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Archiv-Artikel

Einen iPod, hex, hex!

In der Nacht zum 1. Mai besuchen wirklich engagierte Hexen keine handfesten Tanzveranstaltungen. Dafür übergeben sie ihre Wünsche den Flammen und trinken zu viel Bowle, wie ein Besuch bei der Walpurgis-Feier der Hamburger Hexenschule St. Paula zeigt

„Die meisten von uns glauben nicht wirklich an keltische oder germanische Götter, wir sind nur ziemlich naturverbunden“

VON JESSICA RICCÒ

Auf der Eintrittskarte heißt es, dass heute „die wilde Kraft des Chaos, der Liebe und der Vereinigung“ zelebriert werden: Sonne und Erde gehen eine innige Verbindung ein. Man hat sich das ein bisschen vorzustellen wie ja auch der Himmel Uranos in der griechischen Mythologie mit der Mutter Erde Gaia Remmidemmi macht: Ein mythologischer Urknall. Im Hamburger Café Sternchance feiern zirka 80 Hexen und Heiden Beltane, beziehungsweise zu Deutsch: Walpurgisnacht, mit Speis und Trank und Lagerfeuer.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich bin hier nur Gast. Weder Hexe noch Heidin sondern stinknormale Protestantin und mit Esoterik kann ich so gar nichts anfangen. Trotzdem ist das kein Grund, sich über anderer Leute Glauben scheckig zu lachen und so passe ich mich so gut wie möglich an: Als Möchtegerngothic kreuze ich im Café Sternchance auf und kriege sogleich eine Begrüßungsmaibowle in die Hand gedrückt. Und ein Stöckchen. „Wickel ein Band um das Holz und wünsch dir was, das ist für später, beim Ritual.“

Ritual, aha, ertappt. Vor meinem geistigen Auge spicken hysterische Weibsbilder eine schwarze Katze mit Stöckchen und übergeben sie lodernden Flammen. „Wir verbrennen nichts, was Augen hat,“ beruhigt mich Hexe Tina. „Also wünsch dir irgendwas.“ Ich sage. „Einen iPod!“ (Die Sache mit dem Weltfrieden hab ich oft genug probiert, klappt ja doch nicht.)

Drinnen beim Buffet treffe ich einen Verbündeten: Außenseiter Matthias wurde von seiner Freundin mitgeschleppt, es ist schon sein zweites Beltane und wären gegrilltes Lamm und Rosmarinkartoffeln nicht en masse vorhanden, er würde sich schrecklich langweilen. Was tut man nicht alles aus Liebe. Matthias und ich schnappen uns einen der verteilten Liedtexte, die es auswendig zu lernen gilt. „Erde mein Körper, Wasser mein Blut“ heißt es dort. Verschwörerisches Grinsen, wie sollen wir nur dieses Ritual ohne Lachanfall überstehen.

Zum Beispiel indem wir uns vorher informieren, wie die Prozedur von statten geht und wer unsere Wünsche erfüllt beziehungsweise meinen iPod bezahlt. „In der Beltanenacht sind die Grenzen von unserer Welt zur Welt der Geister, Feen, Elfen und kleinen Wesen fließend,“ klärt mich Tina auf. Kleine Wesen, die Heinzelmännchen, die ab und zu meine WG-Küche aufräumen, damit kann ich was anfangen. „Wir bedanken uns für den Kreislauf der Natur, dass alles neu wächst und entsteht... und manchmal lockern sich an Beltane nicht nur die Grenzen zur ‚Anderswelt‘, sondern auch die der Ehe...“ Unsere germanischen Vorfahren zumindest sprachen von Januarbabys gerne auch als „Beltanekinder“.

Auffällig ist, dass hier niemand ein und dieselbe Auffassung davon teilt, wer denn nun namentlich die Gottheiten sind. Freya ist die Fruchtbarkeitsgöttin, logo, wie bei den Germanen, unseren Vorfahren. Und Epona, naja, die auch, nur eben keltisch. Im Zweifelsfall empfiehlt mir eine Hexe, doch einfach in „Die Nebel von Avalon“ nachzuschlagen. Und ich dachte immer, das sei nur ein x-beliebiger Fantasyroman, so kann man sich täuschen.

Beim Essen sitze ich einer gegenüber, die sich auskennt: Carmela ist professionelle Märchenerzählerin aus Buxtehude und ihrer Meinung nach ist es im Grunde egal, welchen Namen Götter und Sagengestalten haben – die Geschichten ähneln sich ja doch. „Meistens müssen Figuren durch‘s Feuer gehen, um zu wachsen,“ erklärt sie, „nur ist das eben metaphorisch zu verstehen.“

Apropos Feuer, es gilt ein Auge auf Carmelas kleine Tochter zu werfen, die derweil selbst gebastelte Fackeln verschenkt und tunlichst nicht in Flammen aufgehen sollte. „Die meisten von uns glauben nicht wirklich an die keltischen oder germanischen Götter, wir sind nur ziemlich naturverbunden.“ Wie Naturverbundenheit aussehen kann, das lernen Interessierte in der Hexenschule. Dort wird nicht wie einst bei Bibi Blocksberg der Besen gezähmt, es ist eher eine mittelalterliche Schule für pharmazeutisch-technische Assistentinnen: Welche Kräuter lassen sich wie verwenden, warum sollte man Waldmeister nicht mit Aspirin kombinieren und welche Symbolik haben Bäume.

So viel habe ich mir gemerkt: Unter einer Linde kann man besonders gut knutschen, während Eichen sich eher eignen, um sich an einem dicken Ast zu erhängen. Im 13. Jahrhundert wäre dieses Wissen ein guter Grund gewesen, mich nun zu verbrennen.

Überhaupt sitzt die Zeit der Hexenverfolgung einigen Anwesenden in den kulturhistorischen Knochen als sei‘s gestern gewesen. Die christliche Kirche genießt keinen guten Ruf hier, die sei doch viel zu altmodisch erklärt mir eine junge Hexe. Ich muss mir arg das Lachen verkneifen, denn meine Gesprächspartnerin trägt eine Art zum Korsett geschnürten Jutesack und Jesuslatschen.

Zum Glück wird gerade zum Ritual gerufen und ich spare mir weitere Diskussionen: Zum Ritual stehen wir im Kreis um eine Art Scheiterhaufen und übergeben meinen iPod und einen Haufen anderer Wünsche den Flammen. Dann bedanken wir uns bei Wasser, Luft, Erde und Feuer für ihre Anwesenheit und hüpfen alsbald über das Feuer, das kennt der Durchschnittschrist ja von Ostern.

Tina hat, glaube ich, schon einen im Tee und möchte mir erklären, dass es auch im Christentum ja allerlei heidnische Bräuche gibt, gerade an Ostern, das Feuer, den Hasen, die Eier. Dann verstummt sie und starrt in die Flammen. Ihre eigentliche Religion sei der FC St. Pauli, da gebe es noch Beständigkeit, sie hält ihm die Treue schon seit 1985. Matthias ist leider gerade unauffindbar, ich wünschte er hätte diesen Moment mitbekommen, in dem Beltane sein Tor für ihre und seine Welt geöffnet hat. Wow.

Zugegeben, für die Anwohner des Hamburger Schanzenparks mag der Anblick der Feueranbeter nach wie vor Assoziationen von geschlossener Psychiatrie oder Sektenkult auslösen. Im Grunde sind die Hexen aber kein Stück alberner als jede Burschenschaft: Sie verkleiden sich, pflegen ein paar Bräuche und kippen sich einen hinter die Binde. Es ist harmlos, ein bisschen lehrreich in puncto Kräuterkunde und Psychologie. Und vor allem macht es Spaß, eine Hexe zu sein.