ORTSTERMIN: GEHÖRLOSIGKEIT IM „DIALOG IM STILLEN“ ERFAHREN : Wenn einer der Sinne fehlt
Sobald ich mir die Ohrschützer aufsetzt habe, kann ich nichts mehr hören. Plötzlich muss ich mich ganz anders orientieren. Die anderen und ich gucken uns aufmerksamer an, um nichts zu verpassen. Gut, dass die Gruppe klein ist, zu viert stehen wir um einen runden Tisch und schauen auf Sören. Der Gruppenleiter ist gehörlos und wird damit hier zu demjenigen, der allen etwas voraus hat. Er kann mit seinen Händen sprechen und mit den Augen hören, kann sich mit Gesten klar ausdrücken und hat eine facettenreiche Mimik.
Die versucht er nun auch den Besuchern von „Dialog im Stillen“ beizubringen. Diese Ausstellung hat sich im Oktober zu der seit 2000 in Hamburg bestehenden Ausstellung „Dialog im Dunkeln“ in der Speicherstadt gesellt. Hier geht es darum, sich nicht blind sondern taub in der Welt zurechtzufinden.
Der Dialog im Stillen funktioniert im Gegensatz zu seinem lichtlosen Gegenstück über Kommunikation. Wie können wir Freude, Trauer, Ekel und alles dazwischen durch Mimik ausdrücken? Wie werden Körperteile symbolisiert? Und wie beschreibe ich ein Bild, ohne zu sprechen? Diese Fragen will die Ausstellung beantworten.
In verschiedenen Räumen lernen wir nach und nach, uns ohne Gehör zu verständigen. Zuerst versuchen wir, durch Schattenspiele Symbole mit den Händen darzustellen, dann geht es um die Mimik: Hier ahmen wir die Gesichtsausdrücke von Albert Einstein oder Oliver Kahn nach und dann sollen wir auch noch mit dem Gesicht ausdrücken, was uns bei Fotos von einem Strand, von Würmern oder einem Hund durch den Kopf geht.
Zum Schluss geht es an die Gebärdensprache: Im nächsten Raum gibt es Fotos von verschiedenen Zeichen und wir sollen erraten, was sie darstellen. Das können wir erstaunlich oft.
Komplett gehörlos bin ich aber durch die Kopfhörer doch nicht – hin und wieder höre ich ein Lachen oder Prusten der anderen Besucher. Ein bisschen merkwürdig kommen sich alle schließlich schon dabei vor: so viel zu gestikulieren, das Gesicht zu verziehen und die Arme zu schleudern oder verschränken. Und was genau meint mein Gegenüber eigentlich gerade? Da kann ich mir schon gut vorstellen, wie schwer es für einen Gehörlosen sein muss, sich mit Fremden ohne Gebärdensprache zu verständigen.
Nach der Ausstellung muss ich mich ans Sprechen wieder gewöhnen. Jetzt ist es nämlich an der Zeit, Fragen zu stellen. Zu Sören, der uns durch die Ausstellung führte, gesellt sich nun eine Dolmetscherin. Nun merke ich, dass wir uns doch nicht so mit ihm unterhalten können, wie wir es gewohnt sind. Wo er uns vorher noch etwas voraus hatte, weil er auch ohne Gehör kommunizieren kann, tun sich Schwierigkeiten auf, als wir wieder sprechen und hören dürfen.
Nach einigem Zögern und Aufmuntern von Sörens Seite kommen neugierige Fragen auf: Ob er mit einer Hörenden verheiratet ist? Wie er mit Fremden – zum Beispiel beim Einkauf – kommuniziert? Ob seine Familie auch gehörlos ist? Und wie er telefoniert oder geweckt wird? Obwohl wir sprechen gestikulieren dabei viel. Sören beantwortet alles offen und geduldig.
Da im Dialog im Stillen nicht mit einer der Gebärdensprachen, sondern hauptsächlich durch Körpersprache und Mimik kommuniziert wird, funktionierte die Ausstellung in Frankreich, Israel, Finnland und Mexiko bereits nach dem gleichen Konzept. In Hamburg soll sie nun dauerhaft bleiben.JELENA MALKOWSKI