: „Realistischen Dreck reinbringen“
Wie filmt man ein Konzentrationslager? Was zeigt man, und wie zeigt man es? Ein Gespräch mit dem Kameramann Clemens Neuenfels über seine Arbeit für den Spielfilm „Die Fälscher“ und sein Konzept des „psychologischen Dokumentarismus“
Die Geldfälscherwerkstatt in einem Sonderbereich des KZ Sachsenhausen, die im Zentrum von Stefan Ruzowitzkys Film „Die Fälscher“ steht, hat tatsächlich existiert. Im Rahmen des „Unternehmens Bernhard“ wurden in den letzten Kriegsjahren in sehr großem Umfang vor allem britische Pfund gefälscht. Ruzowitzkys Film stellt den aufrechten Widerständler Adolf Burger (August Diehl) – auf dessen Erinnerungen der Film sich beruft – gegen die Hauptfigur, den gerissenen Fälscher Salomon Sorowitsch (Karl Markovics). Als Nazi mit Manager-Antlitz wird der Leiter des Unternehmens, der Obersturmbannführer Friedrich Herzog (Devid Striesow), gezeichnet.
„Die Fälscher“ war im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale zu sehen und wurde in der letzten Woche in sieben Kategorien für den Deutschen Filmpreis nominiert. Zu den Nominierten gehört auch der Kameramann Benedict Neuenfels, der vor allem durch seine Zusammenarbeit mit dem Regisseur Dominik Graf („Der Felsen“) bekannt wurde. Außerdem erhielt der inzwischen 41-Jährige 1992 den Max-Ophüls-Preis für „Die fliegenden Kinder“ und 1997 den Adolf-Grimme-Preis für den TV-Krimi „Sperling und das Loch in der Wand“. Sein avanciertes Bildkonzept ist auch der außergewöhnlichste Aspekt des Films „Die Fälscher“.
INTERVIEW EKKEHARD KNÖRER
taz: Herr Neuenfels, als Sie die Anfrage zu „Die Fälscher“ bekamen und erfahren haben, dass es um einen Film geht, der zu großen Teilen im Konzentrationslager spielt – wie war Ihre Reaktion?
Clemens Neuenfels: Ich habe ein Drehbuch bekommen, nichts weiter, und habe das gelesen und dann der Produktion und dem Regisseur Stefan Ruzowitzky einen Brief geschrieben. Ich habe versucht zu beschreiben, wie ich an so einen Stoff herangehen würde, beziehungsweise wie man es nicht machen sollte. Was ich auf keinen Fall wollte: einen wertvollen Volkshochschulfilm drehen. Aber genauso wenig einen Film wie „Schindlers Liste“, obwohl ja der Kameramann Janusz Kamiński dafür den Oscar bekommen hat. Aber einen Film, dessen Fotografie in dieser Weise nach Opulenz strebt, nach einer Größe im Bild, das alles mit dem Einsatz von eleganten Kamerabewegungen, Kranfahrten, die das Bild wichtig machen, es rahmen – wenn das der Ansatz wäre, das habe ich klargemacht, dann bin ich nicht dabei. Was mich interessierte, war eher, was ich psychologischen Dokumentarismus nennen würde. Eine modernere Form, eine Ästhetik der absichtlich entwickelten Fehlerhaftigkeit.
Das heißt, es gab gleich die Idee, sehr viel mit Handkamera zu arbeiten, die Ausleuchtung nicht perfekt zu machen?
Stefan Ruzowitzky hat mir im Gegenzug sein Papier geschickt, seine Überlegungen zum Ton, zum Bild, zur Schauspielführung – und das war im Grunde deckungsgleich. Damit war die Sache entschieden. Tatsächlich ist der Film fast vollständig mit Handkamera gedreht. In der Herstellung war es anders als normalerweise. Das hatte vor allem mit der langen Probenzeit vor Drehbeginn zu tun: Dafür haben wir uns vier Wochen Zeit genommen.
Und da haben Sie schon in den Sets geprobt?
Nein, überhaupt nicht. Im Büro, in den Babelsberg-Studios. Wir haben auch nicht gleich szenisch geprobt. Wir haben viel über die Personen, über die Zeit, über Historie gesprochen, Archivmaterial, Bücher, Bilder betrachtet. Es war wichtig, da überhaupt erst einmal einzutauchen. Am Ende dieser Probenzeit haben wir zwei Tage lang den ganzen Film im Büro durchgespielt und auf Consumer-Video aufgezeichnet. Das Konzept war zunächst: Wir gehen erst einmal nur von Sorowitsch, unserer Hauptfigur, aus. Wir sehen uns jede Szene aus seiner Perspektive an, wir gehen durch den ganzen Film und sehen, was passiert, wenn wir immer bei ihm bleiben. Dieses Videomaterial hat die Cutterin Britta Nahler vorgeschnitten. Dann haben wir auf dieser Grundlage noch einmal die Fokussierung in den Szenen neu festgelegt. Der Rest wurde dann am Set inszeniert. Wir haben geschaut, wie viel von dem, was wir bei den Proben erarbeitet haben, von den Bewegungen der Figuren, die da entwickelt wurden, können wir in den Sets in den Film übertragen?
War das ähnlich bei den Szenen in Monte Carlo, mit denen der Film beginnt?
Nein. In Monte Carlo wussten wir, was wir wollten. Da haben wir nur anderthalb Tage gedreht. Und das Casino innen, das ist natürlich überhaupt nicht in Monte Carlo, das ist nicht zu bezahlen, dort zu drehen. Wir haben die ehemaligen ÖVP-Zentrale in Wien als Kulisse benutzt. Wir haben auch in Mauthausen gedreht, aber eingeschränkt. Später mussten wir Teile der Baustruktur durch digitale Elemente komplettieren. Was den Film mit dem im deutschen Vergleich recht hohen, insgesamt aber doch moderaten Budget von etwa 5 Millionen Euro überhaupt möglich gemacht hat, war die kurze Drehzeit, die wiederum nur durch die ausführlichen Proben möglich war. Wir hatten etwa 30 Tage, aufgrund der intensiven Probenarbeit war den Schauspielern die Grundkonstellation klar. Es war eine sehr eigene, intensive Atmosphäre, wie unter einer Glasglocke, zwangsläufig sehr männerdominiert, auch weil immer etwa fünfzig Komparsen dabei waren. Wir sind alle sozusagen jeden Morgen ins KZ zur Arbeit gegangen. Bizarr!
Es gibt die eine Szene, die ästhetisch aus dem Rahmen zu fallen scheint, ich meine die Szene bei Herzogs Familie zu Hause. Da arbeiten Sie viel weniger mit Handkamera, es gibt eine Serie von Jump Cuts und Diskontinuitäten. War das so geplant?
Nein, darauf lauert man eher. Es ist eine ziemlich tolle Szene, weil sie so einen großen Spagat macht zwischen Nähe und zugleich Ferne. Aus der Sicht von Sorowitsch wäre da jede Art von aufgeregter Handkamera überflüssig gewesen. Die diskontinuierliche Erzählung, die Sprünge, das szenische Setting: Das reichte, um diesem absurden Moment die richtige Form zu verpassen. Da wussten wir, wir müssen nicht mehr draufdrücken.
Man hat dem Film vorgeworfen, dass er in der Erzählweise, in der Zuspitzung des Konflikts zwischen dem Idealisten Burger und dem Pragmatiker Sorowitsch und in der Figurenzeichnung ziemlich konventionell funktioniert. Das ergibt, finde ich, einen problematischen Kontrast, weil es nicht zu der ästhetisch avancierten Art passen will, in der die Szenen aufgelöst werden, mit der hektischen Handkamera, den schnellen Schnitten, der Betonung von Blindstellen und Unschärfen im Bild. Sehen Sie das auch so?
Ich sehe das ähnlich, finde den Spagat aber spannend. Für mich ist das ein Film, bei dem ich dem Publikum die Hand reiche. Ich hätte mir eine andere Abgründigkeit, eine gefährlichere Attacke auf den Zuschauer vorstellen können, aber das bin ich als Person, nicht als Bildgestalter. Der Film möchte natürlich durch den Stoff an sich aufrütteln, und das gelingt Ruzowitzky.
Ungewöhnlich ist auch das Licht. Oft gibt es dunkle Stellen im Bild, sehr körnige Bildoberflächen – es ging offensichtlich nicht um eine schulmäßige Ausleuchtung, die alles in gleicher Weise sichtbar erkennbar werden lässt.
Das Licht war sehr kompliziert, weil es nicht um die übliche Balance im Bild ging, die etwa ein Gesicht wohltemperiert zum Hintergrund setzt. Ich habe in einer Art und Weise geleuchtet mit Lampen, wie es sonst heute bestimmt niemand machen würde. Ich auch nicht! Ich habe versucht, eine Art realistischen Dreck reinzubringen, eine Nichtrahmung. Man muss sich da manchmal selbst in den Rücken fallen, um das Ästhetikgefühl, das jeder besitzt, zu umgehen. Das andere, auch ein Versuch, diese Ausgewogenheit zu vermeiden, war die Frage des Filmkorns, des Rauschens. Teilweise habe ich in den Szenen das Material unterschiedlich behandelt, um einen Sprung, eine Inkohärenz hineinzubekommen.
Das heißt aber auch, dass der Dokumentarismus, den Sie da anstrebten, eine ganz artifizielle, ausgeklügelte Sache ist?
Im Zugang absolut. Man muss ja trotzdem ganz und gar präzise sein. Es gibt einerseits den freieren Zugang, wie für einen Maler, der die Leinwand blau angemalt hat und dann auch mal kurz die Augen zumachen darf und dann überrascht sehen kann, was so entstanden ist. Trotzdem muss es als Ganzes stimmen. Die Handkamera und dieser Mock-Dokumentarismus, das heiligt nicht alle szenischen Mittel.
Eine andere Frage zu den Filmen über die Zeit des Nationalsozialismus allgemein. Wenn man sich die Filme der letzten Jahre ansieht, bekommt man den Eindruck, es geht stark darum: Was darf man zeigen? Wohin darf man gehen? Offenbar darf man in den Führerbunker, aber wie Hitler sich erschießt, das wird nicht gezeigt. Man darf ins Konzentrationslager, aber Bilder aus der Gaskammer bleiben tabu. Wo würden Sie – auch und gerade als Kameramann – die Grenzen dessen ziehen, was man zeigen darf?
Sehr schwierige Frage, die mich gerade auch wieder beschäftigt. Das nächste Projekt, das ich mache, ist die Verfilmung von „Anonyma“ unter der Regie von Max Färberböck, da geht es um die Vergewaltigung von Frauen 1945 in Berlin. Man muss sich immer fragen, ob man eine Chiffre oder eine Metapher für das Geschehen findet, ob die Direktheit der Abbildung „genug“ ist. Das kann ich aber nicht allgemein beantworten, da kann ich keinen Katalog aufstellen, das unterliegt in jedem Einzelfall einer moralischen Prüfung. Und jedes Element beziehungsweise die Kombination der Elemente spielt dann gerade bei diesen filigranen moralischen und historischen Fragen eine wichtige Rolle. Zunächst ist doch Historisches als solches ganz abstrakt. Was bewirken dann die Bilder? Als wir plötzlich die ganzen Farbaufnahmen von Hitler sahen, ist er uns dadurch etwa nähergerückt? Oder die Musik. Ich habe mir kürzlich den „Untergang“ noch einmal angesehen und war wirklich schockiert. Man kann den Soundtrack nehmen und unter die Bilder von „Gladiator“ legen – und es „funktioniert“. Spätestens dann sollte man merken, dass man moralisch und ästhetisch auf die falsche Spur geraten ist.