Wir stehen ja auch auf Machoscheiß

RAPPER Leicht blasierte Erzählerin, herkunftsdeutsch, sucht … „Wunderland“ von Sophie Albers

VON RENÉ HAMANN

Dieses Buch könnte der erste Schritt in Richtung einer Integrationsliteratur sein, so man in Deutschland überhaupt eine solche braucht. Das Problem daran ist, dass das Buch so unglaublich deutsch ist. Geschrieben wurde es von der Journalistin Sophie Albers, und man ist schnell geneigt, (auto)biografische Züge zu erkennen.

Denn Sophie Albers, Anfang 40, hat mehrmals den Rapper Bushido interviewt und einige Reportagen über ihn verfasst, etwa für den Stern. Die Autobiografie des Rappers hat allerdings dann Lars Amend geschrieben – aber Albers ist Bushido immer nah geblieben. Von dieser Nähe (nur ohne Bushido) erzählt dieser Roman „Wunderland“ auch.

Diese Geschichte einer konfliktscheuen Reporterin ist bis zur Hälfte wegen einiger bei schlechten Krimis abgeschauten Tricks und weiterer reproduzierter Klischees kaum auszuhalten. Kapiert man aber, dass es gar nicht um den männlichen Protagonisten Tamer und um seine Kumpane geht, sondern um der Erzählerin eigene Fremdenangst, wird es interessanter.

Der vielleicht entscheidende Satz steht auf Seite 69: „Ich muss zugeben, dass ich zuweilen auf diesen Machoscheiß stehe.“ Das Zielobjekt des Buchs, das Objekt der Erzählerin, ebenfalls Journalistin bei einem großen Haus, ist also ein junger Mann aus dem Getto. Einer mit Migrationshintergrund. Einer aus Berlin-Neukölln, Deutscher, aber mit libanesischem Vater und dem typischen Unterschichtsgehabe. Was dieser Tamer jetzt so genau macht, um sich über Wasser zu halten, wird nie ganz klar, aber es deutet alles darauf hin, dass es etwas Illegales ist. Hehlen, Verticken, Abziehen, Organisieren. Natürlich ist auch viel von Schlampen und Huren die Rede. Ein Rapper aber ist Tamer nicht.

Hanna, so heißt die Erzählerin, ist auf Tamer gestoßen, als sie im Zuge der Unruhen rund um die Rütlischule recherchierte. Was in dem schmalen Roman hauptsächlich erzählt wird, ist die Geschichte einer Anziehung/Abstoßung, die die wohlerzogene, reflektierte, bürgerliche Erzählerin erfährt. Eine Form von dem, was Douglas Coupland einmal „Social Slamming“ nannte. Also das Eintauchen in ein fremdes soziales Umfeld, aus Freude an der Irritierung, aus Recherchegründen, zum Zwecke einer neuen Selbstjustierung.

Dass die Erzählerin ihrer Herkunft kaum entkommt, wird schnell klar. Denn die beschriebenen Umstände, die Eigenschaften und Charakterzüge der Jungs aus dem Untergrund bleiben auf langer Strecke allzu vorhersehbar und schemenhaft. Es gibt ein Shisha-Café oder einen Kulturverein, Autofahrten durch ruinöse Viertel, sexistisches, antisemitisches oder sonst wie unkorrektes Geschwafel und viel machohaftes Getue. Die Beschreibungen all dessen bleiben immer nah am Klischee, denn „Klischees sind ja wahr“, wie es so ähnlich auch irgendwo in dem Buch heißt. Es ist manchmal fast, als ob Albers’ Recherche über Detlev Bucks Film „Knallhart“ nicht hinausgekommen wäre.

Es geht also weniger um Tamer, dessen harte Schale natürlich irgendwo einen weichen Kern verbirgt, dessen kernige Sprüche natürlich irgendwo ein Korn Wahrheit enthalten und dessen geäußerte Statements natürlich irgendwo auch erfrischend, da klar auf den Punkt gebracht sind usw. usw. und dessen machohaftes Gehabe natürlich irgendwo anziehend wirkt, besonders auf eine Frau, die auf ihre Verkopftheit und gute Erziehung sehr viel Wert legt. Genauso natürlich kommt es nicht zum Äußersten. Den wirklichen Cultureclash, die dünkelhafte Perspektive einer (übrigens jüdischen) Reporterin und die eines durchsetzungsstarken Geknechteten der Gesellschaft durch eine Liebesgeschichte zu schicken, die vom Standesgemäßen nichts mehr wissen will, dieses Wagnis geht der Roman nicht ein. Geht ja auch nicht, schließlich bleibt alles zu sehr am Klischee und zu sehr an der dann doch zu ängstlichen Figur der Hanna kleben.

Was dieses Debüt interessant macht, ist also weniger das Zielobjekt, sondern die Perspektive, in die die Erzählerin verstrickt bleibt. Eine Perspektive, die von sozialen Unterschieden, Standesdünkel, Fremdenangst und Beharren auf der eigenen auch intellektuellen Arriviertheit durchzogen ist. Und gleichzeitig versucht, den allmählichen Verlust all dieser Beschränkungen zu reflektieren. Man könnte auch sagen: Leicht blasierte Tochter aus gutem Hause, herkunftsdeutsch, Journalistin, versucht sich dem Exoten aus dem Viertel nebenan zu nähern und scheitert.

Sophie Albers: „Wunderland“. Knaus, München 2011, 176 Seiten, 14,99 Euro