: Ein Protein gegen das Gelenktrauma
Das Düsseldorfer „Zentrum für molekulare Orthopädie“ hat eine Therapie gegen Arthrose entwickelt, bei der die körpereigenen Abwehrkräfte gestärkt werden. Doch nur wenige Kassen bezahlen die Behandlung – obwohl die Therapie wirksamer ist als herkömmliche Medikamente
Im Werbefaltblatt erinnern die Graphiken an einen animierten Science-Fiction-Streifen. Rote runzlige Kugeln dringen in blaue trichterförmige Gebilde ein. In einem zweiten Bild werden jene Trichter von dunkelblauen Kugeln geschützt. Die roten Eindringlinge haben so keine Chance mehr. Aber kein Krieg der Sterne wird hier dargestellt sondern die molekularbiologische Therapie eines an Arthrose erkrankten Kniegelenks.
Der Eiweißstoff Interleukin-1 schädigt bei Verschleiß den Knorpel in den Gelenken, erklärt Axel Baltzer vom „Zentrum für molekulare Orthopädie“ in Düsseldorf. Jenes Protein, in der Graphik rot, rund und runzlig dargestellt, werde von Arthrosekranken in zu großen Mengen gebildet. Doch es gebe, so der 43-jährige Facharzt, im Körper auch immer einen Gegenspieler, einen Antagonisten. In diesem Falle ist das IL-1Ra, auf Hochdeutsch formuliert heißt die Chemikalie Interleukin-1-Rezeptorantagonist. Dieses Protein verdrängt das schädigende Protein, wirke so entzündungshemmend, schmerzlindernd und vermutlich auch Knorpel stabilisierend.
Gewonnen wird die Substanz relativ einfach. In einer mit kleinen Glaskügelchen gefüllten Spritze wird das Blut des Patienten bei 37 Grad bebrütet. So entstehen vermehrt die schon im Blut vorhandenen Schutzproteine, die nur noch mit Hilfe einer Zentrifuge vom Rest der Körperflüssigkeit getrennt werden müssen. Diese Proteine werden dann direkt in das erkrankte Gelenk gespritzt.
„Das hat eigentlich nichts mit Medizin zu tun. Das ist Biologie“, erklärt Baltzer. In der Medizin, so unterscheidet der gelernte Orthopäde, mache man aus körperfremden Materialien Stoffe, die im Körper kurzfristig tolle Reaktionen hervorrufen. In der Biotechnologie sei dies ganz anders. Baltzer vergleicht die neuen Methoden mit einem Mikrochip, den man in einen Computer einbaut. Dadurch könne der Computer die Fabrik „Zelle“ besser steuern als zuvor. „Wir wollen in der Zelle eine Information hinterlassen, die möglichst lange nachwirkt.“ Stichwort Selbstheilungskräfte des Körpers.
Der Leidensweg vieler der etwa acht Millionen Arthrosepatienten in Deutschland scheint dem Arzt mit seiner kritischen Haltung gegenüber der konventionellen Medizin Recht zu geben. Durch Übergewicht, starke Beanspruchung, Verletzungen, Veranlagung, aber auch in Folge des natürlichen Alterungsprozess entsteht die chronisch-schmerzhafte Gelenkveränderung, die sogar bis zur völligen Versteifung des betroffenen Körperteils führen kann. Ständige starke Schmerzen, Arbeitsunfähigkeit bis hin zu völliger Pflegebedürftigkeit können Folgen dieser Volkskrankheit sein.
Die konventionellen Therapieformen arbeiten mit Schmerzmitteln und mit Kortison als entzündungshemmendem Medikament. Beide Substanzen versuchen aber nur, die Symptome zu lindern und bergen erhebliche Risiken und Nebenwirkungen. Die dauerhafte Gabe von hoch potenten Schmerzmitteln schädigen Leber und Nieren. Kortison ist für ein ganzes Bündel von unerwünschten Nebenwirkungen verantwortlich: Grauer Star, Muskelschwund, Wassereinlagerungen im Gewebe, Immunschwäche – und Knochenabbau. Eine Therapie, die aktiv in das Krankheitsgeschehen eingreift und relativ wenig Nebenwirkungen hat, wurde also schon lange von vielen Betroffenen herbeigesehnt.
Die gerade veröffentlichten Forschungsergebnisse lassen da aufhorchen. Bei einer Studie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf wurden 380 Arthrosepatienten behandelt. Ein Drittel der Probanden bekam das Präparat mit dem körpereigenen Protein verabreicht. Einem Drittel wurde ein konventionelles Medikament verabreicht. Und ein Drittel erhielt nur ein Placebo. Nach 26 Wochen wurde nach der Therapiezufriedenheit gefragt. Das Placebo und das konventionelle Medikament erzielten zufriedenstellende Noten. Der körpereigene Antagonist aber hatte ein doppelt so gutes Ergebnis wie die beiden anderen Substanzen.
Inzwischen sind in Düsseldorf mehrere 10.000 Patienten mit dieser Methode behandelt worden. Die Therapieform kostet pro Behandlung etwa 800 Euro. Im Gegensatz zu operativen Eingriffen, in denen künstliche Gelenke eingesetzt werden, erscheint dieser Betrag recht klein. Trotzdem übernehmen nur einige Krankenkassen die Behandlung. Laut Gesundheitsreform müssen die Kassen nur langjährig erprobte Therapien bezahlen. „Da müssen wir wohl noch zehn bis 15 Jahre warten“, sagt Baltzer. Große Pharmaunternehmen, die konventionelle Arzneien herstellen und Spezialunternehmen, die künstliche Gelenke produzieren, verfügten über milliardenschwere Etats, um die Meinungsmacher in der Medizinwirtschaft zu finanzieren. Kleine Institute mit neuen Ideen hätten es da ungleich schwerer.
Aber ist die Skepsis mancher Krankenkassen nur durch die Lobby der Gesundheitsmultis zu erklären? Biotechnologie klingt ja nun nicht ganz risikofrei. Baltzer gibt Entwarnung. „Wir verändern nicht die Gene.“ Es werden im Labor nur Stoffe zur Vermehrung angeregt, die ohnehin im Blut vorhanden sind. Mutanten mit schmerzfreien Kniegelenken sind also nicht zu erwarten. Aber bei der Diskussion um die Stammzellforschung geht es hauptsächlich darum, wie jene Zellen gewonnen werden. Die Gewinnung von Stammzellen aus Embryonen wird von vielen abgelehnt. Auch hier winkt der Arzt aus Düsseldorf ab. Das „Zentrum für molekulare Orthopädie“ arbeite zwar bei Gelenkknorpel-Defekten auch mit Stammzellen. Diese werden aber aus dem Knochenmark der Patienten gewonnen. Dieses Verfahren wertet sogar das Greenpeace-Magazin als ethisch nicht umstritten.
Vermutlich könne man mit Stammzellen in Zukunft, so Baltzer, alle menschlichen Zellen züchten: Nieren, Leber, Haut. In Düsseldorf wird daraus Knorpel gewonnen. Aus Stammzellen kann man jede beliebige Zelle machen. Auch diese Perspektive erscheint nicht ganz unproblematisch. Kann man vielleicht bald einen gesamten Menschen aus einer Stammzelle züchten? „Alles, was gedacht wird, wird irgendwann auch mal gemacht“, sagt Balzer. Aber für die Realisierung solch einer Vision brauche die Biotechnik sicher noch hundert Jahre. LUTZ DEBUS