: Al-Qaida hat einen neuen Chef
TERROR Der Ägypter Aiman al-Sawahiri, Weggefährte von Osama bin Laden, übernimmt das Terrornetzwerk. In einer Erklärung wird die Fortsetzung des Dschihad beschworen
VON BEATE SEEL
BERLIN taz | Nun ist es offiziell. Gut sechs Wochen nach dem Tod von Osama bin Laden hat al-Qaida einen neuen Chef. „Das Generalkommando von al-Qaida gibt bekannt, dass Scheich Aiman al -Sawahiri nach Beratungen an die Spitze der Organisation berufen wurde“, hieß es in der Mitteilung, die auf islamistischen Websites veröffentlicht wurde. Al-Qaida werde „den Dschihad gegen die Abtrünnigen“ fortsetzen, allen voran gegen „den Kreuzritter Amerika und seinen Komplizen Israel“, hieß es in der Erklärung weiter. Das Terrornetzwerk drängte die islamische Nation, „sie mit allen Mitteln zu bekämpfen, bis zur Vertreibung aller Invasionsarmeen und der Einführung der Scharia“.
Sawahiri war bereits zuvor als Nachfolger bin Ladens gehandelt worden. Sein Leben stand ganz im Zeichen des Hasses auf den Westen und terroristischer Gewalt – sowie auf die ägyptischen Machthaber. 1951 in Maadi, einem gutbürgerlichen Vorort der Hauptstadt Kairo, geboren, wurde er mit 15 erstmals wegen Mitgliedschaft der verbotenen Muslimbrüder festgenommen. Nach seiner Ausbildung zum Chirurgen blieb er weiter aktiv, inzwischen für die Gruppe Islamischer Dschihad. 1981 wurde er im Zusammenhang mit der Ermordung des damaligen ägyptischen Präsidenten Anwar as-Sadat zu drei Jahren Haft verurteilt; danach verließ er das Land. Später wurde er in Ägypten in Abwesenheit zum Tode verurteilt.
Sein Weg führte über Saudi-Arabien, Sudan und Pakistan schließlich nach Afghanistan. Etwa 1998 schloss er sich bin Laden an. Nebst der ihm zugeschriebenen Rolle bei zahlreichen anderen Attentaten halten einige Beobachter ihn für den eigentlichen organisatorischen Kopf hinter den Anschlägen vom 11. September 2001.
Schon in der Zeit vor dem Tod bin Ladens meldete sich Sawahiri in Tonbandbotschaften häufiger zu Wort als sein Chef. Zwischen Januar und April dieses Jahres veröffentlichte er fünf Botschaften, die sich auf die Proteste in der arabischen Welt bezogen. Sawahiri, der jahrzehntelang vergeblich versucht hatte, Ägyptens Präsident Husni Mubarak mit dem Mittel des Terrors zu stürzen, gab zu, dass er der Entwicklung hinterherlaufe, was er auf sein Leben im Untergrund zurückführte. In einer Erklärung vom 30. März hatte al-Qaida die arabischen Revolutionen als einen „großen Sprung nach vorn“ bezeichnet, verknüpft mit der Hoffnung, dass die „Mudschaheddin-Brüder“ in der Region nach Jahrzehnten des Erstickens wieder eine Chance erhalten, „frei zu atmen“. In einer Videobotschaft vom 8. Juni rief Sawahiri die Menschen zum Schulterschluss mit den arabischen Revolutionären auf. „Unseren Brüdern in Ägypten, Libyen, Tunesien und Syrien sagen wir, dass wir den gleichen Kampf führen wie sie – gegen Amerika.“ Doch die Millionen Menschen, die vorwiegend friedlich gegen die jeweiligen Machthaber auf die Straße gezogen sind, werden nachträglichen Versuchen von al-Qaida, wie etwa im englischen Internetmagazin Inspire, die Geschichte in ihrem Sinne zurechtzurücken, keinen Glauben schenken.
Sawahiri stammt im Gegensatz zu bin Laden nicht von der Arabischen Halbinsel. Daher wurde nach dessen Tod spekuliert, dass eine Nachfolge durch Sawahiri auf Vorbehalte in den Reihen der „al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel“ stoßen könnte, die lieber einen der ihren an der Spitze sähe. Und der Jemen gilt als das neue Rückzugsgebiet der Terrororganisation. Am Mittwoch dieser Woche brachten militante Islamisten, unter denen vermutlich auch Mitglieder von al-Qaida waren, dort Teile der Hafenstadt Huta unter ihre Kontrolle. Schon Ende März hatte al-Qaida die jemenitische Provinz Abyan großspurig zum „Islamischen Emirat“ erklärt.