Freikarten für Flüchtlinge

MIGRATION Die Wilhelmshavener Landesbühne Nord spielt ein Stück über Abschiebungen, bekommt einen anonymen, rassistischen Brief – und geht jetzt erst recht in die Offensive

Die niedersächsische Landesbühne Nord in Wilhelmshaven wehrt sich gegen einen ausländerfeindlichen Brief, indem sie den Verfassern ein Schnippchen schlägt: Sie stellt Flüchtlingen Freikarten für ihre Vorstellungen zur Verfügung. Theaterintendant Olaf Strieb kündigte an, nach der nächsten Aufführung des Stücks „Deportation Cast – die an einer Abschiebung Beteiligten“ am 21. Oktober werde es ein Publikumsgespräch geben, „zu dem wir diese Briefeschreiber ausdrücklich einladen“. Auch wer keine Eintrittskarte habe, könne an der Diskussion teilnehmen.

Dem Intendanten zufolge ist der Brief ein Einzelfall. Er habe jedoch noch nie ein solch „infames Schreiben voller Demagogie und Hetze“ erhalten, so Strieb. Darin werfen drei anonyme „Noch-Abonnenten“ der Theaterleitung vor, das Stück über die Abschiebung einer gut integrierten Roma-Familie sei eine Provokation. Die Flüchtlinge titulieren die Autoren als „Zigeuner, Lampedusa-Neger und Analpheten (sic) aus Anatolien“.

Das Stück „Deportation Cast“ beschreibt die dramatische Situation einer Roma-Familie, die seit zehn Jahren in Deutschland lebt, und in den Kosovo abgeschoben wird – in ein Land, in dem sie keine Lebensperspektive hat, während sie in Deutschland gut integriert ist. Dabei kommt die gesamte Besetzung – englisch: „cast“ – eines solchen alltäglichen Dramas zu Wort: die Roma-Familie, ihre Freunde, Verwaltungsbeamte und der Pilot des Abschiebeflugs.

Bisher habe sie das Wilhelmshavener Publikum als sehr offen für moderne, experimentelle und politische Stücke erlebt, sagte die Regisseurin Eva Lange. Das Stück „Deportation Cast“ greife ein aktuelles hochpolitisches Thema auf und stelle die Schicksale von Menschen in den Vordergrund. Dass diese Inszenierung solch einen „Hetzbrief“ provoziert hat, hält sie für schockierend. Der rassistische Inhalt des Schreibens entspreche jedoch überhaupt nicht der Haltung des kritischen Publikums der Landesbühne.

Dass es Kritik an Inszenierungen gebe, sei normal, erläuterte der Intendant Strieb. Das zeige, dass das Theater den Puls der Zeit fühle und auch heute noch etwas in der Gesellschaft bewegen könne. Im Übrigen habe das Theater auch einen Bildungsauftrag. Die Landesbühne inszeniere deshalb in jedem Jahr drei Klassiker, drei Unterhaltungsstücke und drei zeitgenössische Stücke mit politischen Inhalten.

Strieb bezeichnete es als besonders hinterhältig, dass die anonymen Briefeschreiber die Regisseurin persönlich angriffen, aber nicht den Mut hätten, mit ihren eigenen Namen dafür einzustehen. Er freue sich auf die kommende Debatte mit dem Publikum. „Wir wollen die Diskussion“, sagte Strieb – „aber nicht auf diesem Niveau.“

Die Landesbühne Nord ist aus dem Zusammenschluss mehrerer Bühnen entstanden, die sich nach dem Krieg in Ostfriesland gegründet hatten. Sie hat ihren Sitz in Wilhelmshaven, ist aber das Stadttheater von zwölf Kommunen, die dafür einen Zweckverband gegründet haben. Für seine rund 500 Aufführungen im Jahr reist das 30-köpfige Ensemble kreuz und quer durch Ostfriesland, das Emsland und das Oldenburger Münsterland. Dabei erreicht es ein Einzugsgebiet mit 720.000 Menschen. 30 Prozent seiner Kosten erwirtschaftet das Theater selbst. Den Rest tragen das Land und die Kommunen.  GERNOT KNÖDLER