: Sachsen gespannt auf Korruptionsakten
Justiz prüft jetzt Verfassungsschutz-Dossiers über mafiöse Netzwerke. Erpressung von Politikern nach Puffbesuchen?
DRESDEN taz ■ Im politischen Sachsen herrscht gespannte Ruhe, nachdem kurz vor Pfingsten erste brisante Akten des Verfassungsschutzes an die Staatsanwaltschaft übergeben wurden. „Integre, handverlesene Mitarbeiter“ aus dem eigenen Haus, so Justizminister Geert Mackenroth (CDU), und Experten aus anderen Bundesländern haben mit der Prüfung der mehr als 15.000 geheimen Seiten über mafiöse Netzwerke in Sachsen begonnen. Zugleich gehen Kopien an Generalbundesanwältin Monika Harms, weil auch sächsische Justizbehörden in den Korruptionsskandal verwickelt sein sollen.
Es handelt sich um Dossiers, die der Geheimdienst über Verflechtungen von organisierter Kriminalität, Prostitution, Ex-Stasi-Offizieren, Rechtsextremisten, Immobilienszene, Kommunalpolitik und Justiz sammelte. Betroffen sind vor allem die Städte Leipzig und Plauen, der Chemnitzer Raum und die Hauptstadt Dresden, wo es ebenfalls Verbindungen zur italienischen Mafia gegeben haben soll.
Über die Herausgabe des Materials, das auch Politiker und Justizbeamte belasten könnte, hatte am 16. Mai die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) des Landtages entschieden. In Sachsen war bis zu einer erfolgreichen Verfassungsklage der PDS 2005 unklar, ob der Verfassungsschutz die organisierte Kriminalität überhaupt beobachten durfte. Nach dem Trennungsgebot zwischen geheimdienstlichen und polizeilichen Befugnissen ist ihm das seither wieder verwehrt. Sachsens Datenschutzbeauftragter Andreas Schurig (SPD) hatte deshalb aus formalen Gründen zunächst die Vernichtung der Akten verlangt. Die PKK stellte jedoch das Aufklärungsinteresse in den Vordergrund und plädierte für eine Aktenauswertung durch die Strafverfolgungsbehörden. Im Lichte der sich abzeichnenden Korruptionsaffäre fordert Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) nun erneut eine Gesetzesänderung, die den Verfassungsschützern die Beobachtung solcher kriminellen Netzwerke erlauben soll.
Von einer „Staatskrise“ will Justizminister Mackenroth nicht sprechen, aber von Gefährdungen des guten Rufes. „Sachsen ist kein Sumpf“, beteuert er. Schon der erste der fünf Aktenkomplexe klingt aber brisant. Unter dem Namen „Abseits“ sind Vorgänge aus Leipzig dokumentiert, die von möglicher Erpressung von Politikern nach Besuchen in einem Kinderbordell bis hin zu wahrscheinlichen Morden und Mordversuchen wie an dem Manager der Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft reichen.
Generalstaatsanwalt Jörg Schwalm drängt auf höchste Eile bei der Überstellung des Aktenmaterials, weil in einigen Fällen Verjährung droht. Die Vorgänge sollen sich überwiegend in den 90er-Jahren abgespielt haben. Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) wird unterdessen von dem Enthüllungsjournalisten Jürgen Roth indirekt der Verschleppung der Affäre beschuldigt. Der Minister müsse über die Datensammlung des Verfassungsschutzes informiert gewesen sein, so Roth. Er hat für sein demnächst erscheinendes Buch über Korruption in Deutschland auf bislang unbekannte Weise Einsicht in Aktenteile erhalten und heizt scheibchenweise Spekulationen über den Inhalt an.
Die Linksfraktion beantragte eine Landtags-Sondersitzung, die wohl am 4. Juni stattfindet. Außerdem denken die Linken über einen Untersuchungsausschuss nach. MICHAEL BARTSCH