LESERINNENBRIEFE
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Prognosen mit Bedeutungsdelle

■ betr.: „Ökonomen gegen schwarze Null“, „Der Herbst des Kaputtsparens“, taz vom 10. 10. 14

Wohin das führt, wenn führende Wirtschaftsforschungsinstitute in die Zukunft blicken, wird zurzeit deutlich. Unsere Konjunktur trübt sich ein. Alarm! Der Export ist eingebrochen, was angesichts der Relevanz deutscher Industrieprodukte für die Schlachtfelder dieser Welt verwundern mag. Trotz einer schleichenden und immer größer werdenden Bedeutungsdelle derartiger Prognosen können wir anhand dieses Herbstgutachtens dennoch drei Erkenntnisse herausfiltern. Erste Erkenntnis: Die wirtschaftspolitischen Kaffeesatzleser werden immer jünger. Früher hießen sie Wirtschaftsweise und waren altersbedingt eher Wirtschaftsgreise. Zweite Erkenntnis: Dieses Herbstgutachten korrigiert das Frühjahrsgutachten. Grundsätzlich relativiert jedes neue Gutachten das zuvor erstellte Gutachten. Der immer wiederkehrende Irrtum der Wahrsager führt nicht etwa zu deren Selbstkritik und möglicherweise Aufgabe, sondern stattdessen zu ihrer Kritik an der Realität, die natürlich durch falsche Politik, Kriege und unerwartetes Wetter bedingt ist. Dritte Erkenntnis: Mit „Schwarzer Null“ ist (noch) nicht Wolfgang Schäuble gemeint.

HELMUT MALMES, Stolberg

Die Freiheit, Fahrrad zu fahren

■ betr.: „Freier Markt für dreckiges Öl“, taz vom 6. 10. 14

Die EU-Kommission hat sich also dafür entschieden, dreckiges Öl aus kanadischen Teersanden nach Europa zu lassen. Dann werde ich mir in Zukunft die Freiheit nehmen, auf Auto- und Busfahrten zu verzichten, Kurzstrecken werde ich stattdessen mit dem Fahrrad zurücklegen und, falls sich Langstrecken mal nicht vermeiden lassen, kann ich ja den Service der Deutschen Bahn in Anspruch nehmen. Alles also ganz einfach und zudem gut für die Gesundheit und die körperliche Fitness. Und, was den erhofften Ausgleich der miserablen CO2-Bilanz von Öl aus Teersanden durch Biokraftstoffe aus Pflanzen betrifft, sei am Rande noch eines erwähnt: Mit Essen spielt man nicht, zumal weltweit Tausende unter Hunger leiden.

MICHAELA DIEROLF, Wimsheim

Keine neue Erkenntnis

■ betr.: „Gefährliche Autos“ u. a., taz vom 13. 10. 14

Dass Autos schlecht für die Umwelt sind, ist keine neue Erkenntnis. Doch niemand reagiert oder verzichtet auf das Auto.Man ist schlichtweg zu bequem, um mehr öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Da wird sich an der Situation nichts ändern. JULIA ENGELS, Elsdorf

Vor dem Karren der Pornoindustrie

■ betr.: „Kinky sein ist meine Religion“, taz vom 10. 10. 14

Ich hoffe, der Betreiber der namentlich genannten Hardcore-Pornoseite hat für diese als Interview getarnte ganzseitige Werbung einen guten Preis gezahlt. Oder sollten tatsächlich Erniedrigungen, Foltern und Massenvergewaltigungen verklärt und in die heile Welt der BDSM-Studios geholt werden? Leider lässt sich die taz immer wieder vor den Karren der Pornoindustrie spannen. Solche unreflektierten Interviews, bei denen die meist weiblichen Opfer der Pornobranche als Starlets und Models heilig gesprochen werden, sind mehr als peinlich. Warum wohl agiert Rain DeGrey nicht mehr als BDSM-Opfer? Weil ihr Gesicht verbraucht und ihr Körper zerschunden ist. Die geilen KundInnen erwarten neues Frischfleisch

TOBIAS POHL, Frankfurt am Main

Auf der Warteliste

■ betr: „Literaturnobelpreis. Nicht falsch. aber auch nicht wichtig“, taz vom 10. 10. 14

Immer wenn ein Mensch den Literaturnobelpreis kriegt, den kaum jemand kennt (D. K.: „unwichtig“), geraten automatisch die Übergangenen in den Fokus; also auch immer wieder Bob Dylan, aber: Es gibt nun mal keinen Musiknobelpreis, und „lyrics“ sind nicht LÜRIK: Wie kriegen wir den besten Singer/Songschreiber („Visions of Johanna“) von dieser ominösen Warteliste runter, before er durch Abgang („not yet dark, but it’s getting there“) noch mal in die Spitzengruppe aufsteigt? WALDO ELLWANGER

Genozid in Kobani

■ betr.: „Kämpfe in und um Kobani“ u. a., taz vom 11. 10. 14

Wenn der Stadt Kobani ein zweites Srebrenica droht, muss die internationale Gemeinschaft dieses verhindern. Aus der Ferne ist es schwer bis unmöglich, sich ein klares Bild der Bedrohungslage zu machen. Wir können aber davon ausgehen, dass UN, Nato und auch die Bundesregierung ein sehr genaues Bild der Lage und der Gefahr eines möglichen Genozids haben. Die Geschichte hat gezeigt: Srebrenica und Ruanda sind nicht passiert, weil es keiner mitbekommen hat. Sie sind passiert, weil die internationale Gemeinschaft nicht eingreifen wollte.

Sollte die Gefahr eines Genozids in Kobani real sein, darf sich die internationale Gemeinschaft nicht aus der Verantwortung stehlen. Wenn ein Genozid nur durch Bodentruppen verhindert werden kann, dann müssen diese auch eingesetzt werden. Das, was in den nächsten Tagen und Wochen in Kobani passiert, hat auch die Bundesregierung mit zu verantworten. LUKAS SCHULTE, Berlin