: Die Legende vom Kintopp am Zickenplatz
Das Filmtheater Moviemento in Kreuzberg feiert seinen 100. Geburtstag und ist damit das älteste bespielte Kino der Stadt. Es begann als rabaukige Flimmerkiste in zwei Räumen mit sensationeller Spiegelprojektion, nach dem Krieg wurde es zum Cineastentreff. Jetzt versucht es einen Neubeginn
Mit einer cineastischen Revue von Charlie Chaplin bis zu Jean-Luc Godard und Wim Wenders feiert das Kino Moviemento vom 22. März an seinen 100. Geburtstag. Die Filmreihe „100 Jahre Moviemento“ erinnert dabei an die größten Highlights und Erfolge aus der Geschichte des Kinos. Dazu zählen unter anderem die legendären Titel „Der Kameramann“ mit dem wunderbaren Buster Keaton sowie „Die Gebrüder Skladanowsky“ und „Der Himmel über Berlin“ von Wim Wenders. „Casablanca“ mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergmann ist ebenso dabei wie „Berlin Alexanderplatz“, Anthony Quinn in „La Strada“ und Robert De Niros „Taxi Driver“. Auch „Zeugin der Anklage“ mit Marlene Dietrich und „Der unsichtbare Dritte“ von Alfred Hitchcock – und natürlich auch „Die Rocky Horror Picture Show“ werden gezeigt. Die Rocky Horror Picture Show hatte jahrzehntelang wöchentlich in der 24-Uhr-Vorstellung treue Fans angelockt. Außerdem ist eine Reihe „Kreuzberg im Film“ zu sehen. Dabei werden im Wesentlichen moderne Beiträge gezeigt. Darunter sind „Herr Lehmann“ von Leander Haußmann, „Die Kümmeltürkin geht“ vom Jeanine Meerapfel und Dani Levys „Du mich auch“. Der Geburtstag selbst wird am 29. März mit dem deutschen Filmklassiker „Berlin – Sinfonie einer Großstadt“ (1927) von Walter Ruttmann mit musikalischer Live-Begleitung gefeiert.
Infos: Moviemento, Tel. 692 47 85
VON ROLF LAUTENSCHLÄGER
Die Geschichte des Kreuzberger Kinos Moviemento, das vom 22. bis 29. März seinen 100. Geburtstag feiert und damit das älteste bespielte Filmtheater Berlins ist, beginnt man am besten mit dessen Legende.
In der Tradition der so genannten Ladenkinos, die zur Jahrhundertwende über Gemüseläden und Kneipen entstanden und manchmal recht deftige Unterhaltungskost anboten, richtete sich der Gastronom Alfred Topp 1907 ein Kino ein. Sein Kinematographen-Theater entstand im 1. Obergeschoss des erst zwei Jahre zuvor errichteten Wohn- und Geschäftshauses am Kottbusser Damm.
Die Anwohner nannten das Übereck-Kino zwar lange Zeit „Lichtspielhaus am Zickenplatz“. Doch der Legende nach machte der Volksmund aus dem Namen „Topps Kino“ oder „Topps Kinematographie“ jenes berühmte „Kintopp“. Der Begriff steht seither synonym für die Anfänge der Filmgeschichte, die Zeit des Stummfilms samt flimmernden Bildern, röhrende Projektoren, Slapstick und Gags, Stan und Olli, Charlie Chaplin oder Buster Keaton.
Iris Praefke und Wulf Sörgel, die neuen Betreiber des Moviemento, haben noch eine weitere Legende parat. Danach soll ein gewisser Emil Pott 1906 das Panoptikum „Kinpott“ begründet haben. Pott oder Topp – derzeit ist ihnen das egal, sind sie doch damit beschäftigt, das Filmtheater zu renovieren. Bis morgen soll dem Haus wieder etwas von dem alten Glanz zurückgegeben werden, den das Kino einst hatte. „Es lief in der letzten Zeit nicht mehr gut“, sagt Sörgel. Das soll sich ändern. „Wir wollen mit unserem Programm wieder ein Vertrauen schaffen und ein anderes und neues Publikum suchen.“
Sörgel ist ein blonder Schlacks Mitte dreißig. Er versteht etwas vom Kinobetrieb, hat er doch in der östlichen City im „Nickelodeon“ und „Lichtblick“ Programme gemacht. Und weil Sörgel weiß, wie schwer es ist, mit einem kleinen unabhängigen Filmkunsttheater an genügend Zuschauer und Geld zu kommen, ist sein Urteil über die Vorpächterin Ingrid Schwibbe freundlich-diplomatisch. Ja, in der letzten Zeit sei wohl der Wurm drin gewesen, sagt er, „es fand sich kaum noch ein Publikum.“ Auch die Atmosphäre habe zu wünschen übrig gelassen. „Als ich die Treppe im Kino hinaufstieg und die Tür zum Foyer aufmachte, war ich ein wenig erschrocken.“ Alles sei renovierungsbedürftig gewesen.
Trotzdem hätten er und seine Partnerin nicht lange gebraucht, sich für das Kino Moviemento zu entscheiden, als ihnen Anfang Februar der Betrieb angeboten wurde. Das sei – „halbe-halbe“ – eine Bauch- und Kopfentscheidung gewesen. Aber klar war auch: „Zwei bis drei Jahre werden wir brauchen, bis die Lage stabil sein wird.“ Der Entschluss stand dennoch fest: „Seither stecken wir all unsere Energie hier rein.“
Man könnte auch anders über die jüngsten Tage des Moviemento reden. In die drei kleinen Säle – 62, 67, und 103 Plätze – verirrten sich immer weniger Zuschauer. Es gab Vorstellungen, da saß man fast allein im Moviemento. Die Tapeten waren ebenso abgewetzt wie die muffigen Teppichböden, die Programme nicht mehr up to date. Neue Filmreihen, Veranstaltungen, ein eigenes Profil suchte man vergebens im Sammelsurium des gängigen Filmrepertoires.
Ingrid Schwibbe hatte das Haus seit 1984 geleitet, den Namen Moviemento eingeführt und das Kino auf drei Säle erweitert. Sie war es auch, die den späteren Erfolgsregisseur Tom Tykwer als Programmmacher und zeitweisen Kartenverkäufer einstellte und lange Filmnächte mit „Star Wars“ oder dem „Paten“ kreierte. Doch sie fand kein neues Publikum mehr. Das „Karli“, die „Passage“, das „Neue Off“, „Sputnik“ und „Rollberg“ zogen die Filmfans aus dem Quartier zwischen Kreuzberg und Neukölln mehr an. Die Marke „Moviemento“ war out, Geldnöte dagegen in. Anfang dieses Jahres gab Schwibbe auf. Der Wechsel begann.
Leicht hatte es das Kino am Kottbusser Damm wegen der starken Kreuzberger Konkurrenz nie. Das Reichskinoadressbuch von 1930 zählte 16 Kreuzberger Kinos, das benachbarte Neukölln mit seiner Filmindustrie und den vielen Sälen an der Sonnenallee war ebenfalls eine ausgewiesene Kintopp-Anschrift.
Ein Kuriosum und beliebter Unterhaltungsort bei den Berlinern bildete das Kino am Zickenplatz dennoch. Zumeist Arbeiter, Kiezbewohner, aber auch das so genannte Milieu traf sich dort, weil der Grundriss des Eckhauses bedingte, dass gleich zwei Räume in einem Winkel von 45 Grad angelegt werden konnten. Eine im Winkeleck aufgestellte transparente Leinwand ermöglichte, dass die Besucher von beiden Räumen aus den Film verfolgen konnten – die im hinteren Saal allerdings durch die Spiegelung seitenverkehrt. Nicht nur darum gab es oft Gejohle. Wenn der Mann am Klavier, so berichtet die Kreuzberger Chronik aus den 30er-Jahren, zur Begleitung der beliebten UFA-Leinwandstars schlecht spielte, wurde er manchmal fast aus dem Saal geworfen. Zum Ärger der Kinobesitzer mussten nach besonders ruppigen Veranstaltungen ganze Sitzreihen ausgetauscht werden.
Diese Spiegelprojektion überstand die Beschädigungen durch den Krieg – und alle Nameswechsel des Kinos bis in die 80er-Jahre: Auf die „Hohenstaufen-Lichtspiele“ und das „Taki“ bis 1959 folgten ab 1960 das „Tali“ und ab 1977 – als Reminiszenz an die Ursprünge des Kintopps – „Das lebende Bild“. Unverändert blieben auch die Fassade und die räumliche Struktur. Jeder musste – und muss bis heute – vorbei an der Kartenausgabe, den Schaukästen, Filmplakaten und Fotos die Treppe hinauf ins erste Obergeschoss.
Mit dem Umbau des neu getauften „Moviementos“ durch Ingrid Schwibbe und seiner Erweiterung um den dritten Saal erhielt Kreuzberg nicht nur ein besser aufgestelltes Off-Kino. Das Filmkunsttheater war auch ein Treffpunkt. Oben angekommen stand man vor der Kartenausgabe, aber auch vor ein paar Kinosesseln zum Verweilen. Meist rauschte ein Projektor im Hintergrund.
Das alles ist nach 100 Jahren Geschichte und Gegenwart zugleich. Sörgel und Praefke behalten den Namen Moviemento bei, „der ist eingeführt“. Nach einem neuen Publikum fischen sie im umliegenden Graefe-Kiez unter Studenten, Cineasten und Migranten. Rund 100.000 Euro investieren sie kurz- und mittelfristig in das Kino: in Technik und Gestaltung, Programme und Mitarbeiter. Sieben sind sie zusammen derzeit, die das Abenteuer neues Moviemento unternehmen. Sörgel hofft, dass das gestiegene Interesse des Publikums an Filmen sich fortsetzt.
„Das Kino ist wieder in“, urteilt auch Peter Dinges, Vorstand der Filmförderungsanstalt (FFA) und stützt damit die Entwicklung von 2006. In dem Jahr gingen bundesweit knapp 137 Millionen Besucher in die Kinos. 814 Millionen Euro wurden umgesetzt bei 487 Erstaufführungen – so viel wie nie. „7,4 Prozent mehr Besucher und ein Umsatzplus von 9,3 Prozent sind ein gutes Ergebnis“, so Dinges. Und: Der deutsche Film hatte mit 25,8 Prozent den höchsten Marktanteil seit Beginn der FFA-Auswertung im Jahr 1991; dazu beigetragen haben etwa Tom Tykwers Literaturverfilmung „Das Parfum“, Sönke Wortmanns Fußball-WM-Doku „Deutschland. Ein Sommermärchen“ und „7 Zwerge – Der Wald ist nicht genug“.
Sörgel hat andere als deutsche Pläne. Das Moviemento werde ein Ort für internationales Kino bleiben, auch Erstaufführungen soll das Filmkunsttheater wieder zeigen, sagt er. Zudem will das Kino mit cineastischen Reihen und besonders Filmen für Kinder und Jugendliche punkten.
Dem Geburtstag mit der symbolischen Wiedereröffnung, da gibt sich Sörgel sicher, folgt die inhaltliche Neuorientierung. Wünschen zum 100. darf man sich das.