Mein Blick, eine Regierung

FOTOGRAFIE Die Arbeiten der französischen Fotografin Bettina Rheims zum Thema Transgender

Dann folgt man dem Blick wie einem Fremden, den man zurückhalten will

VON TANIA MARTINI

Ihre Frauenporträts und weiblichen Aktfotografien haben sie berühmt gemacht. Bettina Rheims inszeniert seit 30 Jahren vor allem Frauen als Femmes fatales.

In aufwändigen Settings, knalligen Farben und totaler Studiokünstlichkeit schieben sich ihre Frauen die Finger in die Vagina, zungenküssen sich, streicheln ihre Brüste oder suggerieren dem Betrachter, dass er sie beim Masturbieren überrascht. Ein Spiel mit dem Voyeurismus, bei dem Rheims zufolge die Frauen die Oberhand behalten sollten.

Bettina Rheims ist längst eine der bekanntesten und bestbezahlten Fotografinnen der Welt. Feministinnen haben wegen ihr gestritten, und Alice Schwarzers machistische Emma schimpfte sie einen „weiblichen Billig-Newton“ und schrie laut „Pornografie!“. Aber sind es nicht überwiegend Frauen, die Rheims’ Bilder mögen?

Rheims spielte mit dem Verruchten, dem Fordernden, der Macht, und doch herrschte in ihren Fotos häufig nichts anderes als die Totalität der Oberfläche. Oder sie kippten in den Kitsch. Auch der Versuch, Klischees spielerisch zu überhöhen, will da oft nicht funktionieren. Wo Rheims Überaffirmation beabsichtigte, war sie einfach nur affirmativ gegenüber glatter Schönheit, glatten Räumen und stereotypen Posen. Wie bei Olga etwa, der Frau eines russischen Oligarchen, für den Rheims 2008 „The Book of Olga“ machte.

Mit ihrer Serie „Gender Studies“ aus 2012, die nun im Steidl Verlag einen Bildband bekommen hat, möchte Rheims an ihre Schwarz-Weiß-Arbeiten aus dem Jahr 1989 anknüpfen, als sie mit der Serie „Modern Lovers“ und wenig später mit dem Buch „Kim“ (1992) Androgynität und Transgender thematisierte. In „Kim“ porträtierte Rheims ihre transsexuelle Freundin Kim Harlow; sie hatte sie bei der Arbeit für „Modern Lovers“ kennengelernt. Harlow starb 1992 an Aids.

Diese Arbeiten setzte Rheims bewusst in einen politischen Zusammenhang zu Aids. Die New Yorker Fotografin Nan Goldin hatte das in einer völlig anderen Bildsprache etwas früher in New York begonnen. Androgynität war Ende der 80er auch bereits in Mode und Pop ein wichtiges Thema, man denke an die Inszenierungen David Bowies oder die umwerfenden Entwürfe des japanischen Modelabels Comme des Garcons und des Belgiers Martin Margiela wenig später.

Nun also wieder das Thema Transgender und Transsexualität. Anders als in „Modern Lovers“ und „Kim“ nicht in Schwarz-Weiß oder den knalligen Farben ihrer zahlreichen anderen Arbeiten, die sie bekannt gemacht haben, sondern in weichen Farben vor weißem Hintergrund und in Nude-Ästhetik.

Die Porträtierten hat sie über die sozialen Netzwerke gecastet. Bis auf das international gefragte australische Model Andrej Pejic, der für Jean Paul Gaultier und andere gelaufen ist und sowohl Männer- als auch Frauenkollektionen zeigt, sind sie Unbekannte.

In Fetzen aus Feinrippwäsche oder Netzstoff posieren sie meist oberkörperfrei, Vagina oder Penis sind bedeckt, manche tragen Narben, Andrej Pejic ein Heftpflaster auf den Brustwarzen. Mit ihrem porzellanhaften Teint und den glossigen Lippen sind sie wunderschön, aber die meisten wirken gebrochen, scheu, erschrocken, nicht greifbar. Ganz anders als Rheims’ Femmes fatales, die selbstbewusst dem Betrachter ihren Körper aufdrängen.

Irgendwie zwangsläufig ertappt man sich beim Identifizieren. Man sucht Beweise, legt fest, sortiert, ist vielleicht überrascht, dass es nicht auf Anhieb gelingt. Dann folgt man dem Blick wie einem Fremden, den man zurückhalten will, der aber sein ganz eigenes Ding durchzieht. Das ist es also, was die Fotos können: Dich sagen lassen, dass dein Blick eine Macht, eine Regierung ist. Das bereitet Unbehagen.

Aber da ist noch etwas anderes, das Unbehagen bereitet. Denn gerade weil die Models so wenig selbstbewusst wirken, begegnet man ihnen nicht auf Augenhöhe. Das bewirken ihre scheuen Blicke und mageren Körper, man möchte fast von Leibern sprechen, sakralen Leibern, es entspräche jedenfalls mehr dem Schmerz, den sie vermitteln. Schmerz und Schönheit, das ist eine kitschige Mischung, wo es doch um Körperpolitiken gehen sollte.

In Rheims’ „Gender Studies“ verschwinden, so scheint’s, Individualität und Haltung im Setting. Einzig der Schmerz bricht die Totale der seriellen Oberfläche. Dabei haben diese Körper doch so viel mehr zu erzählen.

Bettina Rheims:

„Gender

Studies“.

Steidl Verlag, Göttingen 2014, 80 Seiten, 48 Euro