: Kann Obama etwas von Merkel lernen?JA
AUSTAUSCH Libyen, Wirtschaft, Atompolitik – Kanzlerin und US-Präsident trennt vieles. Bei einigen Themen steht sie besser da als er
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Michael Naumann, 69, ist Chefredakteur des Monatsmagazins Cicero
Verspreche nichts, regiere einfach mal ein gutes Jahr lang überhaupt nicht. Das beruhigt die Nerven und es hätte ihm das Guantánamo-Debakel erspart. Erwecke ansonsten keine Hoffnungen und verweise auf ihre fabelhafte Erfüllung. Suche dir einen lustigen Außenminister und schiebe ihm die Schuld am schlechten Ruf des Landes bei den Verbündeten in die Schuhe. Obamas Bewältigung der Konjunkturkrise Amerikas – etwa durch die kurzfristige De-facto-Verstaatlichung von General Motors – hat der deutschen Exportindustrie einen hübschen Aufschwung beschert. Das kann er wirklich von uns lernen. Was bleibt sonst auf dem Stundenplan der German Lesson? Reduziere die US-Army genau wie die Kanzlerin auf die Größe der griechischen Armee und überlasse den ehemaligen europäischen Alliierten die berüchtigte Sicherung der Handelswege, von den absehbaren Schlächtereien im nächsten Krisengebiet abgesehen. Eines aber sollte er besser nicht von ihr lernen: wie man das Parlament entmannt.
Alexander Graf Lambsdorff, 44, ist Vorsitzender der FDP im Europaparlament
Natürlich, sie verkörpert ja geradezu den amerikanischen Traum des Mädchens, das in der Diktatur groß wird, als junge Frau für die Freiheit kämpft und dann eine Karriere macht, bei der selbst Tellerwäscher-Millionäre staunen müssen. Ohne Leute wie Merkel gäbe es kein „Europe whole and free“. Und jetzt gibt es das nächste große transatlantische Projekt: Eine Weltregion rüttelt an ihren Ketten, wirft sie teilweise ab und will endlich, was Europa und Amerika schon lange haben: Freiheit, Wohlstand und echte Chancen auf ein Leben in Würde. Höchste Zeit, dass Obama auf Merkel und alle anderen hört, die einen solchen Übergang selbst erlebt haben. Aus dem Widerstand zur Gestaltung. Aus der Unterdrückung zur Freiheit. Aus der Diktatur zur Demokratie. Das braucht Arabien. Das hat Merkel erlebt. Obama sollte gut zuhören.
Gayle Tufts, 50, ist amerikanische Entertainerin mit Wohnsitz in Berlin
Warum über Atomausstieg oder Ölbohrungen im Golf von Mexiko diskutieren? Lass Obama in einem Hotel ohne Klimaanlage übernachten und bring ihm das ur-deutsche Konzept des Lüftens bei. Jeder an Tiefkühlfach-Zimmertemperatur gewöhnte Ami ist schockiert und begeistert von der Effizienz des Morgens-Vorhang-zu-abends-durchlüften-Rituals – ein einfaches Plädoyer für erneuerbare Energie.
Arne Jungjohann, 37, arbeitet für die Heinrich-Böll-Stiftung in Washington, DC
Zwar hält Obama an der Atomenergie fest. Doch wie Deutschland den Ausstieg aus der Atomkraft mit dem Einstieg ins Solarzeitalter verbindet, dürfte ihm imponieren. Denn das ist in seiner ersten Amtszeit nicht gelungen: Ein nationales Klimagesetz ist gescheitert, der Kongress blockiert alle zaghaften Ansätze einer energiepolitischen Modernisierung. Win the Future lautet ein möglicher Slogan der Obama-Kampagne für 2012. Beim Abendessen mit der Kanzlerin kann der US-Präsident diesem Ziel näher kommen.
NEIN
Anke Ortlepp, 43, Professorin für amerikanische Kulturgeschichte in München
Besonders in Sachen Energiepolitik sollte er nicht in die Merkel-Schule gehen. Keine Verlängerung der Meilerlaufzeiten und dann doch. Atomausstieg vielleicht morgen und dann – nach der Katastrophe von Fukushima – doch besser heute. In den USA nennt man dieses Hin und Her flip-flopping. Auch Obama ließ sich von tagespolitischen Notwendigkeiten bei der Gestaltung der Energiepolitik leiten. So sprach er sich zunächst für ein Verbot von Ölbohrungen auf hoher See aus. Als Anfang 2010 die Benzinpreise auf ein Niveau stiegen, das viele Amerikaner und Amerikanerinnen als unzumutbar empfanden, vollzog er eine Kehrtwende. Wenig später explodierte im Golf von Mexiko die Bohrinsel Deepwater Horizon. Mit schweren Folgen für das Ökosystem und Obamas Umfragewerte. Auch wenn sich diese erholt haben und im Golf wieder gefischt wird: Die USA brauchen dringend eine konsequente, an Ressourcenknappheit orientierte Energiepolitik.
Pascal Noller, 26, Informatikstudent aus Aalen, kommentierte auf taz.de
Dass Deutschland wirtschaftlich aus der Krise kam, liegt meiner Meinung nach zu großen Teilen an den soliden Privathaushalten, die in Deutschland geführt werden. Statistisch gab es keine Einbrüche im Konsumverhalten, was den hiesigen Firmen durch die Zeit der schwächelnden Exportnachfrage half. Daran hat Merkel keinen Anteil. Ihr Verdienst beschränkt sich darauf, über das HRE-Hintertürchen das große Ungetüm im deutschen Bankensektor sanft gefangen zu haben – Teil des Fangnetzes sind die unbeliebten Budgets Bildung und Soziales. Hier hat sie mit Obama schon mal eine Verständigungsgrundlage. Was man der Regierung zugutehalten kann, wenn man auf Wirtschaftswachstum steht: Das Modell der Kurzarbeit half vor allem kleinen Firmen zu überleben, wurde von Konzernen aber auch schamlos zur Gewinnoptimierung ausgenutzt und wird vom Steuerzahler mitfinanziert. Was kann Obama von Merkel lernen? Wie man Politik macht, ohne Entscheidungen zu treffen. Was kann Merkel von Obama lernen? Was passiert, wenn man die „Nähe“ zu den Medien verliert.
Sascha Vogt, 30, ist Politologe und seit 2010 Bundesvorsitzender der Jusos
Bitte nicht. Zwar mag es mit dem reinen Wirtschaftswachstum hierzulande bergauf gehen. Schwarz-Gelb sorgt aber dafür, dass bei breiten Bevölkerungsschichten nichts von diesem Wachstum ankommt. Wachstum und geringe Arbeitslosenzahlen sind kein Wert an sich. Die Tarifabschlüsse bleiben unter den Wachstumsraten, es profitieren mal wieder nur die ohnehin schon Wohlhabenden. Und die meisten neuen Arbeitsplätze sind prekär und im Niedriglohnbereich. Das ist eine direkte Folge der Arbeitsmarktpolitik von Angela Merkel. Weil sie nichts tut, um das zu ändern. Hätte die Bundeskanzlerin irgendeinen Gestaltungsanspruch, würde sie dafür sorgen, dass es vielen und nicht nur einigen wenigen besser geht. Stattdessen kürzt sie jetzt die arbeitsmarktpolitischen Förderinstrumente. Das ist ein Sparen auf Kosten der Schwächsten. Bei der Gesundheitsreform spielt sie das gleiche Spiel auf dem Rücken der Beschäftigten. Diese Bundesregierung verschärft die soziale Spaltung. Dabei sind gleichere Gesellschaften zufriedener. Vielleicht dient Angela Merkel als Negativ-Beispiel. Aber bitte nicht als Blaupause für eigene Politik.