Der Zwergenaufstand

Weil Rot-Rot patzt, haben CDU, Grüne und FDP ihren großen Auftritt. Gemeinsam setzt die Opposition den lahmen Senat unter Druck. Doch hinter dem Dreigestirn stecken viel Kalkül und kaum Inhalte

VON FELIX LEE
UND MATTHIAS LOHRE

100 Tage Rot-Rot sind 100 Tage Jamaika – wenn auch in der Opposition. Doch im Kontrast zum lahmen Senat machen CDU, Grüne und FDP im Verbund gar keine so schlechte Figur. Ob bei der Forderung nach einem Nachtragshaushalt, beim Gammelfleischskandal oder im Streit um die Ehrenbürgerwürde für den Liedermacher Wolf Biermann – stets haben die drei so unterschiedlichen Parteien an einem Strang gezogen – und setzten sich auch noch durch. Seit Neuestem flirtet CDU-Fraktionschef Friedbert Pflüger selbst beim Klimaschutz mit den Ökos. Gemeinsam wettern sie aktuell gegen ein neues Steinkohlekraftwerk, das der Energieriese Vattenfall in Lichtenberg errichten will. Und auch die FDP sitzt mit im Boot. Doch wie schlagen sich die Oppositionsparteien nach 100 Tagen im Einzelnen? Und wie belastbar ist dieses seltsame Dreierbündnis?

CDU: Öko ohne Substanz

Die Sorge der Grünen vor unerwarteter Konkurrenz in Ökofragen wächst. „Ein Pflüger macht noch lange keine grüne CDU“, flehte Grünen-Bundeschef Reinhard Bütikofer jüngst. Der Unions-Fraktionsvorsitzende Friedbert Pflüger setzt auf Ökothemen, um Wähler aus liberalen Großstadtmilieus anzulocken: Ja zum Atomausstieg, Ja zum Ausbau erneuerbarer Energien, heftiges Augenzwinkern in Richtung einer Jamaika-Koalition.

Doch steckt hinter der Ökobegeisterung nur wenig Substanz. Umweltexpertise hat die Partei kaum zu bieten. Die CDU-Basis ist ohnehin verwirrt und lässt ihren Fraktionschef nur gewähren, weil sie keinen anderen Weg aus dem Umfragetief kennt. Die Unionsbasis weiß: Nur mit FDP und Grünen kann die Partei in naher Zukunft regieren. Wer glaubt, dass die Grünen sich für die Union entscheiden, falls sie zwischen CDU und SPD wählen können? Eben. Hinzu kommt die Schwäche von Rot-Rot. „Der Senat hat es uns mit seinen großen Fehlern leichter gemacht“, so Pflüger.

Grüne: schlaues Aufmucken

Mit 23 Abgeordneten in der Fraktion sind sie personell zwar deutlich schwächer aufgestellt als die CDU. Und doch mucken sie am meisten auf. Die Enthüllung der mutmaßlichen Medikamentenaffäre in der JVA Moabit geht auf ihre Kappe. Beim Biermann-Streit machten sie sich zum Sprachrohr des Westberliner Bürgertums. Und für den Klimawandel sind sie am besten gewappnet – zumindest mit schlauen Antworten.

Ihre Lösungsvorschläge können sie aus dem Effeff herunterleiern. Unglück im Glück: Wäre das Thema vier Monate früher hochgekocht, hätten wahrscheinlich noch mehr als 14 Prozent der Berliner ihr Kreuzchen bei den Grünen gemacht. Gäbe es in Teilen der Fraktion nicht den Unmut gegenüber ihrer Vorsitzenden Franziska Eichstädt-Bohlig, stünde für die Grünen alles bestens. Doch die Chancen, selbst mal zu regieren, sind schlecht, solange die SPD der Linkspartei treu bleibt. Jamaika? Wunschdenken der Realos, Linke wettern eifrig dagegen. Prognose: unwahrscheinlich.

FDP: markig, aber hohl

Galt früher FDP-Fraktionschef Martin Lindner als heimlicher Anführer der Opposition, scheint die Lethargie des rot-roten Senats auch ihn erfasst zu haben. Mit markigen Sprüchen wie „Wir wollen ja keinen griesgrämigen Bürgermeister, wir wollen aber auch keinen immerwährenden Kindergeburtstag“, zeigt er zwar, dass es ihn und die FDP noch gibt. Geht es um die Sache, ist von den Liberalen aber nicht viel zu vernehmen, abgesehen von der abgedroschenen Leier, dass Wettbewerb „viel, viel mehr Wohlstand“ bringe. Immerhin schlägt Lindner beim Ausverkauf landeseigener Unternehmen inzwischen leisere Töne an. So will er nicht mehr abstrakt von Privatisierungen reden, sondern den damit verbundenen Nutzen herausstellen. Worin der bestehen soll, bleibt ungeklärt. In ihren Grundsätzen bleibt die FDP linientreu: freier Markt. Soweit Ersteres nicht behindert wird: der Schutz der Grundrechte. Und Jamaika? Lindner würde schon gern. Denn sein Motto lautet: Bessa als jar nüscht.