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Archiv-Artikel

Schädliche Online-Schnüffelei?

Das neue NRW-Verfassungsschutzgesetz erlaubt dem Geheimdienst, was allen anderen Behörden der Republik verboten ist: Die heimliche Online-Durchsuchung der Festplatten privater Rechner. Ist die digitale Schnüffelei das Ende der Privatsphäre – und damit verfassungswidrig?

ELMAR KOK, 35, ist Wirtschaftsredakteur der taz nrw. Ihn graust es, wenn Politiker davon reden, dass „Internet-Festplatten“ durchsucht werden sollen – genau wie die Vorstellung, dass demnächst Vertrauensleute des Verfassungsschutzes in Chat-Räumen strafbare Äußerungen provozieren könnten. Die Online-Schnüffelei hält er für eine verfassungswidrige Hausdurchsuchung.

JA

Online-Durchsuchungen sind kein verhältnismäßiges Mittel, um mehr innere Sicherheit in Nordrhein-Westfalen zu schaffen. Der Staat verunsichert seine Bürger – die Erkenntnisgewinne dürften für den Verfassungsschutz dagegen nur minimal sein. Denn diejenigen, die etwas zu verbergen haben, werden sich mit größtmöglichem Aufwand schützen wollen. Will sich der Verfassungsschutz mittels eines so genannten „Trojanischen Pferdes“ Zugang zu einem Rechner eines Verdächtigen verschaffen, muss es zumindest eine Lücke im Sicherheitssystem des Rechners geben, die das Trojanische Pferd hereinlässt.

Staatliche Stellen mahnen aber andererseits die Bürger an, auf maximale Sicherheit ihrer Computersysteme zu achten, um sie vor Online-Kriminalität zu schützen. Und gerade potenzielle Terroristen werden Wert auf maximale Sicherheit ihrer Computer legen und diese dementsprechend mit aktuellster Sicherheitssoftware ausstatten. Experten sind sich sicher, dass diese, wenn sie das Trojanische Pferd nicht entdecken sollte, zumindest das Versenden der Daten feststellen kann.

Somit müssten die Behörden auf Sicherheitslücken hoffen, die die Bürger zur Abwehr von Online-Kriminalität eigentlich beseitigen sollen. Oder sie müssten die Hersteller von Sicherheitssoftware verpflichten, Lücken zu schaffen. Dann aber würden sich die Kriminellen mit ausländischer Software zu schützen wissen.

Beschwerdeführer gegen das Landesverfassungsschutzgesetz führen an, dass es sich bei der heimlichen Durchsuchung von Computern um eine Art der Hausdurchsuchung handelt, von der der Betroffene nichts mitbekomme, das Gesetz somit verfassungswidrig sei. Zumal es nicht einmal einen Richtervorbehalt gibt. Ich halte die Beschwerde für richtig. Denn auf privaten Computern befindet sich mittlerweile alles, was Privatsphäre ausmacht: Private Kommunikation, Fotos und vieles mehr.

Das Gesetz bringt in der Terroristenverfolgung also so gut wie nichts, da sich gut informierte Menschen zu schützen wissen – sorgt aber dafür, dass die Bürger ihrem Staat immer mehr misstrauen.

ELMAR KOK

NEIN

Trotz liberalem Innenminister darf der NRW-Verfassungsschutz jetzt etwas, was allen anderen Ermittlern, der Republik verwehrt wird. Um etwa islamistisch motivierten Terroristen auf die Spur zu kommen, um klandestine rechtsradikale Strukturen zu erkennen, dürfen die Verfassungshüter an Rhein und Ruhr zu Hackern werden und sich unerkannt auf privaten Festplatten umsehen. Die Breitbandstreife, das klingt wie der Angriff auf intime Tagebücher. Ist der Kampf gegen Terror die hochwillkommene Begründung für den gewollten Eingriff ins Bürgerrecht?

Die Kritik an Verfassungshackern ist nahe liegend. Wer will schon seine Privatpost lesen lassen? Aber im Falle des Landesverfassungsschutzes ist zu viel Furcht furchtbar übertrieben. Das Landesamt mit seinen paar hundert Mitarbeitern plant keine Generalattacke auf unsere Rechner. Dazu ist die Behörde viel zu überschaubar, ja, beschaulich. Ausnahmsweise muss man FDP-Innenminister Ingo Wolf glauben, wenn er von zu viel Aufregung spricht.

CHRISTOPH SCHURIAN, 40, ist Redaktionsleiter der taz nrw. wie die meisten Journalisten verbringt er täglich Stunden vor internetfähigen Rechnern. Die Furcht vor der Online-Schnüffelei des NRW-verfassungsschutzes hält er dennoch für „furchtbar übertrieben“. Schließlich sei die Landesbehörde „überschaubar, ja, beschaulich“ – und werde von einer parlamentarischen Kontrollkommission überwacht.

Mit der gebotenen Novellierung des Landesverfassungsschutzgesetzes werden jetzt schon mögliche Verletzungen des Postgeheimnisses, werden Telefon- und Wohnraumüberwachung um behördliche Hackerei erweitert. Auch das Prozedere bleibt das gleiche: eine parlamentarische Kontrollkommission bestimmt eine so genannte G 10, die mit Richtern und Anwälten der politischen Lager bestückt wird und sich ganz gut belauern. Nur wenn die G 10 eine Aktion genehmigt, darf das Amt abhören, Post lesen, Richtmikrofone aufstellen – im vergangenen Jahr kam das ein knappes Dutzend mal vor. Wie man hört, ist es viel leichter, einen richterlichen Beschluss für eine Wohnungsdurchsuchung zu organisieren.

Dass es, gerade beim heftigen Parteienstreit nicht zuletzt im Lager des NRW-Innenministers, jetzt zu Großrazzien übers Internet kommen wird, darf bezweifelt werden. Und: Ob die Junior-Hacker im Verfassungsschutz private Datenschützer überhaupt austricksen können, darf bezweifelt werden. Wer meint, die Tauschwirtschaft des Internet sei wirksam überwachbar, ist weder auf Augenhöhe noch auf der der Zeit.

CHRISTOPH SCHURIAN