Atomare Spaltung an Blairs Machtbasis

Eine massive Revolte von Labour-Abgeordneten im britischen Parlament führt dazu, dass Premier Tony Blair einen Beschluss zur Modernisierung des britischen Atomwaffenarsenals nur mit den Stimmen der konservativen Opposition durchkriegt

VON RALF SOTSCHECK

Es war die größte Labour-Revolte bei einem innenpolitischen Thema seit Tony Blair Amtsantritt 1997. Am Mittwochabend stimmten 95 seiner Abgeordneten gegen die Modernisierung des britischen Atomwaffenarsenals. Die britische Regierung hat im Unterhaus nur eine Mehrheit von 62 Mandaten. Dass Blair die neue Generation von Atom-U-Boot-gestützten Trident-Langstreckenraketen dennoch bekommt, verdankt er den oppositionellen Konservativen, die fast alle die Regierung unterstützten, so dass eine Mehrheit von 248 Stimmen zustande kam.

Damit ist eines der nächsten britischen Wahlkampfthemen vorgegeben: Die Tories werden argumentieren, dass Großbritannien nur deshalb sicher ist, weil die Konservativen der Regierung aus der Patsche halfen, während Labour heillos zerstritten sei. Die Mehrheit der schottischen Labour-Abgeordneten stimmte gegen die Regierung – in Schottland, im Holy Loch, sind die Tridents stationiert, und der Unmut darüber ist dort groß. Am Montag war der stellvertretende Labour-Fraktionschef im Unterhaus, Nigel Griffiths, zurückgetreten. Einen Tag später folgte ihm der parlamentarische Staatssekretär und langjährige Vorsitzende der schottischen Labour-Partei, Jim Devine, und am Mittwoch die Staatssekretäre Chris Ruane und Stephen Pound.

Blair und seine Kabinettskollegen hatten im Vorfeld in Einzelgesprächen versucht, potenzielle Rebellen umzustimmen. Manche wurden mit Aussicht auf die Jobs von Griffiths und Devine geködert, andere auf Dienstreisen ins Ausland geschickt, damit sie nicht mitstimmen konnten. Es nützte alles nichts.

Dass Blair überhaupt ein so umstrittenes Thema noch kurz vor seinem Rücktritt im Sommer auf die Tagesordnung setzte, war wohl ein Freundschaftsdienst für seinen designierten Nachfolger, Finanzminister Gordon Brown. Aber „das ist erst der Anfang der Kampagne gegen Trident“, sagte McDonnell. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace protestierte während der Debatte auf einem Schiffskran in der Themse, die „Kampagne für atomare Abrüstung“ (CND), der Blair früher angehörte, organisierte eine Massendemonstration. Hundert Prominente forderten in einem offenen Brief, dass Großbritannien „nicht im Eiltempo zu einem unausgereiften Beschluss über die Erneuerung seines Trident-Atomwaffensystems gedrängt werden“ dürfe. Zu den Unterzeichnern gehören Astrophysiker Stephen Hawking, Oscar-Preisträgerin Emma Thompson, Rockmusiker Jarvis Cocker, Schriftstellerin Zadie Smith und der Erzbischof von Canterbury, Rowan Williams.

Blair sagt, es sei Eile geboten, weil die Entwicklung und Konstruktion neuer Atomwaffen 17 Jahre dauere. Das älteste der vier britischen Atom-U-Boote, die mit 16 Trident-Langstreckenraketen und 48 Sprengköpfen ausgerüstet sind, ist 2022 schrottreif, das nächste zwei Jahre später. Deshalb müssen die Aufträge im Wert von 15 bis 20 Milliarden Pfund noch in diesem Jahr erteilt werden, so Blair. Großbritanniens besitzt seit 1960 Atom-U-Boote, als man den USA den Hafen für die Polaris-U-Boote im Holy Loch zur Verfügung stellte. Im Gegenzug erhielten die Briten das Polaris-System. Die Tory-Premierministerin Margaret Thatcher ließ Polaris 1992 durch Trident ersetzen. Seitdem ist mindestens eins der Atom-U-Boote immer auf Patrouille. Rüstungsgegner meinen, dass die Modernisierung der Trident-Flotte gegen den Atomwaffensperrvertrag verstoße. Die Regierung sagt, dass eine Modernisierung existierender Waffensysteme nicht unter den Vertrag falle.