber ein individuelles Bleiberecht erwerben, wenn ihre Verfahren so lange dauern. Er fordert ein Gesetz, das allen Betroffenen nach einer bestimmten Anzahl von Jahren das Aufenthaltsrecht garantiert. Bevor man Menschen ausweise, müsse man das öffentliche Interesse gegen das Recht auf Familienleben abwägen. Letzteres ist durch die Europäische Menschenrechtskonvention geschützt. Innenminister Platter hat stets betont, er sehe keinen Änderungsbedarf, das Gesetz sei bestens – was die sinkende Zahl von Zuwanderern beweise. Mit Korinek stimmt er insofern überein, als auch er kürzere Asylverfahren wünscht. Eine „Aufweichung“ der Fremdengesetze werde es aber nicht geben.

Die Grüne Justiz- und Minderheitensprecherin Terezija Stoisits sieht sich durch Korinek bestätigt. Sie hatte vor zwei Wochen eine Reform in diesem Sinne vorgeschlagen. Auch die SPÖ macht nun Druck, die im Regierungsübereinkommen vereinbarte Evaluierung des Fremdenrechts dringend vorzunehmen. Der Evaluierung bedarf sicher auch die Bestimmung, dass ausländische Professoren jedes Jahr ein neues Visum beantragen müssen. Eine solche Regelung hält Verfassungsrichter Korinek angesichts des internationalen Konkurrenzkampfs um Spitzenforscher für Elite-Unis schlicht für dumm. RALF LEONHARD