Ein Liebling der Sterneköche

Müritzlämmer genießen bei Köchen einen hervorragenden Ruf. Sie werden unter natürlichen Bedingungen großgezogen und erhalten heimisches Futter. Manche Gourmets schmecken gar die Wiesenkräuter aus dem Fleisch heraus

VON CHRISTOPH RASCH

Nicht der Hahnenschrei im ersten Morgenlicht ist es, mit dem Klaus Schwagrzinnas Arbeitstag beginnt, sondern ein Blöken im Dunkeln. Es ist viertel nach vier morgens, als sich der 48-Jährige aus dem Bett schält, um zum ersten Mal nach seinen Tieren zu sehen: nach den mehr als 1.300 Mutterschafen – und nach dem noch zahlreicheren Nachwuchs.

Haben die Füchse letzte Nacht wieder Lämmer gerissen? Sind Jungtiere durch eine Lücke im Zaun entwischt? Die inzwischen 200 Hektar auf seinem Hof in Stuer, gelegen im südlichen Mecklenburg, sind schwer zu überblicken. Und nicht nur das Schäfchenzählen raubt Schwagrzinna derzeit den Schlaf. Denn für ihn endet derzeit die „heiße Phase“ auf dem Hof – die meisten seiner Muttertiere „lammen“ noch im Mai.

„Bei so vielen Geburten passiert es auch, dass mal ein Lamm feststeckt“, sagt Schwagrzinna. Erst gestern musste er wieder einmal Hand anlegen. Denn zu Hunderten erblicken sie zwischen Dezember und Mai in Stuer das Licht der Welt – die Müritzlämmer. Sie sind die „Erfindung“ von Klaus Schwagrzinna, eine Kreuzung aus rundlichen englischen Southdown-Böcken und fleischigen Texel-Schafen mit „unbewolltem“ Kopf. Das Ergebnis: Die Lämmer haben so viel Fleisch auf den Knochen wie in kaum einer anderen Rasse.

„Kurzbeinig, mit breiten Rücken und muskulösen Keulen liefern sie die von der Spitzengastronomie gesuchte Qualität“, resümiert der Autor Franz Michael Rohm in der neuesten Ausgabe des Gastro-Magazins „Port Culinaire“: „Mittlerweile“, meint er, „gilt Schwagrzinna als der beste Lammfleisch-Produzent Deutschlands.“ Längst wirbt sogar die regionale Tourismuszentrale mit dem Gaumenkitzel.

Das Gras vom moorigen Boden – im Winter als Silage oder Heu verfüttert – sorgt für das feine Aroma des Fleisches, aus dem „echte Gourmets sogar die Wiesenkräuter herausschmecken“, sagt Schwagrzinna, der den Hof zusammen mit seiner Frau Christiane (35) betreibt. Die ist momentan hochschwanger, die Hofbetreiber erwarten noch Ende Juni eigenen Nachwuchs. Umso mehr zu tun für ihren Mann Klaus, der sein halbes Dutzend Herden vom Pferd aus inspiziert.

Tatsächlich: „Gigantisch gut“ sei die Ware vom Hof Müritz in den letzten Jahren geworden, meinen Küchenchefs wie Thomas Kurt aus dem Kreuzberger „E. T. A. Hoffmann“. „Die haben das toll kultiviert“, schwärmte Kurt unlängst in der Kochsendung des Inforadios: „Man bekommt das Fleisch in dem Reifegrad, in dem man es verarbeiten möchte.“

Es ist ein kurzes Dasein, das die neugeborenen Müritzlämmer vor sich haben – und doch leben sie länger als in vielen anderen Zuchtbetrieben. „Das sind keine Turbotiere, wir lassen sie sanft wachsen, meist mehr als ein halbes Jahr“, sagt Schwagrzinna. Das Großziehen der Lämmer unter natürlichen Bedingungen, nur mit heimischem Futter, gehört zu den Leitsätzen auf dem Hof Müritz, der Mitglied im deutschlandweiten „Biopark“-Verband ist.

Seit sechzehn Jahren züchtet der gebürtige Dortmunder und gelernte TV-Journalist selbst. Er erinnert sich gut an die Anfänge, Anfang der Neunziger: „Deutsche Spitzenköche importieren ihr Edel-Lammfleisch damals fast nur aus Frankreich.“ Ganz anders die Landwirte der Umgebung, als die Schwagrzinnas den Hof, 140 Kilometer nördlich von Berlin, übernahmen. „Da kommt das Hundefutter“, frotzelten die Nachbarn über seine ersten Müritzlämmer.

„Für die bin ich bis heute ein Exot geblieben“, sagt er – nicht zuletzt, weil er die Vermarktungs- und Vertriebswege für sein Lammfleisch eigenhändig und professionell aufgezogen hat: Schwagrzinna beliefert exklusiv die Spitzengastronomie in ganz Deutschland. Müritzlamm findet sich auf den Menükarten von Gourmettempeln wie dem Berliner „Margaux“ oder dem Hamburger „Süllberg“ ebenso wie im artgerechten Liefer-Angebot der „Neuland“-Gemeinde. Wichtigster Kunde ist der 3-Sterne-Koch Joachim Wissler, Schloss Bensberg. Daneben – „mehr als 70 Sterneköche können nicht irren“ – liefert der Edel-Fleischversandhandel „Otto-Gourmet“ das „deutsche Spitzenlamm“ auch in private Küchen: Über Lammkeule, -rücken und -schulter bis zum „Milchlamm ganz, ca. acht Kilo“ reicht der kulinarische „Otto“-Katalog, das Kilo ab 25 Euro.

Über steigende Umsätze können sich die Schwagrzinnas nicht beklagen, das Geschäft – insbesondere um Ostern – lief gut. Doch inzwischen müssen auch die Lämmer vom Müritz-Hof zum Schlachten 50 Kilometer weit transportiert werden; die Abkehr von der Heimschlachtung ist ein Zugeständnis an neue Richtlinien der EU – und an das eigene Wachstum.

Aber Lamm, ist der Züchter überzeugt, wird in Deutschland ein Nischenprodukt im einstelligen Prozentbereich bleiben – oder eben „Hundefutter“, für Klaus Schwagrzinnas skeptische Nachbarn an der Müritz.