: Es war einmal der CIA
MÄRCHENHAFT „Wer ist Hanna?“ von Joe Wright ist eine faszinierende Mischung als Actionfilm, Märchenelementen und Entwicklungsroman mit Cate Blanchett als der bösen Hexe
VON WILFRIED HIPPEN
Hollywood schlachtet gerade mal wieder die Märchen der Brüder Grimm aus. Innerhalb weniger Wochen kommen gleich zwei Filme mit eindeutigen Bezügen zu „Rotkäppchen“ und „Hänsel und Gretel“ in die Kinos. „Red Riding Hood“ ist ein lauer und unangenehm spekulativer Nachfolger der „Twilight-Saga“, der so angelegt ist, dass schwärmerische weibliche Teenager sich statt in junge attraktive Vampire nun in einen 18jährigen bösen Wolf vergucken sollen. „Hanna“ (so der Originaltitel) spielt dagegen viel subtiler mit seinen Inspirationsquellen.
Eines der Vergnügen, die der Film bietet, besteht darin, all die Bezüge auf die deutsche Märchensammlung zu entdecken. So gibt es gleich zwei Knusperhäuschen, von denen eines zu allem Überfluss auch noch von einem Gaukler namens Grimm bewohnt wird und die Lieblingslektüre der Titelheldin ist ein Bilderbuch mit den Kindermärchen. Dabei ist sie selber eine Gretel, deren Hänsel ein von der CIA gejagter Agent ist. In einer surreal wirkenden Eislandschaft sieht man das junge Mädchen in den ersten Einstellungen des Film mit Pfeil und Bogen einen Hirsch erlegen.Nur langsam wird die so erzeugte Verunsicherung über Raum und Zeit aufgelöst und es wird deutlich, dass Hanna (Saoirse Ronan) in einer verschneiten Hütte völlig alleine von ihrem Vater Erik (Eric Bana) aufgezogen wurde. Ihre Erziehung war extrem unorthodox: Sie beherrscht ein Dutzend Sprachen, hat ein Konversationslexikon auswendig gelernt und kann sich sich in jeder Situation mit tödlichen Konsequenzen für ihren Angreifer ihrer Haut wehren - doch außer Erik hat sie noch nie einen anderen Menschen gesehen. Als Vierzehnjährige kommt sie in ein Alter, wo sie beginnt, diese Isolation als ein Gefängnis zu empfinden, und Erik überlässt ihr die Entscheidung, mit einem Druck auf den roten Knopf eines Funkgerätes (das als erstes Requisit eine Zuordnung in der Gegenwart ermöglicht) Kontakt zur üblichen Welt aufzunehmen.
Das Signal wird im Hauptquartier des CIA aufgefangen, und von dort aus setzt Cate Blanchett als eine wirklich furchteinflößend böse Hexe alles in Bewegung, um das flüchtende Kind zu fangen und zu vernichten. Nach dem eisig, mysteriösen ersten Akt verwandelt sich der Film in eine Actionthriller, in dem von der Flucht der mit märchenhaften Kräften ausgestatteten Heldin erzählt wird.
Die Reise geht von Marokko über Spanien und Hamburg nach Berlin (in dieser Märchenwelt ist das kein Umweg) und besteht aus Verfolgungsszenen, bei denen den lokalen Stereotypen entsprechende Nebenfiguren Hanna entweder jagen oder helfen. Ein gastfreundlicher Händler in Nordafrika, spanische Sinti, die am Lagerfeuer Flamenco-Musik spielen und Skinheads in Deutschland, deren Boss schwul ist - die Klischees werden so ausgestellt, dass sie deutlich ironisch gebrochen wirken und auch ein paar direkte Zitate aus den Bond- und Bourne -Serien sind geschickt arrangiertes postmodernes Beiwerk.
Wirklich spannend und interessant ist der Film auf einer ganz anderen Ebene, den er erzählt auch davon, wie Hanna sich in einen Menschen verwandelt. Dazu wäre die altbekannte Agentenmär von den Supermenschen, die in einem geheimen Programm gezüchtet wurden, gar nicht nötig gewesen. Viel schöner wird hier davon erzählt, wie Hanna plötzlich in die Welt geworfen wird und zum ersten Mal Musik und Elektrizität, vor allem aber die Gesellschaft von anderen Menschen erlebt. Nachdem sie auf der Flucht von einer britischen Touristenfamilie adoptiert wird, hat sie plötzlich eine Ersatzmutter, einen kleinen Bruder und eine gleichaltrige Freundin mit den typischen Befindlichkeiten eines pubertierenden Wohlstandkindes.
Spätestens hier zeigt sich, wie klug es war, Joe Wright Regie führen zu lassen, der bisher mit britischen Gesellschaftsdramen wie „Stolz und Vorurteil“ glänzte. Er inszeniert diese intelligente Stil- und Genremischung so, dass Saorise Ronan (die in Wrights Film „Abitte“ ebenso überzeugend einen völlig anderen Charakter spielte) selbst in den aberwitzigsten Situationen immer auch ein unschuldig staunendes Kind bleibt.