: „Die Mafia macht auch hier Geschäfte“
CAMORRA Ein Museum aus Süditalien bittet in Deutschland um Asyl: Warum, erläutert der Kurator Antonio Manfredi, der die Ausstellung „Sie könnten in Deutschland leben“ ins Kunsthaus Tacheles gebracht hat
■ ist der Leiter des Contemporary Art Museum (CAM) in Casoria, einer Industriestadt in der Nähe von Neapel. Im Kunsthaus Tacheles präsentiert er die Ausstellung „Sie könnten in Deutschland leben“ mit 14 lebensgroßen Bildern der gefährlichsten italienischen Verbrecher, die von der Polizei der ganzen Welt gesucht werden. Die Ausstellung läuft noch bis zum 3. Juni. Das CAM war letzten Februar bekannt geworden, als sein Chef Antonio Manfredi Bundeskanzlerin Angela Merkel um politisches Asyl bat. „MAY BE“ ist die erste Ausstellung des Contemporary Art Museum in Deutschland.
INTERVIEW VON RICCARDO VALSECCHI
taz: Herr Manfredi, im Februar dieses Jahres baten Sie mit Ihrem Museum in Casoria in Deutschland um politisches Asyl. Warum?
Antonio Manfredi: Die Antwort ist einfach. In Italien gibt es keine Aufmerksamkeit für die Kultur. Gerade diese Regierung hat erhebliche Abstriche bei der Kultur gemacht. Stiftungen, Museen und Theater schließen gerade. Deutschland hat, zumindest bis jetzt, keine Abstriche gemacht trotz der wirtschaftlichen Krise. Ich sehe hier eine starke Beachtung der Kultur und der Kunst. Ich bitte nicht um Geld, sondern um die Aufnahme des Contemporary Art Museum (CAM) aus Casoria. Das CAM, das sich im Herzen des von der neapolitanischen Camorra dominierten Gebiets befindet, hat eine Sammlung von 1.000 Kunstwerken – im Wert von insgesamt 10 Millionen Euro –, und als Kurator ist es meine Pflicht, die Sammlung vor denen, die uns tagtäglich bedrohen, in Sicherheit zu bringen. Da die italienische Regierung nicht in der Lage ist, unser Erbe zu verteidigen, habe ich mich anderswohin gewandt.
Wann wurde das CAM eröffnet?
Das Museum wurde im Jahr 2004 eröffnet, als kulturelle Begegnungsstätte und Alternative zu den vielen sozialen Problemen im neapolitanischen Hinterland. Am Anfang wurden wir von der Gemeinde Casoria unterstützt, aber nach etwas sechs Monaten wurde der Stadtrat wegen Infiltration durch die Camorra aufgelöst. Dann haben wir uns entschieden, allein weiterzumachen.
Woher kommen die Geldmittel?
Seit 2005, als der Stadtrat aufgelöst wurde, wurde das Museum von Privatpersonen gesponsert. In Italien gilt – vor allem nach Ansicht der jetzigen Regierung – dieses Konzept: Ein Museum für zeitgenössische Kunst sollte zunächst von Privatpersonen finanziert werden. Aber wie können wir hier nach einer Förderung für Kunstprojekte durch die Camorra und die Mafia fragen, wenn in Casoria die Geschäfte zu 50 Prozent in Besitz der Camorra sind und die anderen den „Pizzo“ – das Schutzgeld – bezahlen müssen? Andere Möglichkeiten gibt es nicht.
Wie sieht die Arbeit des CAM aus?
Zuallererst: Das CAM ist kein Museum über die Camorra, wie jemand geschrieben hat. Unsere Politik ist es, Projekten der dokumentierenden Kunst Raum zu geben, also einer Kunst, die gesellschaftliche und soziale Realitäten beschreibt. In diesen sieben Jahren sind erfolgreiche Ausstellungen entstanden: zum Beispiel „Politik“, über die politischen Probleme hierzulande oder über unser Verhältnis zu „Afrika“, mit 100 afrikanischen Künstlern. Allerdings bildet die Camorra einen Schwerpunkt. „MAY BE“, die Ausstellung im Tacheles, ist gerade auf dieses Thema ausgerichtet. Die Botschaft ist klar: Die Mafia ist nicht nur ein Problem für Süditalien; jeder dieser Verbrecher könnte auch bei euch hier leben. Die Mafia schießt in Neapel, auf Sizilien, aber ihre Geschäfte macht sie auch in Nordeuropa, wie die Morde von Duisburg lehren.
Wurden Sie von der Camorra bedroht?
Sicher. Manchmal bekommen wir anonyme Anrufe, zum Beispiel: „Sagen Sie Ihrem Chef, dass er einen Mantel für Weihnachten kaufen muss“; das bedeutet im Slang „einen Sarg kaufen“. Als wir die Ausstellung „Afrika“ eröffneten, fanden wir am Morgen eine schwarze Puppe am Eingangstor erhängt. Die Erklärung ist einfach: Wenn man nach Casoria kommt, kann man an den Autobahnen tausende von jungen Afrikanern warten sehen, die für ungefähr 20 Euro pro Tag als Sklaven arbeiten. Sie haben keine Ausweise, keine Aufenthaltserlaubnis. Sie schlafen wie Tiere in elenden Behausungen. Einhundert Werke von afrikanischen Künstlern nach Casoria zu bringen bedeutet, von einem anderen Afrika zu erzählen; soziale und Integrationsmechanismen in Gang zu bringen; es bedeutet, sich mit denjenigen anzulegen, die wirtschaftlich von der Ausbeutung der Einwander profitieren.
Haben Sie eine Antwort von dem deutschen Staat bekommen?
Nein, aber wir hatten etwas Hilfe vom Goethe-Institut, das diese Ausstellung mitfinanziert hat; und wir hatten viele Solidaritätsbriefe von deutschen Bürgern.
Einige Mitglieder der Freiheitlichen Partei (PdL) von Silvio Berlusconi haben Sie kritisiert, weil diese Ausstellung ihrer Meinung nach ein schlechtes Bild von Italien ins Ausland exportiert.
Die Künstler und die Fotografen verunglimpfen nicht Italien und nicht die Italiener; Italien ist durch die Politiker, darunter auch einige Mitglieder der PdL, gegen die wegen Mafiakontakten ermittelt wird, geschändet. Im Gegenteil bringen diese Künstler Beweise dafür, dass in Neapel und in Italien nicht nur Kriminelle leben, sondern auch Leute, die jeden Tag gegen die Mafia kämpfen.