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Archiv-Artikel

Das Tao der Stadtplanung

Nie war Zwischennutzung so wertvoll wie heute. Nun gibt es sogar ein Buch zum temporären Berlin. In dem ist aber auch von den weniger bekannten und erquicklichen Seiten des Modethemas die Rede

von UWE RADA

Zwischennutzung ist dufte, fand Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) schon vor drei Jahren und beauftragte den Architekten Klaus Overmeyer zusammenzutragen, was man darüber wissen kann und sollte. Das ist nun passiert, und die Senatorin ist mehr denn je der Meinung: „Zwischennutzung verändert die Stadtplanung.“ Nicht das Ziel bestimmt also den Weg, sondern der Weg das Ziel. Fast klingt es, als hätte Junge-Reyer das Tao der Stadtplanung erfunden.

Nun ist es nicht so, dass Junge-Reyer allzu viel Zeit hätte, in einer Strandbar zu lümmeln oder auf einem Pony zwischen Marzahner Platten zu reiten. Wenn sich die Senatorin mit dieser Entschlossenheit für das Thema einsetzt, dann deshalb, weil sie sich davon einen Mehrwert für Berlin verspricht. „Um unsere Flächen beneidet man uns sogar im Ausland“, sagte Junge-Reyer gestern während der Präsentation der nun als Buch erschienenen Studie Overmeyers.

Dabei gab sie auch zu bedenken, dass diese Flächen nicht weniger, sondern mehr werden. Allein in den kommenden Jahren werden 320 Hektar Friedhofsflächen nicht mehr gebraucht. „Selbst im Senat ist das Thema inzwischen angekommen“, freut sich die Senatorin. Da tut es auch keinen Abbruch, dass sich Junge-Reyer an Berlins berühmtester Brache, dem Schlossplatz, mit einer temporären Nutzung lange Zeit schwergetan hat.

Was aus dem Munde Junge-Reyers wie eine Verheißung klingt – Zwischennutzung = internationale Anziehungskraft = Kulturindustrie – erweist sich bei näherem Hinschauen allerdings oft als mühseliges Unterfangen. „Die Hereinnahme einer Zwischennutzung wird in der Immobilienbranche oftmals als Indiz dafür gewertet, dass eine Immobilie verbrannt ist“, verrät der Projektentwickler Rainer Emelauer in Ovemeyers Buch. Dieser Einblick ins Innenleben der Immobilienwirtschaft klingt ganz anders als das, was den Zwischennutzern immer vorgeworfen wird: Sie seien Trüffelschweine, die den Immobilienhaien das Geschäft abnehmen.

Auch der Mythos vom freien Spiel der Kräfte wird in Overmeyers Überblick über die Berliner Zwischennutzungsszene gründlich auseinandergenommen. Fast zwei Drittel der insgesamt 43 vorgestellten Projekte bekamen öffentliche Förderungen – und sei es nur durch eine verbilligte Überlassung eines öffentlichen Grundstücks. Ganz so wild ist das Pionierleben also nicht. Ganz so einfach aber auch nicht. „Noch immer nämlich tun sich die Bezirke schwer, Zelte in einem Schwimmbad zu genehmigen“, gibt Junge Reyer zu und spielt damit auf die „Tentstation“ unweit des Hauptbahnhofs an. Dem temporären Zeltplatz auf dem Gelände eines nicht mehr genutzten Freibads wollte ausgerechnet das Bezirksamt Mitte an den Kragen. Begründung: Man wolle an der Wiedereröffnung des Freibads festhalten.

Ein Nutzungskonflikt wie dieser ist vielen Projekten zu eigen. Eine neue Nutzung markiert nicht selten den Beginn einer neuen Hoffnung für die Eigentümer. Dem fernöstlichen Tao steht damit immer das abendländische Prinzip Hoffnung entgegen – das Telos der Stadtentwicklungsplanung. Dies umso mehr, als sich Zwischennutzer und Investoren gern auf denselben Flächen tummeln. Bestes Beispiel ist der Spreeraum. Dort befindet sich nicht nur das Eldorado des temporären Berlin. Mit der O2-Arena wurde für viele auch das Ende der Zwischennutzungsträume eingeleitet.

Das Buch „Urban Pioneers. Stadtentwicklung durch Zwischennutzung“ ist im Jovis-Verlag erschienen