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Archiv-Artikel

Bertelsmann für direkte Demokratie

REINHARD-MOHN-PREIS Bundeskanzlerin Merkel hält die Festansprache für den Preisträger, die Stadt Recife

Demokratiebewegten ist der Bürgerhaushalt, wie ihn viele brasilianische Kommunen praktizieren, schon länger ein Begriff. Im südbrasilianischen Porto Alegre können die BürgerInnen bereits seit 1989 über einen Teil der Haushaltsmittel direkt mitentscheiden, seither hat der Ansatz Nachahmer in aller Welt gefunden.

Auch die Bertelsmann-Stiftung gibt sich dieses Jahr ganz basisnah: Heute wird die nordostbrasilianische Metropole Recife für ihren Bürgerhaushalt mit dem ersten „Reinhard-Mohn-Preis“ ausgezeichnet. Der Wettbewerb stand unter dem Motto: „Demokratie vitalisieren – politische Teilhabe stärken“, die Bürgerhaushalte von Belo Horizonte (Brasilien) und La Plata (Argentinien) landeten bei der Onlineabstimmung unter deutschen Usern auf den Plätzen zwei und drei. Bundeskanzlerin Merkel hält die Festansprache.

Recifes Bürgermeister João da Costa kommt zur Preisverleihung nach Gütersloh. Der Politiker ist Mitglied der linken Arbeiterpartei PT. In Recife hatte die erste PT-geführte Stadtverwaltung 2001 damit begonnen, den Bürgerhaushalt nach südbrasilianischem Vorbild umzusetzen. Während in Porto Alegre die Hochzeit der Partizipation schon einige Zeit zurückliegt, gehört Recife zu den besonders vitalen Beispielen des Bürgerhaushalts.

Jährlich sind dort über 100.000 Menschen mit von der Partie, vor allem aus ärmeren Stadtteilen. Für die kommenden drei Monate sind 95 Versammlungen angesetzt. Die Bürger beschließen, was für ihr Viertel am wichtigsten ist: die Asphaltierung einer Straße, die Einrichtung eines Gesundheitspostens oder der Bau von Sozialwohnungen. Für die PT war dies in beiden Städten der Weg, die Armen aktiv in die Kommunalpolitik einzubeziehen und ihnen zugleich einen größeren Teil der knappen Haushaltsmittel zukommen zu lassen.

Dazu stellen noch 90.000 SchülerInnen ihren eigenen Bürgerhaushalt auf. Auch sie diskutieren, entsenden Delegierte auf Versammlungen und stimmen schließlich über Projekte an Schulen und in der Stadt ab – ein gutes Mittel gegen Politikverdrossenheit.

Dass die Bertelsmänner nun nach links abdriften, ist indes nicht zu befürchten: Die Bürgerhaushalte sind ja durchaus kompatibel mit marktwirtschaftlichen Prinzipien. Deren Befolgung entscheidet Jahr für Jahr über die Positionierung von 128 Ländern auf dem umstrittenen Bertelsmann-„Transformationsindex“. Gut zum diesjährigen Preis passt auch, dass der Medienmulti auf dem Wachstumsmarkt Südamerika noch stärker Fuß fassen will. GERHARD DILGER