Gibt so viel Schlimmeres

So richtig anfreunden mit der Einheitseuphorie, der grenzenlosen Wachstumsprognose und der kokainmunteren Bankerarroganz der beginnenden 90er Jahre wollte sich Herbert Grönemeyer nicht. Der Nachfolger seines Erfolgsalbums „Ö“ sollte die bis dahin schon gut gepflegte gesellschaftskritische Pose des Künstlers noch einmal betonen. „Luxus“ strotzt vor sich leider oft im Klischeehaften verlierenden Beobachtungen einer Welt, die durchaus den Eindruck erwecken konnte, gedankenlos sich selbst feiernd geradewegs auf einen großen Abgrund zuzurauschen. Es wäre wahrscheinlich ungerecht, Grönemeyer auf die Pose zu reduzieren – Lieder wie das zynische „Hartgeld“ und der Titelsong „Luxus“ sind in ihrer Darstellung einer Klasse gewissenloser Profiteure dem Künstler bestimmt eine Herzensangelegenheit, was ihn zwar einerseits ehrt, andererseits aber auch seine Schwäche offenbart: die Ausweglosigkeit der oberflächlichen Betrachtung. Ihm bleibt nichts anderes, als zu konstatieren, dass die Welt nicht gut sei, so wie sie ist. Warum sie so ist oder welche Optionen Menschen außer dem Rückzug ins Private haben, bleibt der öffentlichen Person Grönemeyer verborgen. Das furchtbar kitschige, klebrig post-hippieske „Kinder an die Macht“ aus dem Jahre 1986 ist bis heute Grönemeyer politischstes Statement geblieben. Der Pathos jener Lieder, wenn er ganz privat wird, ist hingegen viel anrührender, viel positiver und vor allem viel authentischer als alle seine Gesellschaftskommentare, das gilt für „Flugzeuge im Bauch“ (1984), „Halt mich“ (1988) und eben auch „Marie“ (für seine neugeborene Tochter) vom Luxusalbum. Das liegt nicht zuletzt an der sparsameren Produktion der Liebeslieder, in denen auf den Bombast von synthesizergestützten Soundteppichen (sehr schlagerverdächtig!) und irgendwie „funky“ daherkommenden Beats verzichtet wird. Auch sind die häufig erzwungen wirkenden und den Gesang bisweilen unerträglich machenden Betonungsverschiebungen, das typische Grönemeyer-Geknatter, hier seltener.

Ein bisschen redundant ist alles Rumgekrittel an dem erfolgreichsten deutschsprachigen Musiker dann schon. Seit er 1984 mit der LP „4630 Bochum“ Michael Jacksons „Thriller“ als erfolgreichste Platte des Jahres in Deutschland schlug, war jedes seiner Alben bei Veröffentlichung an der Chartspitze. Das trifft auch auf das eher schwächere „Luxus“ zu, das bei aller Verkürztheit ja wenigstens einen kritischen Ton mitten im nationalstolzen Unbesiegbarkeitstaumel massentauglich platzieren konnte. Das ist doch schon was wert. DANIÉL KRETSCHMAR

■ Herbert Grönemeyer: 5. 6., 19 Uhr, Olympiastadion. VVK: ab 52 €