: Auf die Basis kommt es an
Die Integration des Islam braucht keine großen Gesten – und keinen Koordinierungsrat. Das Zusammenspiel von Muslimen und Staat muss auf Länderebene erprobt werden
Michael Kiefer ist Islamwissenschaftler an der Universität Erfurt und arbeitet im Forschungsprojekt „Mobilisierung von Religion in Europa“; Zuletzt erschien von ihm „Staatlicher Islamunterricht in Deutschland“ (LIT Verlag, 2006)
Seit im April der neue Koordinierungsrat der Muslime (KRM) gegründet wurde, fliegen die Fetzen. Gestritten wird vor allem um die Frage, ob dieser Koordinierungsrat – als Zusammenschluss der vier größten muslimischen Dachverbände – vom Staat als Religionsgemeinschaft anerkannt werden müsse. Die Verbandsvertreter sehen das so und fordern schon die rechtliche Gleichstellung mit anderen anerkannten Religionsgemeinschaften, dem Zentralrat der Juden und den christlichen Kirchen.
Ganz anderer Meinung sind Islamkritikerinnen wie Necla Kelek: Sie nannte den Koordinierungsrat eine „Versammlung muslimischer Stammesführer“, die nur ein Zehntel der hier lebenden Muslime vertrete. Auch deutsche Politiker äußerten Zweifel an der Legitimität des neuen Gremiums. So erklärte Integrationsministerin Maria Böhmer, der Koordinierungsrat vertrete nur eine sehr geringe Anzahl der Muslime. Ähnlich sieht dies Volker Beck, der Rechtsexperte der Grünen, der deshalb (taz vom 16. 4.) eine breitere Gesamtrepräsentanz der deutschen Muslime forderte.
Angesichts dieser Auseinandersetzung stellt sich die Frage: Was ist eigentlich eine Religionsgemeinschaft? Und welche Voraussetzungen müssen Muslime erfüllen, um die staatliche Anerkennung als Religionsgemeinschaft zu erlangen? Um diese Frage wird schon seit Jahren auch vor Gerichten gerungen. Und da eine abschließende juristische Klärung aussteht, ist derzeit unklar, was Muslime eigentlich unternehmen müssen, um als Religionsgemeinschaft anerkannt zu werden. Fest steht lediglich: Die muslimischen Dachverbände, die nun den Koordinierungsrat gebildet haben, konnten bislang auf dem Klageweg keine Anerkennung als Religionsgemeinschaft erreichen. Die Gerichte sahen wesentliche Voraussetzungen nicht als erfüllt an. Bemängelt wurde etwa, dass es den Verbänden an „natürlichen“ Mitgliedern fehle. Das heißt: Sie vereinen zwar Organisationen und Vereine unter ihrem Dach, aber es fehlt ihnen an eingeschriebenen Mitgliedern. Darüber hinaus wurde moniert, dass Verbände wie der Zentralrat und der Islamrat nicht der „umfassenden Glaubensverwirklichung“ dienten: Wichtige Aufgaben des religiösen Lebens würden lediglich auf der Gemeindeebene wahrgenommen.
Was die vielfach kritisierte Mitgliederstruktur angeht, bringt der neue Koordinierungsrat auch keine Lösung. Da hilft es auch nicht, wenn Bekir Alboga, der Dialogbeauftragte des größten muslimischen Verbands, Ditib, erklärt, man müsse nur die Zahl der eingeschriebenen Mitglieder vervierfachen, um zu sehen, wie viele Menschen sein Verband repräsentiere. Denn eine derartige Arithmetik ist in unserem Rechtssystem nicht vorgesehen. Und ein Moscheebesuch ist nicht gleichbedeutend mit einer Beitrittserklärung zu einer Gemeinde.
Darüber hinaus gibt es die altbekannte Kritik an den Verbänden: Sie seien zu konservativ, manche gar islamistisch orientiert. Tatsächlich besteht der Islamrat hauptsächlich aus der türkischen Milli-Görüș-Bewegung, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Der Zentralrat wiederum zählt Mitglieder, die der ägyptischen Muslimbruderschaft nahe stehen sollen. Der VIKZ vertritt einen sehr strengen Islam und stand schon mehrfach wegen angeblich illegal betriebener Schülerwohnheime in der Kritik. Und schließlich ist da noch die mit Abstand größte Organisation, Ditib. Sie vertritt den türkischen Staatsislam und wird faktisch aus Ankara gelenkt. Problematisch ist vor diesem Hintergrund daher auch das Vetorecht, das sich Ditib im Koordinierungsrat ausbedungen hat. Faktisch könnte dies bedeuten, dass im Streitfall in Ankara entschieden wird, wie die Dinge hier laufen sollen. Das im Grundgesetz festgeschriebene Gebot weltanschaulicher Neutralität würde damit ad absurdum geführt.
Angesichts dieser vertrackten Lage wird immer wieder der Ruf laut, man solle den Muslimen mit einer staatlichen Zangengeburt zu einer Gesamtrepräsentanz verhelfen. In unseren Nachbarländern ist das, aufgrund anderer verfassungsrechtlicher Voraussetzungen, längst geschehen. Doch die dort praktizierten Modelle sind alles andere als nachahmenswert: In Österreich wurden alle Muslime des Landes, ungeachtet ihrer „konfessionellen“ Orientierung, unter dem Dach der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ) zwangsvereint. Doch mit der Legitimation hapert es: Nur die nicht gerade zahlreichen eingeschriebenen Mitglieder der Islamischen Glaubensgemeinschaft haben die Möglichkeit, an der Wahl der Gemeindeausschüsse teilzunehmen, die wiederum den wichtigen Schurarat wählen.
Zwiespältig sind auch die Erfahrungen in Frankreich. Dort wurde mit massivem staatlichem Druck im Jahr 2003 der Conseil Français du Culte Musulman ins Leben gerufen. Die Beteiligung bei der Wahl der Repräsentanten der Organisation war jedoch gering, und den größten Erfolg verbuchten dabei die eher radikalen Gruppen. Organisationsstrukturen, die die Vielfalt des Islam in Deutschland widerspiegeln, müssen von unten wachsen. Dieser Prozess benötigt Zeit. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist die Politik gut beraten, derzeit noch keine irreversiblen Fakten zu schaffen.
Es gibt aber noch mehr gute Gründe, mit Bedacht vorzugehen, wie das Thema islamischer Religionsunterricht zeigt. In den meisten Bundesländern wird Religionsunterricht als Pflichtunterricht erteilt. Sollen die Kinder nicht teilnehmen, müssen die Eltern aktiv abmelden. Die Unterrichtsinhalte muss der Staat mit der Religionsgemeinschaft absprechen. Darüber hinaus gibt es Mitspracherechte bei der Besetzung der Lehrstühle an den theologischen Fakultäten. Schließlich erteilt die Religionsgemeinschaft auch die Lehrerlaubnis für die Lehrkräfte im Schuldienst.
Um solche wichtigen Sachfragen zu klären, nutzen weder die überzogenen Forderungen der Verbände noch barsche Kritik. Gefordert sind vielmehr Pragmatismus und Augenmaß. Jenseits der großen Anerkennungsfragen gibt es zudem beträchtliche Spielräume: Auch das lässt sich am Thema islamischer Religionsunterricht sehen. So unterbreitete die NRW-Landesregierung im letzten Jahr den organisierten Muslimen im Lande das Angebot, in Köln und Duisburg probeweise islamischen Religionsunterricht einzuführen. Mit den Moscheegemeinden vor Ort sollte ein Curriculum erarbeitet werden, auf dessen Grundlage dann unterrichtet werden sollte. Bislang kam das Modell nicht zustande, weil die vier großen Verbände ihr Placet verweigerten. Zu kleinschrittigen und pragmatischen Lösungen ist man scheinbar derzeit nicht bereit, vielmehr hofft man auf den großen Durchbruch.
Doch diese Strategie könnte sich als großer Fehler erweisen. Denn die Anerkennung als Religionsgemeinschaft kann nur auf Länderebene erfolgen. Und hier zählen weniger große Gesten als die Bereitschaft zur konkreten Zusammenarbeit, in der das Zusammenspiel von Muslimen und Staat erprobt werden kann.
MICHAEL KIEFER