Terror! Schalten Sie ein!

Mit der abgelehnten Begnadigung von Christian Klar ist der Medienhype um die RAF noch lange nicht vorbei. Im Jubiläumsjahr des „Deutschen Herbstes“ wird es neue Dokus, Talkshows und Filme geben. Was macht die RAF nach dreißig Jahren noch interessant? Und kann das Fernsehen überhaupt dabei helfen, das Phänomen RAF zu verstehen?

VON WILFRIED URBE

Was war die RAF? Eine eindeutige Antwort werden wir wohl nie erfahren. Was ist die RAF heute? Darauf lässt sich vor dem 30. Jahrestag des „deutschen Herbstes“ 1977 genau antworten: ein eigenes Film- und TV-Genre. Mindestens vierzig Filme und Dokumentationen sind bisher über den deutschen Terrorismus entstanden. Und es werden immer mehr, angefangen bei „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ über „Die bleierne Zeit“ bis hin zum Kinoprojekt „Der Baader-Meinhof-Komplex“, das der RAF-Chefrezipient Stefan Aust und der Filmproduzent Bernd Eichinger im nächsten Jahr verwirklichen wollen. Auch Spiegel TV arbeitet zurzeit im Auftrag des NDR an einer weiteren Dokumentationsreihe. Sechzig Interviews mit Zeitzeugen sollen „eine der wenigen zusammenhängenden Darstellungen“ über die RAF ergeben, wirbt der NDR-Kultur-Chef Thomas Schreiber und kündigt an: „Es kommt auch zu einer Neubewertung des Handelns.“

Der Medienwissenschaftler und taz-Autor Klaus Kreimeier bezweifelt allerdings, dass der Medienrummel überhaupt etwas Neues bringen kann. Aust habe mit seinen Recherchen bereits ganze Arbeit geleistet und Breloers TV-Dokumentation vor zehn Jahren (Wiederholung am Freitag, 23.30 Uhr, und Sonntag, 24.00 Uhr, im Ersten) sei so etwas wie das „letzte Wort“ gewesen: „Allerdings standen uns da 9/11 und die Konjunktur des islamistischen Terrorismus noch bevor – diese aktuelle Konstellation, obwohl unvergleichbar, macht auch die RAF wieder marktfähig.“ Tatsächlich gehe es dabei wohl um das Prinzip „more of the same“. Kreimeier: „Für die 68er Linke gilt: Nur wenige haben die RAF politisch, theoretisch, aber auch in ihrer eigenen Biografie und psychisch konsequent aufgearbeitet, die Problematik des linken Terrors als eines inhärenten Teils der Story von 68 wirklich durchdrungen. Noch heute gibt es verdruckste Äußerungen, schiefe Positionsmeldungen.“ Der Medienboom von heute werde wohl nicht bewirken, dass die Linken von damals nachholen, was sie dreißig Jahre lang versäumt haben: eine Abrechnung mit dem linken Terror auf dem Anspruchsniveau linker Theorie. Von der massentauglichen Verwertung eines Eichinger/Aust-Films über die RAF dagegen erwartet Kreimeier ungefähr das, „was uns Eichinger und andere über den Führerbunker zugemutet haben oder, um mit Brecht zu sprechen, ‚Tha-eter‘, aber nicht Theater im aufklärerischen Sinn.“ Man könne die beiden zwar nicht daran hindern, mit ihrem Film dem medialen Hype noch eine „völlig überflüssige Krone“ aufzusetzen: „Aber der Film wird nur das selbstreferenzielle Rauschen und Raunen in der medialen Parallelwelt verstärken – mehr nicht. Es wird Kohle gemacht werden und Preise geben. Für die Gesellschaft aber wird die RAF weiterhin schwer verdaulich bleiben.“ Warum also kann das Thema nach dreißig Jahren medial noch so attraktiv sein? Der Historiker Hans-Ulrich Wehler erklärt: „Eine aufsteigende Konsumgesellschaft, die in äußerer Sicherheit lebte, konnte es außerordentlich schwer verstehen, warum ein Teil der jungen Leute, die 68 protestiert hatten, in diese Art des Terrorismus abglitten. Dieses sinnlose Töten hatte eine schockierende Wirkung, das bleibt bis heute bestehen.“ Die gesamte 68er Bewegung könne man sich nicht ohne die Wirkung und ohne die langanhaltende Sympathie der Medien vorstellen: „Und nachdem der Vietnamkrieg erst mal gezeigt hatte, was Medien aus einem Krieg machen können, spielte die Gier nach Bildern eine große Rolle.“

Tatsächlich haben gerade die Fernsehbilder des Vietnamkrieges als Initialzündung gewirkt. Der erste terroristische Gewaltakt, die Brandstiftung in einem Frankfurter Kaufhaus, sei eine Protestaktion gegen die „bewusste Gleichgültigkeit gegenüber dem Krieg in Vietnam“ gewesen, erklärten Gudrun Ensslin und Andreas Baader. Später haben die Protagonisten der RAF den Terrorismus folgerichtig als Massenkommunikation verstanden. Trotz der als „reaktionär“ und „repressiv“ gebrandmarkten Strukturen der Medienkonzerne und Sender versuchten sie diese zu nutzen. Während der Schleyer-Entführung etwa gehörte die Veröffentlichung von Botschaften in der Tagesschau mit zu den wichtigen Forderungen.

In der Darstellung des Phänomens in den Medien erkennt Kreimeier drei Etappen: Die ersten Spielfilme hätten sich noch in echter oder medienwirksamer „Betroffenheit“ verheddert. Dann habe das Fernsehen jahrzehntelang die aktuellen Bilder der 70er-Jahre in der journalistischen Ikonografie seiner zeitgeschichtlichen Sendungen recycelt. „Darauf folgte eine kurze Periode, in der die RAF so etwas wie Pop war, mit Filmen wie ‚Baader‘ gab es ein völlig unpolitisches Interesse an der Ikonografie und Ästhetik des linken Terrors, am ‚Lebensgefühl‘ der 68er und den ‚wilden Zeiten‘ damals.“ Doch die Zeiten, in denen der Terror zur sinnfreien Modewelle im Stil der „Prada Meinhof Collection“ mutieren konnte, sind nach 9/11 endgültig vorbei – auch wenn im sehr befristeten Medienhype um Uschi Obermaier die Rezeption als „Spaß-Revolution“ noch einmal aufflackern konnte. Denn, sagt Kreimeier, „die Lage im Land und der Terror in der Welt erinnern uns daran, dass vor dreißig Jahren in Westdeutschland geschossen wurde und 6 gegen 60 Millionen einen veritablen Krieg entfesselt hatten.“

Angesichts der aktuellen Bestrebungen, in einem Klima der Angst und Unsicherheit die Bürger noch mehr zu überwachen und zu kontrollieren, ist eine der wichtigsten Fragen von damals aktueller denn je: Bleiben die Grundrechte in Kraft? Diese Frage werden auch die nächsten hundert RAF-Filme und Dokus nicht beantworten können.