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Archiv-Artikel

Passkontrolle gegen Masern

Schüler ohne Impfung werden in Mettmann vom Schulbesuch ausgeschlossen. Das rät das Land wegen der anhaltenden Masernepidemie allen Kommunen. Allerdings macht kaum eine mit

VON MIRIAM BUNJES UND NATALIE WIESMANN

Fast 50.000 Impfpässe von Schülern, Lehrern und anderen Schulangestellten hat das Gesundheitsamt im Kreis Mettmann in den vergangenen Wochen kontrolliert. Zweimal Masern muss eingetragen sein – sonst bekommen die Betreffenden Post vom Gesundheitsamt. „Wir bitten die Eltern dringend, gegen Masern zu impfen“, sagt Kreissprecher Martin Kospric. Tun sie das nicht, droht ein Schulausschluss. „Natürlich nur, wenn es an der Schule einen Masernfall gibt.“ Bis Ende der Woche will der Kreis alle Schulgänger erfasst haben. „Danach kommen wahrscheinlich die Kindergärten.“

Mettmann liegt im erklärten „Masern-Krisengebiet“: Knapp 50 Infektionen gab es seit den Osterferien, NRW-weit sind es zur Zeit 160, die meisten davon im Rheinland zwischen Düsseldorf und Mettmann. „Es stecken sich wöchentlich 20 Menschen an“, sagt Ulrich van Treeck vom Landesinstitut für den Öffentlichen Gesundheitsdienst. 1.700 Menschen erkrankten 2006 an Masern, zwei Kinder starben an der als Begleiterscheinung gefürchteten Hirnhautentzündung.

„Wir wollen es nicht soweit kommen lassen“, sagt Mettmanns Kreissprecher. „Kriegt bei uns jemand Masern, können wir sofort reagieren.“ Etwa 80 Schülern haben die Behörden bereits Quarantäne verordnet. Ein Elternpaar plant deshalb eine Klage.

Der Kreis Mettmann beruft sich auf das bundesweit geltende Infektionsschutzgesetz. Bei meldepflichtigen Krankheiten wie Masern können gefährdete Personen aus öffentlichen Einrichtungen ausgeschlossen werden, steht dort. Die Kläger bezweifeln, dass alle gesunden Kinder gefährdet sind – und berufen sich auf ihr grundgesetzliches Recht auf körperliche Unversehrtheit, dass durch eine erzwungene Impfung eingeschränkt werde.

„Alle ohne Impfschutz sind stark gefährdet“, sagt Ulrich Lensing, Sprecher des NRW-Gesundheitsministerium. Das begrüßt die Mettmannsche Regelung. „Wir empfehlen allen Gesundheitsbehörden, das Infektionsschutzgesetz anzuwenden“, sagt Lensing. Verbessert sich die Durchimpfungsrate bis 2008 nicht, müsse NRW über eine Impfpflicht nachdenken. „Rechtlich wird das aber sehr schwierig, deshalb setzen wir erst auf Prävention.“

Zur Zeit sind in NRW 95 Prozent der Bevölkerung einmal gegen die Masern geimpft. Einen Impfschutz gibt es laut Schulmedizin erst nach der zweiten Impfung. Die haben aber nur 75 Prozent der Geimpften. „Nicht, weil sie Impfgegner sind, sondern weil sie es verschludert haben“, sagt Lensing.

Der Empfehlung des Ministeriums folgen aber nur wenige. Die Stadt Düsseldorf will weiterhin nur informieren. „Wir prüfen Impfausweise erst, wenn an einer Schule ein Kind erkrankt ist“, sagt Horst Winkler, Kinderarzt beim Gesundheitsamt Düsseldorf. Und auch dann würden nicht alle ungeimpften Schüler ausgeschlossen: „Oft beschränkt sich das dann auf Nicht-Geimpfte aus der selben Klasse.“ Auch in Duisburg, wo es im vergangenen Jahr die meisten Masern-Fälle gab, ist man gegen präventive Kontrollen.

Fahrlässig findet das Thomas Fischbach, Vorsitzender der Kinder- und Jugendärzte in NRW. Die Initiative Mettmanns sei „toll“, leider aber ein Einzelfall. Das liege an der Ausdünnung des Personals in den Gesundheitsämtern: „Die ärmeren Städte haben die Ausgaben für Prävention stark gekürzt.“

Stefan Schmidt-Troschke, Direktor im anthroposophischen Krankenhaus Herdecke hält Mettmanns „Zwangsimpfung durch die Hintertür“ für sinnlos. „In armen Staaten fehlt das Geld für Impfungen, solange wird es dort Viren-Herde geben“, sagt der Kinderarzt. „In einer globalisierten Welt kommt der Virus dann auch zu uns.“ Weil geimpfte Mütter ihren Babies keinen Immunschutz gegen Masern gäben, seien die durch eingeschleppte Viren stark gefährdet. „Solange nicht überall geimpft wird, ist es besser, hier kleinere Epidemien zu zulassen.“