Zeitzünderbauer durften überleben

Die drinnen saßen, konnten die gesamte Lagerzeit überleben, Lorenfahrer schafften es maximal drei Monate: „Zwangsarbeit in der Rüstungsproduktion“, die neue Dauerausstellung der Gedenkstätte Neuengamme, behandelt die Hierarchie der Arbeiten

Eine der bundesweit ersten Dauerausstellungen zur Zwangsarbeit in KZs ist jetzt in der KZ-Gedenkstätte Hamburg-Neuengamme eröffnet worden. Damit sind die vier von Anfang an geplanten Präsentationen komplett. Dem KZ und seiner Nachgeschichte, der Lager-SS und der Zwangsarbeit in der Ziegelproduktion gelten die übrigen Präsentationen auf dem 50 Hektar großen Gelände, auf dem die Nazis die damals europaweit größte Ziegelfabrik errichteten. Die Klinker waren für den Ausbau Hamburgs zur „Führerstadt“ gedacht.

2005 war die Gedenkstätte nach etlichen Umbauten neu eröffnet worden. Dass die neue Ausstellung „Zwangsarbeiter für die Rüstungsproduktion“ erst jetzt fertig wurde, hat organisatorische Gründe. „Die Dimension der übrigen Ausstellungen hat uns überfordert. Wir waren einfach nicht rechtzeitig fertig“, sagt Archivleiter Reimer Möller. „Deshalb haben wir die Tür hier erst mal zugelassen.“

Jetzt ist sie auf. Genauer: der äußere Flügel der ehemaligen, insgesamt 8.000 Quadratmeter großen Walther-Werke, in dem Häftlinge aus der Sowjetunion, Polen und Frankreich zur Rüstungsproduktion gezwungen wurden. Insgesamt 13.000 Menschen waren in Neuengamme beschäftigt, wie die Karte an der Wand belegt. Der Raum ist nicht so angefüllt wie damals: Die Ausstellung arbeitet mit ausgewählten Dokumenten und exemplarischen Maschinen und Werkzeugen. In der Hallenmitte stehen eine Schmiede, ein Estrich, außerdem Tischlerwerkzeuge und Lorengleise – Utensilien, die auch die Arbeiten andeuten, die in den angrenzenden Gebäudeflügeln und draußen verrichtet wurden. An den Fenstern stehen Tische mit Informationen zu den Wirtschaftsbetrieben, die hier produzieren ließen: Die Deutsche Messapparate etwa ließ hier Zeitzünder bauen. Eine Arbeit, für die Feinmechaniker gebraucht wurden. „Die bekamen Lupen, mussten warm sitzen und durften von den SS-Leuten nicht geschlagen werden. Diese Arbeit stand in der Hierarchie ganz weit oben“, sagt Historiker Möller.

Brutaler ging es an den Maschinen der Bergedorfer Motorenfabrik Carl Jastram zu. „Hier schlugen die SS-Leute zu, wenn einer nicht schnell genug war.“ Und die Deutschen Ausrüstungswerke, ein SS-eigener Betrieb, ließen vor allem Holz verarbeiten – zunächst für Interieurs von SS-Kasernen, später auch für Gewehre.

In der jetzigen Ausstellungshalle wurde ausschließlich Metallverarbeitung betrieben: Die Pistole P 38 mussten die Häftlinge hier produzieren, gegen Kriegsende automatische Gewehre. „Vermutlich waren die Maschinen hier in drei Reihen aufgestellt. Dazwischen verliefen schmale Gänge“, sagt Möller.

Die Fertigkeiten der Häftlinge gingen aus einem alle KZs erfassenden Karteikartensystem der SS hervor, das sich auf die Angaben der Häftlinge stützte. „Da kam es natürlich schon mal vor, dass sich jemand zum Schlosser machte, weil er wusste, dann kann er drinnen arbeiten.“ Mit gutem Grund: Wer hier saß, hatte gute Überlebenschancen. „Manche Häftlinge haben hier die ganze KZ-Zeit überlebt“, sagt Möller. Ein Faktum, das auf die Fahrer der mit Ziegeln beladenen Loren, die steile Rampen hochgeschoben werden mussten, nicht zutraf. Deren Überlebenszeit betrug angesichts körperlicher Schwerstarbeit, unzureichender Kleidung und Mangelernährung rund drei Monate.

Die Zwangsarbeiter waren also „eine Klassengesellschaft in ihrer ausgeprägtesten Form“, wie Möller es formuliert. Die Nahrung wurde nach Rassenkriterien zugeteilt – eine Praxis, die der Idee eines effektiv produzierenden Wirtschaftsbetriebs extrem zuwiderlief. Darauf aber war die Waffen-SS zu ihrer Selbstversorgung eigentlich angewiesen. „Ab 1940 gab es Erlasse, die Häftlinge gut zu ernähren, damit sie effektiv arbeiten konnten. Aber das war für die SS-Aufseher kaum umsetzbar“, sagt Möller. „In der Psychologie würde man es als Double-Bind-Problem bezeichnen. Denn ihre ganze Schulung lief darauf hinaus, die Häftlinge zu misshandeln. Und dann kamen irgendwelche Wirtschaftskenner und verlangten das Gegenteil. Das haben die SS-Leute ideologisch nicht gepackt.“ PS

KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Jean-Dolidier-Weg 75, Hamburg. An diesem Sonnabend um 10.30 Uhr wird zudem die neue Dauerausstellung „Gefängnisse und Gedenkstätte. Dokumentation eines Widerspruchs“ eröffnet.