Unter dem gläsernen Dach

John Browne, 59, hat von seinem Posten als Chef des Mineralölkonzerns BP zurücktreten müssen. Nicht wegen Korruption oder Unfähigkeit, sondern weil er sich eine schwule Liebesaffäre geleistet hat

VON JAN FEDDERSEN

Der Mann hatte es finanziell fein – und muss, was sein Persönliches anbetrifft, bittere Angst ausgestanden haben, und zwar zeitlebens: John Browne, 1948 in Hamburg als Sohn eines britischen Armeeoffiziers und einer ungarischen Auschwitzüberlebenden geboren, ist als Chef des BP-Mineralölkonzerns zurückgetreten. Der Grund: Ein britisches Gericht erlaubte der Zeitung News on Sunday, die Informationen des Kanadiers Jeff Chevalier auszubreiten, denen zufolge Browne ihn persönlich aus BP-Kassen begünstigt habe.

Die Pointe: Mit den Enthüllungen wäre der Vertraute Tony Blairs nicht allein der Günstlingswirtschaft bezichtigt worden. Möglicherweise hätte dieser Vorwurf für den an Ökofragen interessierten Manager nicht den Rücktritt vom Posten des BP-Königs bedeuten müssen. Gewichtiger war, dass auf diese Weise publik wurde, dass der mit ganzen Paletten britischer Orden ausgezeichnete Absolvent von Schulen und Universitäten in Cambridge und Stanford, der von Königin Elizabeth II. zum Baron of Madingley ins Oberhaus geadelte Mann – schwul ist. Denn Chevalier konnte nur auspacken, was er mitzuteilen gedachte, weil er, von 2002 bis zum vorigen Jahr, mit Browne liiert war.

Nicht gesellschaftsfähig

Was diesen Fall von ähnlichen, allerdings heterosexueller Prägung, unterscheidet, ist die Furcht, aus diesem, nicht aus Gründen der irgendwie gearteten Korruption zurückzutreten. Ein Konzernmanager, der über Anwürfe einer ehemaligen Geliebten strauchelt, ist als Fall undenkbar: Geprüft würde nur, ob an den möglichen Betrugs- und Begünstigungsvorwürfen etwas stimme – der Umstand, eine Mätresse, Nebengattin oder Freundin zu haben, provozierte allenfalls kumpelhaftes, respektvolles, schulterklopfendes Lachen. Darauf konnte Browne nicht rechnen. Aufgewachsen in einem Jahrzehnt, in dem Homosexualität von Schwulen selbst noch als Krankheit, Tragödie, auf jeden Fall als etwas zu Verschweigendes anerkannt wurde, wusste der gelernte Physiker obendrein, dass die Zeiten vielleicht liberaler geworden sind – aber nicht in solchen männlich-heterosexuellen Strukturen, wie Konzerne es nun einmal meist sind.

Browne gab dies auch insgeheim zu, mit seinem Satz zum Gerichtsentscheid, der ihn offenbar zum Rücktritt zwang: „Ich habe meine Sexualität stets als meine persönliche Angelegenheit betrachtet.“ Eine Erklärungsformel, die nur Schwule (oder Lesben) ausbringen, weil Heterosexuelle sie nicht nötig haben: Ihr geschlechtliches Begehren ist fraglos selbstverständlich – zumal von unteren Managementebenen in allen Konzernen gern gesehen wird, wenn die Nachwuchskader und die Führungskräfte zumal eine Gattin zum Vorzeigen haben. Das erleichtert das soziale Leben innerhalb des Betriebs, auf Konferenzen, Seminaren und abendlichen Partys: die Gattin als ausgleichende Partnerin, die den Manne schmückt. Insofern ist, wie im Falle John Brownes, ein Schweigen zum Sexuellen in eigener Sache stets auch ein deutliches Eingeständnis, die heterosexuelle Konvention nicht leben zu wollen oder können.

Insofern nimmt nicht Wunder, dass nach allen Untersuchungen schwule Männer (wie Frauen überwiegend auch) bei ihren Aufstiegsambitionen immer an eine gläserne Decke stoßen: Bis hierhin – und nicht weiter. Undenkbar in Deutschland, dass die Vorstände von Daimler, Schering oder Vattenfall mit offen homosexuellen Männern besetzt sind. Irgendwann ist Schluss mit lustig, dann zählt nur der präsentable Ernst – und der wird immer noch in den sattsam bekannten Mann-Frau-Mustern buchstabiert.

Outingfalle Betrieb

Die Annahme jedenfalls, dass in den westlichen Gesellschaften, in denen alle Sonderstrafgesetze gegen Homosexuelle getilgt sind, auch in den Betrieben ein liberales Klima gestiftet worden sei, dass dort Lesben wie Schwule keine Geheimnistuerei leben müssen, ist irrig. Eine neue Studie des Kölner Soziologen Dominic Frohn zur Diskriminierung Homosexueller am Arbeitsplatz erbrachte ernüchternde Resultate. Gut die Hälfte aller Befragten gaben an, an ihren Arbeitsplätzen als Schwule oder Lesben Opfer von Gehässigkeiten (abfällige Bemerkungen, Witzchen) schon geworden zu sein – sogar acht Prozent gaben an, in ihren Betrieben schon einmal verprügelt worden zu sein. Fünf Prozent stellten eine Sachbeschädigung im Büro oder am Band fest: mit homophoben Sprüchen beschmierte Schreibtische etwa. 60 Prozent resümierten, in ihren Betrieben ihre Homosexualität diskret oder schweigsam zu behandeln – aus Erfahrung nütze da ein Outing wenig.

Des britischen BP-Chefs John Browne nicht als hysterisch misszuverstehende Reaktion auf das Zwangsouting wird übrigens auch finanziell bestraft: Er verliert, gewiss aus Scham, mehrere Millionen Pfund an Abfindung, die ihm nach einem regulären Ende seiner Vertragszeit im kommenden Juli zugestanden hätten.