: Wider die „Ludwigelei“
KULT Zum 125. Todesjahr Ludwigs II. von Bayern: Mit einem gestandenen bayerischen Monarchisten zu Besuch auf Schloss Linderhof
■ „Götterdämmerung – König Ludwig II. und seine Zeit“ – Bayerische Landesausstellung 2011 auf Schloss Herrenchiemsee, bis 16. Oktober
■ „Denk Mal! – Tourismus in Linderhof seit 1886“ – Ausstellung in Schloss Linderhof, 10. Juni bis 11. September
■ „Vom Lynder-Hof zum Schloss“ – Ausstellung in Schloss Linderhof, 10. Juni bis 16. Oktober
■ Weitere Tipps zum Ludwig-Jahr unter www.hdbg.de/ludwig/ludwigii_links.php
VON GEORG ETSCHEIT
Hannes Heindl ist nicht zu bremsen. Schon am Telefon nicht. Dabei will man sich mit ihm nur für einen Besuch in einem der bayerischen Königsschlösser verabreden. Er habe im Moment sehr viel zu tun, schließlich sei Ludwig-Jahr und da kursierten noch mehr Unwahrheiten über den König als sonst. „Aber nicht Neuschwanstein“, bittet Heindl. Sondern Linderhof, das Lieblingsschloss Ludwigs II., das einzige, das zu seinen Lebzeiten fertiggeworden sei.
Heindl ist überzeugter Monarchist. Und er hat eine Mission: die Ehrenrettung König Ludwigs II. von Bayern, der am 13. Juni 1886 unter bis heute nicht geklärten Umständen nahe Schloss Berg im Starnberger See zusammen mit seinem Arzt Dr. Gudden ums Leben kam. An einen Selbstmord oder Unfalltod glaubt Heindl natürlich nicht. Heindl will das Andenken des Königs vor historischen Verfälschungen bewahren. Auf des Monarchen Beinamen „Märchenkönig“ reagiert Heindl allergisch und auch vom „Mythos Ludwig“ will er nichts wissen. „Das ist kein Mythos, das war halt so.“
Mit hunderten Leserbriefen, Petitionen an den Bayerischen Landtag und gelegentlichen Fernsehauftritten kämpft Heindl seit Jahrzehnten gegen die „Legendenbildung“ und die „Ludwigelei“, die „immer rücksichtslosere Vermarktung“ des Königs. Regelmäßig beteiligte er sich mit seiner Privatsammlung von Ludwig-Devotionalien an Gedenkausstellungen. In diesem Jahr, in dem im ganzen Bayernland des 125. Todestages des Kini gedacht wird, hat er es sogar mit einem Exponat in die Landesausstellung auf Herrenchiemsee geschafft. Stolz präsentiert er den Ausstellungskatalog, in dem auch das „Heckbrett“ des Bootes abgebildet ist, mit dem die Leiche des Königs seinerzeit angelandet wurde. „Das Boot wurde verbrannt, um keine Reliquie zu schaffen“, sagt Heindl. Nur das Brett habe der Fischer retten können.
Der Rummel um den Märchenkönig, wir scheuen uns trotz Heindls möglicherweise gerechtfertigter Bedenken nicht, den eingeführten Begriff weiter zu gebrauchen, ist in diesem Jahr außerordentlich. Der Ludwig-Hype scheint den seines 100. Todestages im Jahre 1986 noch in den Schatten zu stellen. Vielleicht ist die Sehnsucht nach der heilen Welt, die sich auch in der Verehrung des „Märchenkönigs“ spiegelt, heute nach diversen Umweltkatastrophen und der Finanzkrise noch größer als vor einem Vierteljahrhundert. Die Zeitungen jedenfalls bringen seit Monaten eine Ludwig-Serie nach der anderen, in allen Schlössern gibt es Sonderausstellungen. Die größte unter dem Motto „Götterdämmerung“ wird auf Schloss Herrenchiemsee gezeigt. Die vom Haus der Bayerischen Geschichte und der Schlösserverwaltung organisierte Bayerische Landesausstellung 2011 will wieder einmal dem Mythos von „König Ludwig Superstar“ auf den Grund gehen, der „neben James Dean, Marilyn Monroe und Michael Jackson weltweit zu den Ikonen der Moderne“ zähle, wie es im Ausstellungsflyer heißt. Auch hier gruselt es Heindl. Ludwig in einer Reihe mit dem Popstar? Das sei nun wirklich unter der Gürtellinie.
Viele Bayern meinen, dass sie mit den Wittelsbachern gar nicht so schlecht gefahren sind. Trotzdem kann man im „Freistaat“ nicht von einer echten monarchistischen Bewegung sprechen. Am treffendsten hat das bayerisch-monarchische Lebensgefühl wohl Georg Lohmeier formuliert, bekannt als Gründer des Bundes bayerischer Patrioten und Autor der Fernsehserie „Königlich Bayerisches Amtsgericht“: „Mir brauchen keinen König in Bayern, aber schee wär’s scho.“ Heindl sagt später im Schlosscafe zu Linderhof, er sei zwar ein Anhänger der Monarchie, jedoch nicht so unrealistisch, eine Rückkehr Bayerns zum Königtum zu fordern. Schließlich sei Bayern kein eigenständiger Staat mehr. Im Übrigen glaube er nicht, dass die Wittelsbacher überhaupt noch Interesse am Regieren hätten. „Das ist doch wie ein Gefängnis“, meint er mit Blick auf die von der Klatschpresse rund um die Uhr überwachten und in allerlei Skandälchen und Affären verstrickten europäischen Restmonarchien. „Den Wittelsbachern ging es nie so gut wie heute.“
HANNES HEINDL, 1956 ZUM 70. TODESTAG LUDWIGS II.
Die Autofahrt von München nach Linderhof dauert eine gute Stunde. Auf Höhe von Schloss Berg, dem Todesort des Monarchen, kramt Heindl in seinen Kindheitserinnerungen. Nach dem Krieg lebte er eine Zeitlang auf einem Bauernhof nahe den Ufern des Sees, der zu Ludwigs Zeiten noch „Würmsee“ hieß. Er sei als Bub Menschen begegnet, die den König noch leibhaftig kennen gelernt hätten. „Das Unglück lag erst eine Generation zurück. Die ganze Gegend war noch infiziert von dem Geschehen.“ Damals hörte er auch den Vers, den sich die Menschen kurz nach Ludwigs Tod und der Amtsübernahme durch den Prinzregenten Luitpold zuraunten. „Prinzregent Luitpold, leg di’ nieder und krepier / König Ludwig, steh auf und regier!“
In Linderhof steuert Heindl, seine Kamera immer im Anschlag, zuerst das Ludwig-Denkmal an, das der von ihm gegründete König-Ludwig-Club 1982 errichten ließ. Bis heute ärgert ihn, dass die Verwaltung es nicht erlaubt hatte, die Büste im Schlosspark selbst aufzustellen, sondern auf einer kleinen Anhöhe vis-a-vis den Eingangsgebäuden mit Andenkenladen und Ticketverkauf. Aus Denkmalschutzgründen und weil Ludwig in Linderhof keine Bildnisse seiner selbst duldete.
Der Ludwig-Kopf ist ein Nachguss jener Büste, die der Bildhauer Caspar Zumbusch für Richard Wagner geschaffen hat und die heute vor der Villa Wahnfried in Bayreuth steht. Was Ludwigs Komponisten-Idol anbelangt, saß Heidl jahrelang sozusagen an der Quelle. Er war 37 Jahre lang an der Bayerischen Staatsoper tätig, zuletzt als Bühnenplastiker, und sah fünf Intendanten kommen und gehen und noch viel mehr Wagner-Opern.
Am Kartenschalter verlangt Heindl, umgehend Frau Stache, die Schlossverwalterin, zu sprechen. Doch Frau Stache ist nicht auffindbar, aus der erhofften Privatführung oder sogar der Möglichkeit, sich frei im Schloss zu bewegen, wird nichts, sehr zum Verdruss von Heindl. Wie die anderen Touristen müssen wir uns in die Schlange einreihen und an einer Führung teilnehmen. Die Führerin, eine Frau Hosp, erzählt im Schnelldurchlauf, was die Touristen so wissen wollen. Allgemeine Enttäuschung, als sie erklärt, dass im ganzen Schloss nur schlappe fünf Kilo Blattgold verwendet wurden.
Heindl führt sich zuweilen auf, als wäre er der Schlossherr von Linderhof. Immer wieder korrigiert er die sichtlich genervte Frau und entdeckt Veränderungen, die ihm nicht zusagen. Die Marmorfigur habe doch früher auf dem Tisch gestanden. „Warum habts den da unten abgestellt?“ Damit man besser putzen könne, entgegnet Frau Hosp. „Wir sind auch nicht ganz glücklich darüber.“ Mehr als hundert Winter habe die Figur dort gestanden, grummelt Heindl. „Und jetzt steht die auf dem Boden wie a Nachthaferl.“
Im Garten steuert Heindl den Maurischen Kiosk an, einen morgenländisch herausgeputzten Pavillon. „So etwas Ähnliches steht auch im Garten von Schloss Sanssouci, dort gilt das nicht als verrückt.“ Damit wäre gesagt, was Heindl von der angeblichen Geisteskrankheit des Königs hält: nämlich nichts.
Weitere Fragen: War Ludwig schwul? Die Gelehrten seien sich nicht einig, wie weit des Königs Affinität zum eigenen Geschlecht gegangen sei, meint Heindl. Aber dass die „Homos“ Ludwig zu ihrem Idol erkoren habe, findet Heindl nur „blöd“. Wurde Ludwig ermordet? Die genaue Todesursache sei ungeklärt. Heindl glaubt an ein Mordkomplott der bayerischen Regierung, die des Königs Entmündigung betrieben hatte, mit dem Prinzregenten Luitpold im Hintergrund. Hat Ludwig mit seinen Schlössern Bayern ruiniert? Nein, sagt Heindl, der König sei nur privat verschuldet gewesen. „Er hat keinen Pfennig an öffentlichen Mitteln verwendet.“ Dass die Historiker meist zu anderen Schlussfolgerungen kommen, stört Heindl nicht. Es bestärkt ihn eher in dem Gefühl, allein die Ehre des verflossenen Monarchen zu verteidigen.
Bei Bier und Bienenstich in der Schlossgaststätte erklärt Heindl den Nimbus von Ludwig II. damit, dass der König unverheiratet gewesen sei. „Das Volk musste ihn mit niemandem teilen.“ Außerdem sei Ludwig, „was ihn selbst betraf“, immer souverän gewesen. „Was er nicht wollte, das machte er nicht.“