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Archiv-Artikel

Worte als Waffen und Werkzeuge

POESIEFESTIVAL Fünf AutorInnen kamen in der Akademie der Künste zum Poesiegespräch zusammen. Ihr Thema: „Die Migration im Rücken“

In Berlin fühlte sich Abbas Khider von Anfang an wohl, nur an den Begriffen „Migrant“ und „Integration“ hat er sich immer wieder gestoßen: sie klingen in seinen Ohren wie eine ansteckende Krankheit

„Eigentlich gehört sich das ja nicht mehr“, eröffnete Thomas Wohlfahrt, der Leiter des 12. Poesiefestivals in Berlin, die Veranstaltung. In einem Land, in dem 20 Prozent der Bevölkerung einen Migrationshintergrund haben, könne nicht mehr von einem Phänomen gesprochen werden. Migration war und ist eine europäische Realität. Deutschland solle doch endlich die Bereicherung erkennen und eine „Willkommenskultur“ werden, statt sich zu verschließen, so Wohlfahrt. In der Literatur und im Kulturbereich weiß man das schon länger. Werke von MigrantInnen spielen eine wichtige Rolle, weil die AutorInnen durch ihre kulturelle Differenz zwischen den Positionen des Herkunftslandes und ihrer neuen Heimat oszillieren und zu einem differenzierten Identitätsentwurf des Landes beitragen.

Die Berliner Autorin Zehra Cirak, die das Gespräch moderierte, richtete den Fokus ihrer Fragen auf die Poesie. Nicht die Fragen nach der Herkunft und Sprache sollten im Mittelpunkt stehen, sondern die Inhalte und Horizonte des Schreibens. Die fünf preisgekrönten AutorInnen auf der Bühne antworteten aber vor allem mit Betroffenheit über die politischen und sozialen Verhältnisse, die in ihren Herkunftsländern vorherrschen. Ghayath Almadhoun wurde in Syrien in einem palästinensischen Flüchtlingslager geboren und emigrierte 2008 als Staatenloser nach Schweden. In seinen auf Arabisch verfassten Gedichten gibt er vor allem Asylsuchenden eine Stimme. Jazra Khaleed kam von Tschetschenien nach Griechenland und klagt die prekären Lebensumstände der afrikanischen und asiatischen Migranten in den Athener Slums an. Er machte auf die Pflicht des Schriftstellers als Sprachrohr aufmerksam und auf die Worte als Waffe im Kampf gegen das Leid.

Fast wäre das Gespräch an diesem Abend in einem Deterritorialisierungsprozess und Opferdiskurs stecken geblieben. Erst Abbas Khider lockerte die Stimmung. Er wurde in Irak geboren und war wegen politischer Aktivitäten vom Hussein-Regime zu mehrjähriger Haft verurteilt worden. Seit 2000 lebt er in Berlin und ist froh, dass er in Deutschland die Freiheit hat, über alles zu schreiben, was er will. Freiheit sei immer eine politische Tat.

Die Gedichte verfasst Khider in arabischer Sprache, seine Prosa hingegen ausschließlich auf Deutsch. 2011 erschien der zweite Roman „Die Orangen des Präsidenten“. Sein fünfjähriger Neffe in Bagdad will nun ebenfalls Schriftsteller werden wie sein Onkel und den ganzen Tag dichtend auf dem Sofa sitzen. In Berlin fühlte sich Khider von Anfang an wohl, nur an den Begriffen „Migrant“ und „Integration“ hat er sich immer wieder gestoßen: sie klingen in seinen Ohren wie eine ansteckende Krankheit. Außerdem hätten doch in Berlin sogar die meisten Deutschen einen Migrationshintergrund, deswegen sei hier ein Leben miteinander so gut möglich und eine Zuschreibung sei obsolet.

In der anschließenden Lesung kam dann die ersehnte Poesie durch, und der Abend war weit mehr als eine stille kleine Poesielesung. Die Autoren lasen auf Arabisch, Italienisch, Griechisch und Französisch aus ihren Werken. Textfragmente über Einsamkeit unterlegte Fiston Mwanza Mujila aus der Demokratischen Republik Kongo mit Tanz und Cristina Ali Farah mit Gesang. Jazra Khaleed richtete seine Worte wie Speere gegen Griechenland, zerknüllte sein Leid zusammen mit den Texten und warf sie weit von sich. Ghayath Almadhoun und Abbas Khider ließen in ihren Vorträgen die Schönheit der arabischen Sprache erahnen. Aus Worten als Waffe wurden ästhetische Werkzeuge, die die Kraft der Poesie zu vollem Ausdruck brachten.

MARION VON ZIEGLAUER