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Archiv-Artikel

Ins Gehirn gebrannt

Die Klimakatastrophe hat sich als Thema endlich durchgesetzt. Vor allem Medien zelebrieren die drohende Apokalypse. Kann diese Hysterie zu einem Umdenken der Menschen im Alltag führen?

VON JAN FEDDERSEN

Wahrscheinlich ist alles, was in diesen Wochen und Tagen zur sogenannten Klimakatastrophe berichtet wird, vor allem dies: richtig und wahr und gut. Keine Zeitung, allen voran dieses Blatt, kein Fernsehsender, keine Illustrierte und keine Radiowelle, die in jüngster Zeit nicht mitgemacht hätten bei den Alarmrufen: ein kollektiver Weckruf, eine gesamtmediale Mühe, die Kundschaften ins Bild vom drohenden Unheil zu setzen. Gestern noch titelten wir auf unserer Seite 1: „Klimawandel in Deutschland: Jetzt gibt‘s die Quittung.“ Das Problem ist nur: Das Gewitter an Informationen aller Medien wird langsam unverdaulich – die Leserschaften, gleich welche, schalten ab, satt und blutleer im Kopf.

Das ist quasi ein Naturgesetz der Organisation menschlicher Aufmerksamkeit: Der Ruf, der Drohendes beschwört, verklingt trotz anschwellender Intensität, sobald die Gerufenen genug haben – die ihre Ohren und Augen schließen. Ein Zuviel des Grauens befördert Gleichmut – nur noch die Routineaufgeregten und Überallesbetroffenen empfinden im gehirnwaschenden Schwall an Bilder- und Textfluten die rechte Dosis, um ihre Anklagen zu orchestrieren.

Apokalypse bitte!

So erging es allen Themen der vergangenen Jahre: Tsunami („Vorbote des Killerklimas?“), Antisemitismus („In der gesellschaftlichen Mitte lodert die Gefahr!“), das Jüdische („Israel ist auch nicht besser, als die Nazis es waren“), Kinderkrippe („Immer mehr Frauen wollen keine Kinder“) – stets werden, um die Berichterstattung am Leben zu halten, Szenen in der „Immer-mehr-Logik“ konstruiert.

Ob es Mitte der Neunzigerjahre die Entdeckung der serbischen Massaker im exjugoslawischen Srebrenica war, ob es die ewig-öden Debatten („Ist die Jugend verdorben und gewalttätig?“) sind, sei es nach einem Schulmassaker wie in Erfurt oder aufgemotzten Berichten über sogenannte Problemschulen im Berliner Bezirk Neukölln: Blätter und Sendungen pflastern sich zu mit diesen je akuten Problemlagen, bis es allen aus den Hälsen heraushängt.

Was andererseits niemand zugeben mag. Wer möchte sich schon nachsagen lassen, keinen Sinn zu haben für die antisemitische Gefahr, das palästinensische Jammern, die Menschen in der verwüsteten Dritten Welt zu Land oder zu Meer, Abgeschlachtete, Hingerichtete, Notleidende, Bedürftige und Heranwachsende, um die man sich dringend kümmern müsse? Eben. Herzlosigkeit ist schlimmer als alles, im Grunde.

Im echten Leben aber nerven Opfer, Märtyrer wie generell alle Akteure mit mahnendem Zeigefinger. Der Soziologe Niklas Luhmann argumentierte, Beachtung fänden gesellschaftliche Gruppen überhaupt nur mit Hilfe von Gehirnwäsche – eines Publikums, das im Alltag ja nur selten Not und Elend erfährt und jedes Gewusel an einer Verkehrskreuzung bedrohlicher findet als den Kondensstreifen von Flugzeugen am Himmel, der tatsächlich als Signum der Klimazerstörung gelesen werden möchte.

Das Mittel der Gehirnwäsche mag insofern eines sein, das zum Gelingen einer Kampagne in guter Absicht beiträgt. Dass es sich vernutzt, steht auf der anderen Seite auch fest. Wie die Balance zu finden ist, weiß niemand – professionelle Politiker und Mediengestalter halten das für Glückssache. Um ein Loriot-Zitat abzuwandeln, das in allen Medien beherzigt wird: Ein Medienmensch hat so was im Gefühl. Sicher scheint nur dies: Ein Overkill an Informationen stumpft ab. Das Leben ist schön? Ach was! Srebrenica? Jajaja! Hartz IV? Ach! Klimakatastrophe? Immerschlimmklarsehrschlimm!

Charts im Netz

Die Internetsuchmaschine Google verzeichnet zum Stichwort Klimakatastrophe 621.000 Einträge (Stand: 15. März), zur Kombination „Schönes Wetter“ derer 631.000. Der Super-GAU – eine Wortschöpfung, deren beste Tage auch schon etwas zurückliegen – 394.000 Netzspuren; Weltuntergang übernimmt aber mit 618.000 Notizen die Führung in den Bedrohungscharts, wohingegen Weltenbrand aus der Mode scheint, nur 90.000 Einträge werden gezählt.

Antiglobalisierung bringt es auf – gewiss beklagenswert – geringe 14.700, Globalisierung hingegen auf gut neun Millionen Fundstücke: Letzteres offenkundig und kaum überraschend das Stichwort schlechthin zur aktuellen Debatte: Klima übel, Globalisierung schrecklich, alles bedroht: eine Atmosphäre von Ekstase und Überdruss.

Apokalypse, ein Evergreen gerade im allen zugänglichen Netz, hält gut mit – mit 1,82 Millionen. Die vermutlich eher realistische Mentalität, die sich in der Vokabel von „scheißegal“ ausdrückt, ist da schon abgehängt – mit nur gut einer halben Million Hinweise.