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Archiv-Artikel

Glückliche Zweieinigkeit

TENNIS Zum sechsten Mal gewinnt Rafael Nadal die French Open. Er hat nun genauso oft in Paris gewonnen wie Björn Borg. Dass er durch den Sieg Platz eins in der Weltrangliste verteidigen konnte, ist da nur Nebensache

Für Nadal ist Paris nach wie vor das Turnier, bei dem sich entscheidet, ob es sich um ein gutes oder nicht ganz so gutes Jahr handelt

AUS PARIS DORIS HENKEL

Es ist eine schöne Tradition der Sportzeitung L’Équipe, dem Sieger der French Open ein großes Foto auf der Titelseite zu widmen. In sechs von sieben Jahren war darauf zuletzt Rafael Nadal zu sehen, entweder rücklings im roten Sand liegend oder mit dem Coupe des Mousquetaires im Arm. Diesmal ist es anders. Unter der Schlagzeile „Der Rekord wartet auf ihn“ sieht man den Mann des Turniers in voller Aktion auf dem Weg zum Netz, in gebückter Haltung wie ein Sprinter, berstend vor Energie. Die Titelseite dürfte Nadal gefallen haben, denn sie steht für sein Credo: Vamos, alles geben, jeden Tag.

Der Triumph in vier Sätzen gegen Roger Federer, der ihm dabei so nah kam wie in keinem Finale zuvor in Paris, hat viele Bedeutungen. Zum einen steht er für den Kampf mit den Komplikationen. Nie zuvor hatte Nadal während des Turniers einen derart unverstellten Blick auf sein Innenleben zugelassen, auf seine Zweifel und Irritationen. Als er nach dem Sieg gefragt wurde, wie er es geschafft habe, sich zum Ende der zwei Wochen zu fangen und wann der echte Rafa zurückgekehrt sei, da gab er eine fast philosophische Antwort. „Der echte Rafa ist sowohl der, der gewinnt, als auch der, der leidet und nicht gut spielt. Beide sind echte Rafas und gehören zusammen.“

Kein Wunder, dass Federer alle Hände voll zu tun hat, wenn er gegen zwei Leute dieses Kalibers spielen muss. Natürlich war der Meister nicht glücklich nach der sechsten Niederlage gegen den Spanier im Finale eines Grand-Slam-Turniers. Er wusste, dass er ein paar Chancen verpasst hatte in diesem Spiel, sowohl bei einer 5:2-Führung und Satzball im ersten Satz als auch bei drei extrem wichtigen Breakbällen zu Beginn des vierten.

Aber Roger Federer zeigte in Paris vor allem in der grandiosen Aufführung gegen Novak Djokovic und auch im Finale gegen Rafael Nadal, dass er längst nicht am Ende mit seinem Latein ist. Im Gegenteil; in Momenten wirkte er wie ein Künstler auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft, beflügelt von neuen Inspirationen. Aber das Problem gegen Nadal ist: Momente genügen nicht.

Mit dem zehnten Grand-Slam-Titel gegenüber seinen 16 ist ihm der Rivale wieder ein Stück näher gekommen. Doch Federer sagt, das beunruhige ihn nicht. Es komme nicht darauf an, bei welchem Stand man während der Karriere sei, sondern wie die Sache nach dem Ende aussehe. Aber er sagt auch: „Zehn Titel sind eine Menge. Er weiß es, ich weiß es, jeder weiß es.“ Und sechs Titel in Paris sind auch ein Wort. Damit erreichte Nadal die Ebene Björn Borgs.

Nadal versichert zwar, natürlich sei es für ihn was ganz Besonderes und eine Ehre, Borgs Marke in Paris erreicht zu haben. Aber größer als die Freude über jeden einzelnen seiner Siege im Stade Roland Garros kann keine Summe sein. Für ihn ist das nach wie vor das Turnier, bei dem sich entscheidet, ob es sich um ein gutes oder nicht ganz so gutes Jahr handelt. Und nachdem diese Herzensangelegenheit nun wieder auf die schönste Weise entschieden ist, sieht er den weiteren Ereignissen des Jahres 2011 entspannt entgegen.

Nach einem ungewöhnlich sonnigen Turnier wurden die offiziellen Siegerfotos Montagmorgen im Regen geschossen, danach machte er sich flugs auf den Weg nach England, wo er in dieser Woche beim Rasenturnier im Londoner Queen’s Club spielen wird. Bis auf weiteres als Nummer eins des Tennis, denn mit der Titelverteidigung in Paris sicherte er sich einen winzigen Vorsprung von 45 Punkten auf Novak Djokovic, dessen eindrucksvolle Siegesserie in diesem Jahr bei der Niederlage im Halbfinale gegen Federer gerissen war.

Djokovic spielt nicht in Queen’s – er braucht vor Wimbledon eine kleine Pause. Im All England Club wird das Rennen um die Nummer eins in zwei Wochen weitergehen. Nadal sagt, es wäre für ihn kein Problem, von Novak Djokovic überholt zu werden. Der habe das nach einem tollen Jahr bisher verdient. Was seine eigenen Ambitionen betrifft, so ist die Sache ganz einfach. Mit dem Titel aus Paris stimmen die Koordinaten seines Lebens wieder; Rafa 1 und Rafa 2 sind froh.