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Archiv-Artikel

Eurozentrisch überheblich

Endlich gibt es auch in Deutschland ein Buch, das in die internationale Genozidforschung einführt. Leider ist es vollkommen misslungen, weil Boris Barth zu konventionell und zu unreflektiert argumentiert

VON JÜRGEN ZIMMERER

Das Massaker von Srebrenica war ein Akt des Völkermords. Dafür verantwortlich ist nicht der Staat Serbien, sondern sind die bosnischen Serben. So entschied vor zehn Tagen der Internationale Gerichtshof in Den Haag. Allerdings, ergänzte er, habe Serbien die UN-Völkermordkonvention dadurch verletzt, dass es nicht versuchte, das Massaker zu verhindern und die Täter zu bestrafen oder auszuliefern. Das war sicherlich nicht das Urteil, das sich Bosnien erhofft hatte, jedoch ein deutliches Zeichen dafür, dass die Weltgemeinschaft immer weniger bereit ist, Völkermord ungeahndet zu dulden.

Begleitet wird diese politische Entwicklung international von einer wachsenden und sich ausdifferenzierenden Disziplin: der Genozidforschung. Ausgehend von den USA, hat sie mittlerweile auch die Alte Welt erreicht. Deutschland hängt im internationalen Vergleich jedoch weit hinterher, besonders institutionell. Denn: Seit dem Historikerstreit gilt jede vergleichende Betrachtung des jüdischen Genozids, also des Holocaust, als suspekt. „Vergleichen“ wird nur allzu oft mit „gleichsetzen“ assoziiert – man setzt sich damit dem Vorwurf der Relativierung aus.

Da in Deutschland kaum jemand Genozidforschung als methodisch und theoretisch saubere Disziplin betreibt, ließ sich dieses Klischee bisher auch kaum beseitigen. Nicht zuletzt deshalb wurde Boris Barths Einführung in die Geschichte des Genozids sehnsüchtig erwartet. Allein den Versuch dieses Überblicks unternommen zu haben ist mutig, und dafür gilt es ihm Respekt zu zollen.

Leider fällt das Ergebnis allzu bieder und enttäuschend aus. In seinem Scheitern steht es für viele Probleme der Disziplin. Es lohnt daher, genauer darauf einzugehen. Die Genozidforschung leidet an einigen strukturellen Problemen. Professionelle Forscher, meist aus dem Bereich der Politik- und Sozialwissenschaften kommend, schreiben aus großer Überflughöhe. Sie haben zu keinem Völkermord selbst geforscht und fühlen sich gerade deshalb zur Synthese berufen. So werden Unterschiede weggehobelt, es schleichen sich jedoch mitunter auch fahrlässig hingeworfene Apologien ein. Letzteres ist Barth passiert.

Wiewohl Historiker, ist er mit Fallstudien zum Thema bisher nicht hervorgetreten. Statt sich also gerade bei außereuropäischen Massenmorden an die einschlägige Forschungsliteratur zu halten, tut er eine Reihe intensiv diskutierter Fälle von intendiertem Massenmord als bloße „Fälle von Genozidverdacht“ ab. Das lässt sich nicht anders erklären als mit eurozentrischer Überheblichkeit. Auch sonst fehlt ihm durchweg die Kenntnis der neuesten Literatur vor allem angelsächsischer Provenienz. Dass die Frage nach der Genderdimension von Völkermord noch unterbelichtet ist, mag ja stimmen, zumindest die Arbeiten von Adam Jones zu gendercide hätten Barth jedoch bekannt sein sollen.

Auch hinsichtlich des Nationalsozialismus offenbaren sich diese Lücken. Die „Fabrikmäßigkeit“ der Ermordung des europäischen Judentums mag das von Guido Knopp und anderen gepflegte Klischee sein, Fachleute weisen aber seit langer Zeit darauf hin, dass dieses Bild der Revision bedarf, da hunderttausende von Juden etwa bei Massenerschießungen ums Leben kamen.

Geradezu unverständlich angesichts des Themas, das so sehr mit der – auch sprachlich-diskursiven – Konstruktion von Identität und Andersheit zu tun hat, ist Barths unreflektierter Umgang mit Sprache. Ständig werden Menschen und ganze Gruppen „ausgerottet“ und „ausgelöscht“, gerade so, als handele es sich um die Vertilgung von Ungeziefer und nicht um Massenmord. Immer wieder spricht er von „Rassenmischung“, so als gäbe es die „Rassen“ einfach, die sich ab und an mal „mischten“.

Der Aufbau des Buches selbst ist ebenso unaufregend wie vorhersehbar. Als Beispiele für Völkermord akzeptiert Barth nur Armenien, Ruanda und den Holocaust. „Fälle mit Genozidverdacht“ seien Deutsch-Südwestafrika, der stalinistische Terror und die Roten Khmer. Wenn sich ein Verdacht trotz intensiver Recherche nicht erhärtet, bedeutet es auf Grund der Unschuldsvermutung, dass davon auszugehen ist, dass die Straftat nicht erfolgte. Apologie durch die Hintertür ist das. Dass Australien fehlt, mutet besonders überraschend an, handelt es sich doch wohl um das international am intensivsten diskutierte Beispiel für Genozid im Kolonialismus. Barth wischt das vom Tisch, indem er Genozide vor dem 20. Jahrhundert schlicht für nicht existent erklärt.

Man kann an einem großen Thema grandios scheitern. Das ist nicht ehrenrührig. Man kann auch einfach nur scheitern, weil man es nicht wagt, außerhalb des vermeintlichen Mainstreams zu argumentieren. Es ist höchst bedauerlich, dass dies nun gerade beim hochsensiblen Thema „Genozid“ so ist.

Boris Barth: „Genozid. Völkermord im 20. Jahrhundert. Geschichte, Theorien, Kontroversen“. Beck’sche Reihe, München 2006, 272 Seiten, 14,90 Euro Der Autor ist Gründungsdirektor des Zentrums für Genozidforschung der Universität Sheffield