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Archiv-Artikel

Die Freiheit, die Konzerne meinen

Wir durchleben einen Wandel, sagt Luciano Floridi. Einen, bei dem die Landkarte, die eine Information auffindbar macht, immer wichtiger wird. Praktisch höre eine Information auf zu existieren, wenn man den Weg zu ihr von allen Landkarten streiche.

Fast vier Stunden ist die Expertenanhörung in der Berliner Kalkscheune zu diesem Zeitpunkt alt. Vier Stunden, in denen Floridi, Professor für Informationsphilosophie aus Oxford, gemeinsam mit Google-Außenminister Eric Schmidt, Wikipedia-Gründer Jimmy Wales, Exjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und zwölf anderen Experten und Expertinnen aus Deutschland und Europa aus Journalismus, Juristerei und Datenschutz konträre Positionen ausgetauscht haben.

Es geht um Googles Umsetzung eines Urteils, das irreführend „Recht auf Vergessenwerden“ genannt wird. Tatsächlich nämlich bringt der Europäische Gerichtshof Google dazu, Links aus Trefferlisten auf Wunsch von Bürgern zu entfernen. Das Ziel: Unliebsames aus den Suchergebnissen zu tilgen, die erscheinen, wenn man den eigenen Namen googelt. Und weil es viel Kritik an dem Urteil und an Googles wenig transparenter Umsetzung gab, tingelt nun dieser Expertentross durch Europa.

Welche Macht Google als Auffindbarkeitsmaschine, als Landkarte schon heute hat, zeigt sich auch im Streit mit deutschen Zeitungsverlegern: Weil die Geld dafür sehen wollen, dass Google auf ihre Artikel verweist und dafür winzige Textschnipsel bemüht, probt der Suchmaschinenkonzern jetzt, wer am längeren Hebel sitzt. Texte von Medien, die nicht einlenken, sollen ab 23. Oktober einfach aus dem Google-Index fliegen. Mal sehen, wer die Texte im Internet dann noch findet. Auch hier deutet sich bereits an, dass die Karte über das Gebiet siegen wird.

Twitter, Facebook, Google, Instagram – sie alle stecken große Medienhäuser hinsichtlich Reichweite, Wachstum und Einfluss längst in die Tasche. Medienmacher ächzen über den Tod der Startseite, über die sich neuerdings auch kein Werbegeld mehr verdienen lässt, weil der Traffic (also die Besucher) über Suchmaschinen und soziale Netzwerke kommt.

Die EU-Kommission lädt sich soziale Netzwerke ein, um mit ihnen ein ernstes Wörtchen über die Verbreitung von IS-Terrorpropaganda zu reden. Und die Debatte über den Einfluss von Facebook-Algorithmen auf die Wahrnehmung der Unruhen in Ferguson dürfte auch noch in Erinnerung sein.

Darum diskutieren IT-Portale und Wissenschaftler in den USA längst, was passiert, wenn die Presse- und Meinungsfreiheit künftig nicht mehr so sehr von klassischen Medien, sondern von Twitter, Google und Facebook verteidigt wird: Wird das einfach neue Realität – oder brandgefährlich, weil die Verteidigung dieser Grundrechte gewinnorientierten Unternehmen überantwortet wird?

Man darf nicht vergessen: Die digitalen Kartografen sind Unternehmen – die zwar oft im Sinne der Meinungsfreiheit entscheiden, immer jedoch im Sinne ihrer eigenen Wirtschaftlichkeit. Google etwa sagt offen, dass es sich für viele Fragen zum Recht auf Vergessenwerden im Grunde nicht zuständig fühlt. Tatsächlich ist es ein merkwürdiger Schritt, Google über etwas entscheiden zu lassen, worüber sonst Gerichte verhandeln. Twitter immerhin klagt derzeit, weil es genauer Auskunft über NSA-Anfragen geben will. Facebook entfernt Inhalte, von denen es annimmt, dass sie Nutzer oder Werbekunden belästigen.

Im deutschen Feuilleton hat man sich ja längst drauf eingeschossen, marktmächtigen Internetgranden vor allem eines zu machen: Vorwürfe. Wahrscheinlich ist das die einzige Gemeinsamkeit, die deutsche Buchhersteller mit Jaron Lanier verbindet – und doch reichte es offenbar als Argument, um den US-Autor, Silicon-Valley-Einwohner und Programmierer Lanier mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels zu bewerfen. Drauf gepfiffen, dass dieser Lanier das textlastige Internet lieber heute als morgen durch seine virtual reality ablösen würde, sich daran aber bislang die Zähne ausbeißt.

Und noch ein Lebensbereich, um den sich neuerdings zwei große Internetfirmen kümmern wollen: Facebook und Apple wollen Mitarbeiterinnen Geld dafür zahlen, wenn die ihre Eizellen auf Eis legen. Also die Familienplanung auf später verschieben und sich erst mal in Ruhe an den Rand des Burn-outs arbeiten. Neoliberale Spätreproduktionsprämie oder einfach mehr Selbstbestimmung, verbunden mit einem freundlichen finanziellen Angebot? Positionen, zwischen denen sich die Netzfeministinnen munter zerfleischen.

Nachzulesen im Netz. Schauen Sie mal rein. Aber nehmen Sie besser eine Karte mit.

MEIKE LAAFF