: „Die Militanz kommt vom Staat“
WIDERSTAND Der Hamburger Dieter Kröger bekämpft seit 40 Jahren die Nutzung der Atomenergie. Ohne Gewalt wäre die Bewegung nicht erfolgreich gewesen, sagt er. Er findet, dass man sein Leben lang Jugendsünden begehen muss
■ ist von Beruf Solarkonstrukteur und engagiert sich für ein kostenloses Nahverkehrsticket für Wohnungslose. Er gehört zur Videogruppe der Bürgerinitiative „Altonaer Museum bleibt!“, die einen Dokumentarfilm über die deutsche Anti-AKW-Bewegung gedreht hat. „Unser gemeinsamer Widerstand“ ist schon in Tokio und Kyoto gezeigt worden. Kürzlich war der Film im Hamburger Theater „Polittbüro“ zu sehen, Ende November folgt Warschau.
INTERVIEW GERNOT KNÖDLER
taz: Herr Kröger, der Atomausstieg ist beschlossen. Kann sich die Bewegung jetzt zur Ruhe setzen?
Dieter Kröger: Der Atomausstieg ist zynisch und menschenverachtend, denn in Wirklichkeit ist er nicht passiert. In Gronau läuft eine der weltweit größten Urananreicherungsanlagen, in Lingen produziert die Brennelementefabrik ungehemmt für den internationalen Markt. Deswegen finden täglich Atomtransporte statt – auch durch den Hamburger Hafen–, die der SPD-Senat nicht stoppen will. Die deutsche Regierung ist mit Hermesbürgschaften beteiligt und die deutsche Industrie mit Technik an der Atomindustrie im Ausland.
Das heißt, 40 Jahre Bewegung waren für die Katz?
Man muss differenzieren zwischen dem Bau neuer Atomkraftwerke und dem, was in dem Atomausstieg nicht vorkommt. Dass keine neuen Atomkraftwerke mehr gebaut wurden, ist Ergebnis des Widerstands und nicht von Regierungsbeschlüssen. Nach Brokdorf hat der Staat nicht noch einmal gewagt, auch nur ein einziges neues Atomkraftwerk zu planen.
Was war das Erfolgsrezept?
Dort wo sich die Bevölkerung nicht hat auseinanderdividieren lassen zwischen Friedlichen und Gewalttätigen wie in Wackersdorf oder Wyhl, hat man die Anlagen am Ende verhindert. In Wackersdorf hat der damalige bayerische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß (CSU) gesagt, dass die Angriffe auf den Bauzaun aus der Deckung der friedlichen Demonstranten heraus vorgetragen worden wären. Das Problem für die Regierung war, dass die Leute zusammengehalten haben.
Wo liegt die Grenze der Militanz?
Die Militanz kommt vom Staat. Wir leben in einer von Gewalt beherrschten Gesellschaft, wo die meisten das als Alltag hinnehmen und es in ihren Herzen und Köpfen verinnerlicht haben. Über Gewalt wird immer nur diskutiert, wenn jemand Steine wirft. Dabei kommt die Gewalt von der Atomindustrie und vom Staat, der dieses gigantische Verbrechen implementiert hat.
Ist widerständige Gewalt nur gegen Sachen oder auch gegen Menschen erlaubt?
Das ist eine Frage aus dem Hinterhof des Gewaltmonopols. Einigkeit bestand in der Bewegung darüber, dass Gewalt gegen Sachen auf jeden Fall toleriert wird. Nach den Kämpfen 1977 um das AKW Grohnde war dem Widerstand klar: In der direkten Auseinandersetzung kommt man gegen eine aufgerüstete Polizei nicht an. Man hat sich dann auf Sabotage konzentriert. Weil die Bundesregierung eine Nachrichtensperre verhängte, drang kaum in die Öffentlichkeit, dass dabei über 100 Strommasten umgelegt wurden. Alleine in Schleswig-Holstein ist in einem Jahr ein Schaden von zehn Millionen Mark entstanden – durch Absägen, Abschrauben und Sprengen.
Die Rechnung haben auch die bezahlt, die die Atomkraft nach wie vor haben wollten … Es gab ja nicht immer eine Mehrheit für den Ausstieg.
Was meinen Sie denn mit Mehrheit? Wenn Parteien ihre Leute zur Wahlurne bringen, ist die Atomkraft immer nur ein Aspekt. Hätte man eine direkte Demokratie, wäre mit Sicherheit kein Atomkraftwerk gebaut worden.
Wären Sie dafür, komplett auf eine direkte Demokratie umzuschwenken?
Das ist das Mindeste, was ich fordere. Die repräsentative Demokratie ist erweislich eine schlimme Vergewaltigung der Gesellschaft. Da kann ich nur Jutta Ditfurth zitieren, die Mitgründerin der Grünen war, und der Partei den Rücken gekehrt hat. Sie hat gesagt: „Durch Wählen wird man in dieser Welt nichts verändern.“
Wie sähe Ihr Alternativmodell aus?
Ich bin nicht der Patentrezept-Erfinder für irgendwelche Modelle. Jede kleinste Aktion und Aktivität heute hier, das bringt Freiheit – nicht die großen, nur gedachten, nie gemachten!
Eine direkt getroffene Entscheidung macht einen legitimen Widerstand allerdings schwieriger.
Widerstand wäre dann gar nicht nötig.
Sind Sie erst durch die Anti-AKW-Bewegung zur Politik gekommen?
Die Anti-AKW-Bewegung trug sicher zu einer stärkeren politischen Emanzipation bei. Nachdem ich wahlberechtigt wurde, habe ich nur einmal gewählt. Danach bin ich sehr schnell zu der Überzeugung gekommen, dass ich nie mehr zur Wahl gehe – nicht weil ich politikverdrossen oder desinteressiert war, sondern weil ich überzeugt war, dass das nichts bringt.
Das heißt, Sie waren auch nie in einer Partei engagiert?
Das ist für mich völlig fremd. Ich bekäme richtig schlechte Gefühle, wenn ich mich in so einer Parteigeschichte einbringen oder Wahlveranstaltungen anhören müsste. Das tue ich mir nicht an.
Wenn Sie sich in Initiativen engagieren, sind Sie über kurz oder lang mit den Mechanismen der Politik konfrontiert. Auch da muss man Mehrheiten zusammenbringen und auf einen gemeinsamen Nenner kommen.
Wenn ein aktuelles Übel passiert wie ein Atom-GAU in Fukushima, kann man schnell 250.000 Leute über mehrere Städte verteilt mobilisieren. Aber schon nach einem Jahr wurde gesagt: Jetzt ist das Thema nicht mehr aktuell. Sich über ein aktuelles Übel aufregen – das kann jeder. Dauerhaft dran zu bleiben, ist die große Kunst. Viele Menschen haben vor allem in jüngeren Jahren eine Protestphase. Später fangen sie an, sich im etablierten System einzurichten, um dort Anerkennung zu suchen. Wenn es dabei bliebe, wäre es halbwegs tolerierbar – aber meistens sind diese Menschen dann nicht bereit, die anderen, die diesen Weg der Resignation nicht gegangen sind, umgekehrt zu tolerieren. Meine Devise ist, dass man ein Leben lang Jugendsünden begehen muss und nicht anfangen darf, sich selbst zu verraten.
Woher nehmen Sie die Energie, immer wieder Jugendsünden zu begehen?
Ich kann besser mit einer authentischen Haltung leben und möchte in den Spiegel schauen können.
Ging eine Ihrer Jugendsünden schon mal schief?
Ich bin ohne Ende aufgrund meiner Anti-AKW-Aktivitäten strafverfolgt worden. Einmal hat der Staatsanwalt zwei Jahre Gefängnis beantragt. Ich bin da einigermaßen mit heiler Haut rausgekommen. Ich bereue keine meiner Aktivitäten.
Waren darunter auch militante Aktionen?
Das zu erörtern ist kein Thema. Ich kann aber sagen, dass wir damals in unserer Anti-AKW-Ini die Bekennerbriefe veröffentlicht haben, als die Nachrichtensperre über die sehr intensive, lange Jahre anhaltende Sabotage verhängt wurde. Alleine deswegen sind wir verfolgt worden und nicht wegen irgendeiner Militanz. Militanz auf Demos ist eine Sache für sich. Jedoch Sabotage ist absolutes Untergrundgeschehen. Damit wird sich keiner rühmen können.