: Das Weltgeschehen
EINWÜRFE Misshandlung von Asylsuchenden, Politik für Konzerne, Widerstand gegen Hitler und die „Wahrheit“-Satire – breit gefächert sind die Fragen, zu denen Leserinnen und Leser sich äußern. Sie tun es zustimmend, mit Wut, Enttäuschung, ironisch oder auch heiter
Private Haie
■ betr.: „Es geht nicht nur um Gewalt“, taz vom 30. 9. 14
Wir brauchen Wohnungen, nicht „Heime“ für Asylsuchende. Alles andere ist ein unwürdiger und auch die Würde der Bundesrepublik nicht achtender Umgang mit Asylsuchenden (und anderen Bedürftigen). Wenn schon Heime, dann keine geführt von privaten Haien, von denen es in allen sozialen Bereichen einige gibt. Sondern dann Heime von Trägern, die zum Beispiel dem Paritätischen Wohlfahrtsverband angehören und damit eine gewisse Sicherheit für menschenwürdigen Umgang mit Mitarbeiter_innen und Heiminsass_innen bieten.
Die privaten Anbieter schrammen mal gerade so an den Mindestkriterien der ausschreibenden Behörden vorbei – kostengünstig sein lautet die Maxime. Ob’s den Standards der guten fachlichen Praxis in der Sozialarbeit entspricht? Die dort Tätigen sind nicht zu beneiden. Ein Heim muss „sich rechnen“. Sparen lässt sich sehr wirksam an den Personalkosten. Und das, was dabei unterm Strich rauskommt, fließt wohin? Eine Beobachtung aus Wolgast, dort führt die European Homecare – („ein Familienbetrieb“ laut Website) ein Asylsuchendenheim in einem sanierten Plattenbau am Rande des sich leerenden Wohnblockgebiets: Ein autoleerer Parkplatz – bis auf zwei Kfz: Ein „dicker Schlitten“ von außerhalb, dazu ein BMW-Sportwagen. Die dort tätigen Sozialarbeiter_innen oder Wachleute?
Allerdings haben wir Wähler_innen und Bürger_innen selbst dafür gesorgt, dass Politiker nach oben kommen, für die Hilfe für Bedürftige, Krankenhilfe und alles, was mal „soziale Wohlfahrt“ hieß, (schnelle) Rendite abwerfen muss. ANNA MARIA WESENER, Lassan
Kirchliche Hilfe
■ betr.: „Es geht nicht nur um Gewalt“, taz vom 30. 9. 14
Wäre es nicht sinnvoller, die Flüchtlingsheime von kirchlichen Organisationen (Diakonie, Caritas) betreuen zu lassen? Wieso greift man da ausgerechnet auf Subunternehmer zurück? Die Flüchtlingshilfe der Diakonie (zumindest in Iserlohn) macht eine hervorragende Arbeit. Auch hier wurde bereits Kirchenasyl in Iserlohn angewandt. MARTIN BRÖMER, Iserlohn
Das Letzte gewagt
■ betr.: „Leuchten der Menschheit“, taz vom 20. 9. 14
Sie schreiben: „Weniger gefallen an dem ‚Leitfaden für britische Soldaten in Deutschland 1944‘ könnte einigen, wie klar die Briten schon damals sahen, dass der Grund für das Attentat der Generäle vom 20. Juli 1944 ‚nicht die Barbarei von Hitlers Methoden, sondern eher deren Erfolgslosigkeit‘ war.“ Was ist denn das für ein Unsinn! Diese Leute (Offiziere, nicht Generäle) haben ihr Leben in die Waagschale geworfen, um das wahnsinnige Morden und Leiden zu beenden. Es gab unendlich viele Versuche der Widerständler, um die Briten und Amerikaner zu Verbündeten zu machen, aber sie wurden von diesen Ländern nicht ernst genommen.
Dass in der Broschüre von 1944 und auch heute noch das weitestgehend unterschlagen wird (es ist ja eine Schande für die Briten) und heute uninformiert dieser Mist weitergeplappert wird, erfüllt mich mit großer Wut. Hitler hat von den Widerständlern gesagt, „es ist eine kleine Gruppe ehrgeiziger Adliger“, das wird auch heute noch von bestimmten Gruppen verbreitet. Tatsache ist, dass nach dem missglückten Attentat Hunderte von Menschen hingerichtet wurden. Zum Schluss noch ein Zitat: „Ich weiß nicht, wie eine spätere Nachwelt einst über diese Tat und über mich urteilen wird. Ich weiß aber mit Sicherheit, dass wir alle frei von irgendwelchen persönlichen Motiven gehandelt haben und nur in einer schon verzweifelten Situation das Letzte gewagt haben, um Deutschland vor dem völligen Untergang zu bewahren. Ich hoffe, dass unsere Nachwelt das einst erkennen und begreifen wird.“ SIBYLLE STEINER-WITZENBACHER, Berlin
Konsumerziehung
■ betr.: „Gabriel zetert über Ceta“, taz vom 27. 9. 14
Wenn ich den Investorenschutz weiterdenke, ist es dann möglich, wenn NGOs zum Boykott aufrufen, dass die Firmen sie verklagen? Wenn Produkte einfach nicht angenommen werden, können dann die Bürger verklagt werden, dass sie nicht konsumieren? Oder ist dann der Staat in der Pflicht, seine Bürger konsumfreudig „zu erziehen“ (zum Beispiel durch Steuermaßnahmen). Wo sind die Grenzen? Wie kann in einem Rechtsstaat ein „privates“ Schiedsgericht überhaupt ins Spiel kommen? Aus meiner Sicht müsste das Bundesverfassungsgericht deutlich sagen, dass Staatsverträge, die den Rechtsstaat aushebeln, gar nicht verfassungskonform sind. Sonst wäre der Sinn der Judikative eines Staates einfach weg. Können wir also abschaffen. Oder haben die Lissabon-Verträge genau dies vorbereitet?
MICHAEL ARTMANN, Quickborn
Rührend naiv
■ betr.: „Der Markt funktioniert nicht mehr“, taz vom 29. 9. 14
So wie Rifkin hoffe ich auch auf das möglichst schnelle Ende des Kapitalismus aufgrund seiner eigenen Widersprüche. Bloß und leider: Wie die meisten Ökonomen hat Rifkin keinerlei Vorstellung über die stoffliche Seite seiner Thesen. Das Drücken der Grenzkosten gegen null – also zum Beispiel der Verkauf eines zusätzlichen E-Books fast umsonst – drückt eben den Naturverbrauch nicht gegen null – ganz im Gegenteil, es erhöht ihn erheblich: durch die energetischen und stofflichen Ressourcen, die dieses E-Book für die Herstellung benötigt, was der Müll nach Ende der Nutzung anrichtet und was der Betrieb des E-Books verursacht.
Was mich besonders enttäuscht: Er stellt sich solche wirklich einfachen Fragen nicht mal, ebenso wenig wie der Interviewer, und zeigt dafür einen geradezu rührend naiven Glauben an die Wunder der Technik: „In China haben sie kürzlich 10 Häuser in 24 Stunden ausgedruckt“ – ist das ernst gemeint? So wird sozusagen das Denken eines sehr klugen Menschen völlig „entmaterialisiert“ und auf eine Art Kindermärchen reduziert. Er macht, mit anderen Worten, die Rechnung völlig ohne den Wirt: den begrenzten Planeten. Vor 42 Jahren erschien „Die Grenzen des Wachstums“, und gerade haben australische Wissenschaftler nachgerechnet, wie gut dessen Prognosen waren. Ergebnis: „Limits to growth was right. New research shows: We’re nearing Collapse“ (Guardian, 2. 9. 2014). Da kann man nur hoffen, dass der ökonomische Kollaps des Kapitalismus noch ein bisschen früher eintritt als der stofflich-ökologische (zwischen 2020 und 2030 haben Meadows und andere damals errechnet). WOLFGANG NEEF, Berlin
Besoffen
■ betr.: „Verwirrung statt Transparenz“, taz vom 1. 10. 14
Wie man in Europa einem Investorenschutz als Bestandteil von TTIP positiv gegenüberstehen kann, ist mir völlig unverständlich. Was soll das, sich auch nur der Möglichkeit auszusetzen, von Konzernen politisch erpressbar zu sein? Es sei denn, man ist Anteilseigner, Unternehmer oder sonst wie aus nachvollziehbaren Eigeninteressen daran interessiert. Unterstellt, EU-Handelskommissarin Frau Malmström und Co. hätten keine Eigeninteressen, was treibt sie dann? Sind diese Leute besoffen von neoliberalem Gedankengut oder nur grenzenlos dumm? RAINER ELLENHORST, Haltern am See
In der Satire Stereotype bedient
■ betr.: „Ist Bernd Lucke Jude?“, taz-Wahrheit vom 29. 9. 14
Sehr geehrte taz-Redaktion, der Wahrheit-Beitrag war vielleicht doch ein Fehlgriff und eben keine gefakte Satire mehr. Ich kann Ihnen nur von heftigen Reaktionen und Auseinandersetzungen in und auch außerhalb der von mir vertretenen Initiative berichten. Und ich konnte vielen „Beschwerdeführern“ nur antworten, dass sie natürlich aus ihrer Sicht recht haben: Der Artikel ist geschmacklos – weil er eben auch in der Satire Stereotype bedient. Auch mein Hinweis, dass man die taz niemals von der letzten Seite her lesen darf – „Die Wahrheit“ ist eben die taz-eigene Fakeseite, gefüllt mit Unwahrheiten und satirischen Verdrehungen –, half da nicht recht.
In der Diskussion habe ich die These vertreten, dass man allerdings nicht zu „hysterisch“ reagieren sollte, denn eine allzu laut vertretene Betroffenheit reizt in vielen Fällen dazu, von interessierter Seite nachzupopeln. Zum Beispiel haben wir im Moment ein großes Problem mit einer durchaus berechtigten Kritik an der derzeitigen Politik der israelischen Regierung, wenn diese konstruktive Auseinandersetzung von „engagierter“ Seite grundsätzlich als antisemitisch verteufelt wird. Diese Hysterie ist kontraproduktiv. Aber! Sie mögen vielleicht nochmals in der Redaktion „Nabelschau“ halten, ob der Artikel – unter der genannten Perspektive – wirklich nützlich war! Wem hat er genutzt? Hat’s der Wahrheitsfindung gedient? Investigativer Journalismus sieht doch wohl anders aus! HANS HEINRICH GRAUE, Förderverein zur Geschichte des Judentums im Vogelsberg e. V., Lauterbach
Im Interesse der Kohlemonopole
■ betr.: „Geflutete Windkrafttürme“, taz vom 27. 9. 14
Es gibt hier in Württemberg kein Windkraftprojekt, an dem sich nicht irgendwer erhitzt. Die regionale CDU lästert seit Teufels Zeiten über die „Verspargelung“ der Landschaft, sie betätigt sich bei fast allen derartigen Auseinandersetzungen als Brandbeschleuniger. Die Zweifel an der Rentabilität der Anlage in Gaildorf sind nur dann begründet, wenn man davon ausgeht, dass das derzeitige Design des Energiemarktes im Interesse der Kohlemonopole dauerhaft beibehalten wird. Zwar muss man befürchten, dass genau das in Berlin beabsichtigt ist, aber es gibt auch andere Stimmen in Wirtschaft und Politik, selbst in der regierenden Koalition. Unlängst hatte ich ein Gespräch mit einem CDU-MbB, der den Monopolmarkt für Energie als Hindernis für die Energiewende und reformbedürftig bezeichnete.
Das nazideutsche Energiewirtschaftsgesetz hat 1935 die Gebietsmonopole gegen die Versorgungsverpflichtung für die Konzerne festgeschrieben. Es ist heute eines der zentralen Hindernisse der Energiewende weg von Kohle und Atom hin zu den Regenerativen und soll laut Wirtschaftsminister Gabriel nicht geändert werden. Das nützt nur den üblichen Verdächtigen: RWE, Vattenfall, EnBW, Eon und deren Vorrechten am Strommarkt. Richtig ist, dass sich Stromspeicher bei der derzeitigen Preisgestaltung und den aktuellen Marktbedingungen für die Pufferung der schwankenden Wind- und Sonnenenergie bestenfalls knapp wirtschaftlich lohnen. Diese Stromspeicher – egal ob Pumpspeicher, Batteriespeicher, Gas- bzw. Brennstoffzellen-Regelkraftwerke – werden kaum noch für die hohe Mittagsstromnachfrage gebraucht werden, weil Fotovoltaik diese häufig abdeckt. Aber für den täglichen Nachfrage-Produktionsausgleich Tag-Nacht in einer regenerativen Energiewirtschaft sind zahlreiche derartige Speicher dezentral verteilt unverzichtbar. Das hat Geschäftsführer Schechner im Blick, wenn er davon redet, die Rentabilität liege „im guten Bereich“ – auf 20 bis 30 Jahre gesehen. Es ist richtig, dass man damit keine Langzeitspeicherung machen kann, sondern nur den Ausgleich über den jeweiligen Tagesverlauf. Für den Langzeitausgleich gibt es andere Speichertechniken sowie den weiträumigen Lastausgleich. Aber man verlangt ja auch nicht von einem Pick-up die Ladekapazität eines Lkws. WERNER GLATZLE, Königsbronn