„Die Wahl haben wir fest im Auge“

Wahl-Watching bei den Grünen in Schleswig-Holstein: Beim heutigen Parteitag soll schon mal das Profil geschärft werden. „Die letzten zwei Jahre haben unsere Themen nach vorne gebracht“, sagt Landesvorsitzender Robert Habeck

ROBERT HABECK, * 1969, studierte Philosophie und Germanistik in Freiburg, Roskilde und Hamburg. Lebt bei Flensburg.

taz: Herr Habeck, seit zwei Jahren sind die Grünen in der Opposition. Sie haben versucht, das als Chance zu verkaufen. Die Bilanz zur Halbzeit – haben Sie die Chance genutzt?

Robert Habeck: Ja. Wir haben aus unseren Fehlern im Wahlkampf gelernt, was ja eine Partei selten schafft.

Was waren das für Fehler?

Es gab ein Ungleichgewicht zwischen Geschäftsführung und dem ehrenamtlichen Vorstand, das zu Spannungen führte. Jetzt haben wir den Vorstand gestärkt und dadurch klare Verantwortungsbereiche geschaffen. Außerdem haben wir mit dem Parteirat ein weiteres verbindliches Gremium geschaffen, das informelle Runden ersetzt.

Sie wollten in der Opposition neue Themen entwickeln. Ist das gelungen?

Auf jeden Fall. Wir sind meiner Meinung nach heute die einzige echte Oppositionspartei in Schleswig-Holstein. Gleichzeitig sind wir nicht in die Populismusfalle gestolpert, wie es hätte passieren können, nachdem die Grünen nirgendwo mehr in Regierungsverantwortung stehen. Fraktion und Partei arbeiten konzentriert und bringen konstruktive Vorschläge, gleichzeitig schärfen wir unser Profil in vielen Feldern und bewahren klare Positionen, auch wenn es mal Wind von vorn gibt.

Sind Ihre inhaltlichen Schwerpunkte nach wie vor Bildung und Umwelt?

Bei diesen Themen sind wir ja ohnehin gut aufgestellt. Aber wir arbeiten zurzeit verstärkt an den Dingen, in denen wir bisher noch nicht so wahrgenommen wurden, etwa alternative Modelle zur Arbeits- oder Sozialpolitik oder der Kulturpolitik.

Zurzeit kriselt es in der großen Koalition. Sehen Sie das mit Freude?

Was da passiert, ist eine Tragödie, das kann man nur mit Mitleid und Schrecken ansehen. Ihre eigentlichen Aufgaben, Haushalt und Verwaltungsreform, geht die Koalition nicht an.

Das sehen CDU und SPD bestimmt anders.

Bei den Haushalten der Ministerien wurde lange nicht genug gespart, und bei der Straffung der Verwaltungsaufgaben hat sich zu wenig getan. Das sind aber lösbare Aufgaben, wenn man sie mit Vernunft und unideologisch angeht. Stattdessen haben CDU und SPD bei Schule oder Umwelt gegensätzliche Überzeugungen zu schwer verdaulichen Kompromissen verrührt.

Möglicherweise übersteht Schwarz-Rot die Legislaturperiode nicht. Sind die Grünen bereit für den Wahlkampf?

Jederzeit. Die letzten zwei Jahre haben unsere Themen nach vorne gebracht. Und für einen wirklichen Klimaschutz ist es geradezu notwendig, dass die Grünen wieder in Regierungsverantwortung kommen. Gerade in Schleswig-Holstein gibt es viele mögliche Bündnispartner.

Welcher wäre Ihr liebster?

Wir werden aus der Opposition heraus für uns selbst Wahlkampf führen, wir werden vorher keine Aussagen für die eine oder andere Partei machen.

Wie ist denn zurzeit die Stimmung an der Basis?

Ich finde es erstaunlich, dass sich nach den schwierigen Zeiten im Wahlkampf wieder Geschlossenheit und Solidarität entwickelt haben. Und das ist keine Zwangssolidarität, sondern es wird wieder richtig gestritten und diskutiert. Es kommen viele Leute mit neuen Ideen. Vertrauen kann man nicht verordnen, das muss man erwerben, und man erwirbt es durch offene Diskussionen. Es gibt eine Aufbruchstimmung im Landesverband.

Die nächste Bewährungsprobe ist der Kommunalwahlkampf in einem Jahr. Sind Sie darauf vorbereitet?

Die Wahl haben wir fest im Auge, die Vorbereitungen laufen. Die Wahl ist eine Chance, Demokratie und Engagement gegen die großkoalitionäre Lethargie zu setzen. Es kommen neue Leute in die Partei, es gab vier Neugründungen von Ortsvereinen im vergangenen Jahr, weitere sind geplant – da ist richtig Dynamik drin.

Beim heutigen Parteitag bewerben sich die Amtsinhaberin Marlies Fritzen und die bisherige Beisitzerin Anke Erdmann um den Frauen-Platz in der Doppelspitze des Vorstandes. Bei anderen Parteien ist das ein Zeichen für Streit.

Bei uns hat es das auch gegeben: dass man über Posten hinter verschlossenen Türen entschieden hat. Aber ich sehe diese zwei Bewerbungen als das sichtbarste Zeichen dafür, dass sich die alte grüne Kultur wieder Bahn bricht. Für die Partei ist es ist toll, dass es zwei kompetente Frauen gibt, die sich dieses Amt zutrauen.

INTERVIEW: ESTHER GEISSLINGER