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Archiv-Artikel

Tomaten, rot-braun und pelzig

ARMUT Bei den Tafeln stapelt sich aussortiertes EHEC-Gemüse. Die Supermärkte sparen sich eine teure Entsorgung und waschen durch Spenden ihr Gewissen rein, sagen Kritiker

„Oben drauf kommt eine Kiste mit ansehnlichem grünen Salat.“ Und drunter „blüht dann der Schimmel“.

VON Jean-Philipp Baeck

Cherrytomaten, kistenweise. Auch bei der Bremer Tafel weiß man nicht, wohin damit. In den Lagern der Organisation, die Lebensmittel an Bedürftige verteilt, stapelt sich in Zeiten des Ehec-Erregers das überschüssige Gemüse. In Hemelingen etwa spanische Biotomaten von Rewe. „Wir nehmen erst einmal alles und müssen dann sortieren“, sagt Oskar Splettstößer, Vorsitzender der Bremer Tafel. Metro, Lidl, Rewe, Real oder Kaufland – nahezu alle Marktgrößen tauchen auf den Spenderlisten auf.

Vieles schmeißen die Supermärkte weg, obwohl es noch nicht einmal das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten hat. Genau das sind die Lebensmittel, die an die Tafeln abgegeben werden sollten: Für die Supermärkte lohnt sich das. Sie müssten die Ware als Sondermüll entsorgen lassen, zum Tonnenpreis von rund 1.000 Euro. Und die HelferInnen von der Tafel holen’s kostenlos ab. Manche Filialleiter achten sehr streng darauf, dass den Armen nur wirklich Unverkäufliches gespendet wird – und beispielsweise haltbare, aussortierte Molkereiprodukte in den Müll wandern. Andere lassen Gemüse- und Obst-Kisten besonders sorgfältig stapeln: „Oben drauf kommt eine Kiste mit ansehnlichem grünen Salat“, schildert ein Helfer, der nicht genannt sein will, die Praxis. Und drunter „blüht dann der Schimmel weiß und grün auf Zitronen und Orangen, oder man findet braun-rote Tomaten mit pelzigem Überzug“. Den HelferInnen bleibt selten Zeit, das beim Abholen zu kontrollieren. Den von den Supermärkten abtransportierten Müll müssen die Tafeln entsorgen, auf ihre Kosten. „Das sind etliche tausend Euro im Jahr, die wir für die Entsorgung ausgeben müssen“, sagt Splettstößer.

Derzeit ist er mit dem Gesundheitsamt im Gespräch – wegen des Ehec-Erregers. Aber viel wüssten die auch nicht, sagt er. „Wir geben nur weiter, was man kochen kann“, so Splettstößer. Kein Problem ist das bei Kaffee. Am Mittwoch spendete die Firma Kraft Foods eine ganze Palette. 720 Päckchen, neuwertig. Dazu Schokoriegel, auch eine Palette. Seit zehn Jahren arbeitet das Unternehmen mit den Tafeln zusammen. Fast monatlich kommen Chargen an Nudeln oder Frischkäse. „Immer, wenn zu viel produziert wurde“, sagte Karin Unglaube, die bei Kraft Foods für die Spenden zuständig ist. Diesmal gab‘s auch noch einen Scheck über 500 Euro. Bis zu 20 Millionen Tonnen Lebensmittel landeten nach Schätzungen der Welternährungsorganisation im Müll, da solle „ein Zeichen“ gesetzt werden, sagt der Leiter des Hemelinger Kraft Foods-Werkes, Michael Loß. Das Unternehmen ist nach eigenen Angaben der zweitgrößte Lebensmittelhersteller der Welt. Er erzielte im vergangenen Jahr einen Umsatz von 49 Milliarden US-Dollar.

Vor solchen Zahlen kann die Spende auch anders interpretiert werden: „Spendensummen von 500 Euro wirken lächerlich“, sagt Michael Volkmar vom Bremer Erwerbslosen Verband. „Weltmarkt-Größen versuchen damit, ihr soziales Gewissen reinzuwaschen.“ Für Volkmar tragen die Tafeln zu einem Klima bei, in dem „die ‚Untertanen‘ für die milden Gaben dankbar sein sollen“. Immer öfter würden solche freiwilligen Almosen in den Hartz IV-Leistungen berückichtig. Bei Leistungskürzungen etwa würden die Menschen an die Tafeln verwiesen, der Mitgliedsbeitrag vom Amt übernommen. Bei den Tafeln gäbe es dafür bereits Formulare. „Durch diese Zusammenarbeit wird der Rechtsanspruch auf staatliche Leistungen unterlaufen, den es für Almosen nicht gibt“, so Volkmar. Das Minimum an Freiheit, zu kaufen, was man möchte, dürfe nicht dadurch ersetzt werden, dass man Reste der anderen bekomme.

Derzeit kümmern sich bei den 1995 gegründeten Bremer Tafeln über 100 Freiwillige um die Lebensmittelausgabe. Derzeit kommen täglich bis zu 250 Menschen in die Ausgabestelle nach Hemelingen oder Gröpelingen, zwei Drittel von ihnen sind älter als 50. Eine weitere Ausgabestelle in Huchting ist geplant.