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Archiv-Artikel

Der gute Geist von der Wartburg

Zum 800. Geburtstag der heiligen Elisabeth sonnen sich die Städte, in denen sie gelebt hat, im Glanz ihrer Aureole. Allen voran Eisenach

„Dramatisch liegt die Burg über dem Thüringer Wald. Wie Wellen reihen sich die Hügel rundherum“

VON WALTRAUD SCHWAB

Eisenach ist im Elisabeth-Fieber. Die Stadt, deren Häuser sich selbstbewusst an die Hügel unter der Wartburg schmiegen, bereitet sich auf den 800. Geburtstag der Heiligen vor. Nur 24 Jahre alt ist sie geworden. Trotzdem hat sie sich all die Jahrhunderte im Gedächtnis gehalten. Ihre Geschichte wurde weitergegeben von einer Generation an die nächste.

Aus dem Mund einer 70-jährigen Thüringerin, Liesel heißt sie, geht die Elisabeth-Verehrung so: „Meine Namenspatronin war doch eine Hochgestellte und hat auf der Wartburg gelebt. Aber sie war für die Armen. Dafür ist sie von den eigenen Leuten nicht gut angesehen worden. Einmal hat sie Essen aus der Burg geschmuggelt. Da haben die Eigenen sie gestellt. Als sie ihr den Mantel aufrissen, waren im Korb aber lauter Rosen.“ Nach dem Wort „Rosen“ macht sie eine Pause und streckt ihre Hand aus, als wolle sie auf Blumen zeigen, die nun überall blühen. „So jedenfalls geht die Legende.“

Der Buchhändler am Marktplatz von Eisenach hat einen praktischeren Zugang zur Heiligen: „Elisabeth ist unsere wichtigste diesjährige Werbeträgerin“, sagt er. Mit ihr lockt die Stadt, die viel von ihrem alten Flair behalten hat und nun gar versucht, dies ganz zaghaft mit einer südeuropäisch anmutenden Leichtigkeit zu verbinden. Straßen mit Fachwerkhäusern gibt es, dazu Plätze, um die herum Cafés ihre Stühle auf die Straße stellen. Alte Friedhöfe samt Stadtmauern sind zu besichtigen. Ein Schloss, Kirchen, Einkaufsstraßen und Stadttore. Zudem das Lutherhaus und das Bachhaus. Denn diese beiden Berühmtheiten lebten ebenfalls in Eisenach. In regelmäßigen Abständen also können die knapp 44.000 Einwohner und Einwohnerinnen der Stadt jemanden aufs PR-Schild heben.

Dieses Mal ist es Elisabeth von Thüringen. In allen Buchläden, nicht nur dem am Markt, sind der ersten karitativ tätigen deutschen Regentin, die Franz von Assisi verehrte, Regalmeter reserviert. Von Kitsch über Kunst ist alles zu haben. In den Geschäften drum herum ebenfalls. Dort gibt es Elisabeth-Bierdeckel und Elisabeth-Törtchen. Es gibt Elisabeth-Tassen, Elisabeth-Schokolade und Elisabeth-Brot. Gebacken mit alten Getreidesorten. Dazu kommen noch all die Rosen-Arrangements, die Rosenmenüs, Rosenbüfetts und das Roseneis. Alles ist mit Liebe gemacht. Natürlich auch, um Neugierige zu locken. Aber warum soll nicht belohnt werden, wozu die EisenacherInnen einen großen Teil beigetragen haben: Sie haben die Erinnerung an diese Landgräfin 800 Jahre lang aufrechterhalten. Das war nur durch Vereinfachung möglich.

Vor allem Frauen reagieren gern auf das Stichwort Elisabeth. „Wenn alle so gewesen wären wie sie, dann sähe die Welt anders aus“, meint eine Eisenacher Taxifahrerin, die aussieht wie ein Provinzpunk, mehrfach gepierct, aber ein Daisy-Duck-T-Shirt trägt. „Elisabeth war doch erst vier Jahre alt, als sie auf die Wartburg gebracht wurde. So klein“, sagt hingegen die Bedienung im Gasthof für fröhliche Leut, das direkt unterhalb der Burg liegt. Genauer: Das vierjährige Mädchen aus ungarischem Hochadel wurde 1211 als Verlobte des damals zukünftigen Landgrafen an den Hof der Ludowinger auf die Wartburg geholt.

Dramatisch liegt die Heimstatt der Landgrafen über dem Thüringer Wald. Wie Wellen reihen sich die Hügel um die Burg herum aneinander, legen sich hintereinander, schmiegen sich statisch eingefroren und durch die Bäume dennoch dynamisch bewegt aneinander. Sonnenuntergänge von der Wartburg aus erhöhen den Herrschaftsanspruch, den die Landgrafen von hier oben eine Zeit lang über Thüringen, Teile Hessens und Sachsen hatten, bevor ihre Dynastie in der der Wettiner aufging.

Die Wartburg war eine ungeschützte Burg. Sie hatte keine Quelle. Wasser musste mit Eseln von unten heraufgebracht werden. Unter solchen strategisch ungünstigen Bedingungen empfahl es sich, hier lieber Feste zu feiern, den Lüsten zu frönen und den Ort zu einem Zentrum der Kunst zu machen. Anlaufstelle für Minnesänger war die Burg, der Sängerkrieg soll hier stattgefunden haben.

Aus heutiger Sicht strahlt die Burg allerdings mehr Statisches denn Freigeistiges aus, obwohl vor 400 Jahren auch Luther, alias Junker Jörg, hier eine Zeit lang Zuflucht fand und die Bibel übersetzte. Außerdem wurde auf der Wartburg vor knapp 200 Jahren von Burschenschaften erstmals ein halbwegs einiges, einigermaßen demokratisches Deutschland gefordert.

Dennoch, sie ist und bleibt ein mächtiger Kasten: ummauert, steinern, burgenkühl. Trotz der historisierenden Neubauten aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, die der Weimarer Großherzog Carl Alexander bei der Renovierung hinzufügte. Er setzte mehr auf Prunk und Schnörkel als die Architekten im Mittelalter. In ihrer zusammengewürfelten, eklektischen Intaktheit strahlt die Burg nun all jene Retroromantik aus, die Touristen anlockt, die auf der Suche nach urdeutscher Kultur sind. Hier ist sie in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit: bieder und großzügig, unterwürfig und herrschaftlich, weltläufig und mit frierender Seele.

1067 war der Grundstein für die Wartburg gelegt worden. 150 Jahre später wurde der 17-jährige Ludwig IV. thüringischer Regent. 1221 heiratete er die 14-jährige Elisabeth. Die beiden sollen sich sehr zugetan gewesen sein. 1222 kommt ein Sohn, 1224 eine Tochter zur Welt. Kalkül, in dem es um Machtansprüche einerseits und das Wohlwollen des Papstes andererseits ging, machten es für Ludwig IV., der eigentlich als nicht sehr kriegsbegeistert galt, notwendig, 1227 an einem Kreuzzug teilzunehmen. Er kam nur bis nach Italien, wo er im September desselben Jahres starb. Wenige Tage später brachte Elisabeth das dritte Kind zur Welt.

Die Räume, die das Paar bewohnte, wirken in ihrer musealen Leere unzugänglich. Kreuzgewölbe, getragen von schweren mittigen Säulen, gliedern sie. Was ungewöhnlich wohl war für die damalige Zeit: Alle Räume hatten Kamine und waren beheizbar. Wie die Herrscher gelebt haben, welche Geräusche sie hörten, welche Gerüche sie umgaben, lässt sich jedoch nur schwer erahnen. Die Kemenate von Elisabeth wurde zu Anfang des letzten Jahrhundert mit Mosaiken ausgelegt, die die Stationen aus dem Leben der Frau wiedergeben. Mehr Kapelle als Wohnraum ist sie nun.

Schon zu Lebzeiten ihres Mannes zog es Elisabeth von Thüringen zu den Bedürftigen. Sie errichtete ein Krankenhaus für die Armen in der Nähe der Burgquelle und verteilte höfische Vorräte an die Bettler. Nach dem Tod ihres Gatten legte sie, gegen den Willen der herrschaftlichen Familie, die sie wieder verheiraten wollte, ein Armutsgelübde ab. Ihr geistiger Bezugspunkt wird der Mönch Konrad von Marburg, ein offenbar begnadeter Prediger, aber auch Fanatiker und Kirchenagent des Papstes. Unzählige Menschen wurden durch ihn der Ketzerei beschuldigt, der Inquisition überstellt und hingerichtet. Er verhindert, dass Elisabeth von Thüringen auf ihre Witwengüter verzichtet. Sie folgt ihm nach Marburg und stiftet dort ein Krankenhaus, in dem sie arbeitet. Strenge, quälende Askese, Aufopferung und Entsagung, die von Konrad von Marburg abverlangt wird, zehren sie aus. Sie stirbt im November 1231.

Warum sich Elisabeth von Thüringen, die sich auf der Wartburg als eigenwillige Herrschergattin zeigte, vollkommen in die Hand des sadistischen Mönchs begab, ist die im Jubiläumsjahr viel gestellte Frage. Nach heutiger Deutung sind mehrere Erklärungen denkbar. Eine: Nach dem Tod ihres Mannes war ihr Herz gebrochen, sie wollte nicht weiterleben. Eine andere: Sie hatte eine sadomasochistische Beziehung zu diesem Mönch, denn zu den Entsagungs- und Strafritualen für falschen Glauben gehörten auch Geißelungen. Er geißelte sie. Wieder andere glauben, die Regentin sei einem religiösen Wahn verfallen. Dass sie zumindest Spielball zwischen kirchlicher und weltlicher Macht war, darauf deutet die schnelle Heiligsprechung bereits vier Jahre nach ihrem Tod.

Für Eisenach sind solche Interpretationsversuche nur Mosaiksteine, die zeigen, wie Geschichte und die Sicht darauf sich ändern kann. Einen Aspekt dieses Wandels betrifft die Stadt selbst. Während die Eisenacher vor 800 Jahren zur Wartburg gehörten, ist es heute umgekehrt: Die Burg gehört zur Stadt. Und mit ihr Elisabeth. Mit diesem Vermächtnis wird gearbeitet. Ganz im Sinne der Heiligen vermutlich: Denn je mehr Touristen kommen, desto mehr Arbeitsplätze gibt es, desto stabiler ist das soziale Gefüge im Ort. Elisabeths Mission wäre wahrlich einen Schritt näher an der Erfüllung, wenn sie zumindest in Eisenach die Menschen durch ihr Leben und Wirken ein wenig glücklicher machte.