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Archiv-Artikel

Deutsch wird babyleicht

Lehrer fordern Teststopp: Bei der zweiten Runde der Sprachprüfung für Vierjährige bestünden auch Kinder, die kaum sprechen können. „Wir werden Lehren ziehen“, so die Test-Erfinderin

VON MIRIAM BUNJES

Erzieher, Lehrer und Eltern werfen der Landesregierung vor, die Resultate der Sprachtests für Vierjährige mit dem zweiten Test schön zu färben. „Diesen Test können Kinder bestehen, die kaum sprechen können“, sagt Andreas Meyer-Lauber, NRW-Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).

Seit vergangener Woche findet in den Kitas die zweite Runde der Sprachstandserhebung für Kinder zwei Jahre vor der Einschulung statt. Beim ersten Test wurde fast die Hälfte der Kinder als auffällig eingestuft. Jetzt müssen 95.000 Kinder in den Sprachtest „Pfiffikushaus“. Nur Dreijährige, die nach dem Testspiel 29 von 180 möglichen Punkten erreicht haben, werden zusätzlich vor der Einschulung gefördert. Bei Vierjährigen liegt die Punktgrenze bei 50 Punkten.

„Alle Kinder, die ich getestet habe, brauchen Förderung“, sagt Etta Fennekohl, Schulleiterin in Troisdorf und Vorsitzende der GEW Köln. „Nur zwei werden sie bekommen.“ Die Punktzahl sei zu einfach zu erreichen.

Wie im ersten Sprachtest Delfin4 werden vier Fähigkeiten abgefragt: Wortschatz, Grammatik, das Nachsprechen von Kunstworten und unsinnigen Sätzen und das Erzählen von Bildergeschichten. Für jedes richtig nachgesprochene Wort beispielsweise bekommen die Kinder einen Punkt. „Wenn ich sage: ‚Klaus gibt dem Pferd etwas zu essen` und das Kind wiederholt ‚Pferd‘, muss ich einen Punkt vergeben“, sagt Fennenkohl. Obwohl das Kind den Satz nicht verstanden habe. „Die Kinder, die ich heute durchwinke, haben in zwei Jahren auf meiner Schulbank Probleme.“

So hören sich bis jetzt die meisten Rückmeldungen von Lehrern an, so die GEW. Einschätzungen, die auch die Erzieher- und Elternverbände teilen. „Die Testerei sollte offenbar nur politischen Aktionismus zeigen“, sagt Gerhard Strunz, der das Forum Förderung von Kindern koordiniert, in dem sich 14 Erzieher- und Elternverbände zusammengeschlossen haben. „Jetzt kommen genau die 15 Prozent förderungswürdiger Kinder heraus, die im Haushalt eingeplant waren.“ Er hat bereits 1.500 Unterschriften gesammelt, mit denen Ministerpräsident Rüttgers aufgefordert wird, die Tests sofort zu stoppen.

Andrej Priboschek, Sprecher im Schulministerium, hält die Kritik für überzogen. „Delfin war angeblich zu schwer, jetzt ist der Test zu leicht. Wir liegen in der Mitte und damit richtig.“ Schon nach den ersten Ergebnissen hatte Schulministerin Barbara Sommer (CDU) angekündigt: Sprachförderung werde „ganz sicher“ nicht bei allen 95.000 Kindern nötig sein. Das Verfahren wurde in einer Pilotstudie an mehr als 500 Kindern ausprobiert. „Die Spannbreite an Sprachfähigkeit ist breit“, sagt Lilian Fried, Dortmunder Pädagogik-Professorin und Test-Erfinderin. „Normiert ist das Verfahren noch nicht, wir werden auch Lehren aus der Kritik ziehen.“