Werber an der Arbeitsfront

Die Informationsoffiziere der Bundeswehr sind zurück im Einsatz. Nach kurzer Zwangspause stellt die Kölner Arbeitsagentur ihre Räume wieder für Infoveranstaltungen zur Verfügung. Diese waren ausgesetzt worden, nachdem Feldjäger als Saalschutz gegen Demonstranten zum Einsatz gekommen waren. Jetzt garantiert die Polizei, dass die Botschaft ankommt

AUS KÖLN HENK RAIJER

Der Eingang zum BIZ ist gut getarnt. „Was isn los hier“, will eine Frau in kurzärmeligem T-Shirt und Dreiviertelhose wissen. Sie hat einen Termin im Berufsinformationszentrum der Kölner Arbeitsagentur und verheddert sich gerade in dem olivgrünen Tarnnetz, das ein gutes Dutzend Erwerbsloser und Antimilitaristen vor der Eingangstür aufgespannt hat. „Da drinnen ködert die Bundeswehr junge Menschen für den Kriegsdienst“, erklärt Max Hirdis, einer der Aktivisten, der ratlos dreinblickenden Frau. „Und die, was machen die da?“ fragt sie und zeigt auf fünf Demonstranten, die sich hinter einem Transparent mit Dom-Motiv und der Aufschrift: „Wir geloben zu morden, zu rauben und zu vergewaltigen“ versammelt haben. „Die haben was dagegen, dass die Bundeswehr das tut“, erläutert Hirdis. „Und die Polizei, was macht die dabei?“ Der 51-Jährige setzt seine Sonnenbrille ab, beugt sich vor und sagt mit verwegenem Grinsen: „Die ist zum Schutz der Bundeswehr hier.“

Nach mehrwöchiger Zwangspause sind die Werber wieder an der Front. Der Leiter des Kölner Arbeitsamts, Peter Welters, hatte die zweimonatlichen Informationsveranstaltungen der Truppe Anfang April ausgesetzt, nachdem Störaktionen der Initiative „Bundeswehr wegtreten“ von bewaffneten Feldjägern verhindert worden waren. Auch in Berlin, Bielefeld, Weimar, Bautzen und Görlitz sagten in den letzten Wochen die Arbeitsagenturen nach Protesten die Infoveranstaltungen der Bundeswehr ab. „Der Einsatz der Feldjäger in unserem Haus hat uns schon sehr irritiert“, sagt Wolfgang van Ooyen, Pressesprecher der Kölner Arbeitsagentur. „Inzwischen haben wir uns aber mit der Bundeswehrführung auf neue Rahmenbedingungen für die Informationsveranstaltungen in der Agentur verständigt.“ Sollte es in Zukunft zu Problemen bei der Durchführung kommen, „lösen wir die als Hausherr zusammen mit der Polizei“, erklärt van Ooyen. „Da wird dann die normale Eskalationslinie gefahren.“

Für die Kölner Arbeitsagentur ist die Präsentation der Bürger in Uniform eine Informationsveranstaltung wie jede andere auch. Ähnlich wie Polizei, Zivildienst, Finanzverwaltung oder Fachhochschulen junge Menschen regelmäßig im BIZ über Berufsmöglichkeiten informierten, stelle sich eben auch die Bundeswehr als Arbeitgeber vor. Das sehen die Aktivisten von „Bundeswehr wegtreten“ naturgemäß anders. „Der Beruf des Soldaten ist kein normaler Beruf und die Bundeswehr kein normaler Betrieb“, sagt eine Sprecherin der Initiative. „Die Bundeswehr unterschlägt bei ihrer Werbung, dass ein Soldat auf Befehl töten muss, dass er bei Auslandseinsätzen für Deutschlands Macht- und Wirtschaftsinteressen sein Leben aufs Spiel setzt.“ Es sei auffällig, dass die Bundeswehr gerade dort verstärkt rekrutiert, wo die Jugendarbeitslosigkeit am höchsten ist. „Für viele junge Erwerbslose ist es ein verlockendes Angebot, die Uniform anzuziehen, zumal gerade die unter 25-jährigen Hartz-IV-Empfänger heute nur die Wahl zwischen einem Leben bei den Eltern oder in Armut haben“, so die Sprecherin. Die Arbeitsagentur mache sich zum Erfüllungsgehilfen der Armee.

„Das ist doch Unsinn“, sagt Agentursprecher van Ooyen. „Wer behauptet, die Agentur stelle ihre Räume zur Verfügung, damit die Bundeswehr Klienten für den Dienst an der Waffe ködert, erklärt die Jugendlichen für unmündig, sich selbstbestimmt für eine berufliche Zukunft entscheiden zu können.“ Vielmehr erhielten die Berufsberater wiederholt Anfragen zu den Möglichkeiten einer Laufbahn bei der Bundeswehr. Und darauf reagiere die Agentur. „Die Infoveranstaltung der Bundeswehr zielt wie jede andere auf Jugendliche in der Berufswahlorientierung“, sagt van Ooyen. Allerdings, räumt er ein, habe gerade diese „bei uns die höchste Frequenz“.

In Raum 3 im ersten Stock des BIZ erklärt Oberleutnant Ronald Lux gerade zwei Förderschülern mit Hilfe einer aufwändigen Powerpoint-Präsentation Ausbildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten beim Arbeitgeber Bund. Der 38-jährige Marineoffizier braucht eine Weile, bis ihm dämmert, dass er, was Ausdruck und Themenspektrum angeht, einen Gang runterschalten muss. Dass die Bundeswehr weltweit im Einsatz ist und vor ein paar Tagen sogar drei deutsche Soldaten in Afghanistan zu Tode gekommen sind, ist den beiden Jugendlichen aus Erftstadt nicht geläufig. „Was gibt es denn für Ränge“, will der Junge wissen. „Was verdient man denn am Anfang“, fragt das Mädchen, das der Hauptschule körperlich schon länger entwachsen ist. „Auch ich habe unten angefangen“, holt Lux nun aus, während er sich väterlich-jovial zu den beiden an den Tisch setzt, sich zugleich aber mit der Lehrerin, die hinten im Raum sitzt, durch Blickkontakt auf die Modalitäten eines vorzeitigen Rückzugs verständigt.

Seit gut vier Jahren ist der Oberleutnant zur See Wehrdienstberatungsoffizier beim Zentrum für Nachwuchsgewinnung West beim Kreiswehrersatzamt Köln. Er mache seither die Erfahrung, dass sich aus der breiten Masse der von ihm Beratenen eine wachsende Anzahl um einen Job bei der Bundeswehr bemüht. Lux versteht das. „Ich bin seit knapp 20 Jahren dabei und habe noch keinen einzigen Tag bereut“, betont der dunkelhaarige Mann in makellos weißem Hemd. Und genau das versuche er bei Infoveranstaltungen wie der heutigen „rüberzubringen“. Ganz einfach sei die Arbeit an einem Tag wie heute, so kurz nach dem Selbstmordattentat von Kundus, selbstverständlich nicht. „Ich sage den jungen Leuten immer: Es gibt nichts, was man bei der Bundeswehr nicht machen kann“, erzählt Lux. „Aber auch: Wir bieten was, aber wir fordern auch was. Das heißt, man ist Soldat, und zu diesem Berufsbild gehören Auslandseinsätze, eine längere Trennung von Freundin und Familie sowie bestimmte Risiken eben dazu.“

„Die Infoveranstaltung zielt wie jede andere auf Jugendliche in der Berufswahlorientierung“ „Der Beruf des Soldaten ist kein normaler Beruf und die Bundeswehr kein normaler Betrieb“

Über die Risiken und Gefahren des Soldatenjobs wollen die Aktivisten von „Bundeswehr wegtreten“ jene jungen Männer und Frauen aufklären, die an diesem Tag im Viertelstundentakt das von gut zehn Polizisten geschützte Kölner BIZ verlassen. „Hat man dir da drinnen erzählt, dass die Bundeswehr dich von heute auf morgen in ein x-beliebiges Land schicken kann?“ fragt eine etwa 40-jährige Demonstrantin mit einem Bündel Broschüren in der Hand einen jungen Migranten. Ja, das habe ihm der Offizier gesagt, erwidert der schmächtige junge Mann. Allzu großen Bock habe er ohnehin nicht auf einen Job „bei dem Laden“. Aber er sei jetzt fast ein Jahr arbeitslos und habe trotz vieler Bewerbungen keinerlei Aussichten auf einen Ausbildungsplatz. „Das nervt.“ Das verstehe sie nur zu gut, sie selbst sei schon seit langem arbeitslos, sagt die Aktivistin und zieht die zweite Karte: „Hast du davon gehört, dass Vorgesetzte junge Soldatinnen und Soldaten schon mal demütigen, beleidigen und quälen, ja sogar sexuell belästigen“, will sie von dem Jungen wissen. Der murmelt verlegen etwas von „in den Nachrichten gehört, ja“ und zuckt mit den Schultern. Da packt die Frau, während der junge Deutsche türkischer Herkunft ihr höflich nickend zwei, drei Pamphlete abnimmt und Richtung U-Bahn drängt, ein letztes Argument aus: „Hast du schon gehört, dass ausländisch aussehende Soldatinnen und Soldaten als Kanaken und Nigger beschimpft werden und das Rufen von Naziparolen im Alltag der Bundeswehr nicht unüblich ist?“

Das seien bedauerliche Einzelfälle und diese Leute müssten sich schließlich verantworten, beteuert Oberleutnant Lux im Anschluss an ein Beratungsgespräch mit drei Gymnasiasten, die sich über die Bedingungen eines gebührenfreien Studiums an der Bundeswehrhochschule informieren wollten. Solche Delikte kämen immer ans Licht, nicht zuletzt durch die Presse, sagt der Angestellte aus dem Hause Befehl und Gehorsam. Dabei setzt er wieder sein joviales Lächeln auf und schiebt, plötzlich angespannt, unentwegt seine metallicfarbene Multifunktionsuhr den Unterarm rauf und runter. „Eine kritische Öffentlichkeit ist ja das Gute an der Demokratie.“

Die garantiert zwar Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit, gewährt jedoch „Bundeswehr wegtreten“ nicht automatisch das Recht, die „unverbindlichen Beratungsgespräche“ eines Oberleutnant Lux im Kölner BIZ umzufunktionieren. Zehn Polizisten passen auf, dass Transparent und Tarnnetz die Fluchtwege nicht blockieren und das gute Dutzend Demonstranten Erwerbslose nicht daran hindert, die Räume der Agentur zu betreten. Das geht nicht immer ohne deutliche Ermahnungen seitens der Polizei ab. „Hier herrscht ja ein Ton wie in der Kaserne“, beschwert sich Max Hirdis, der gebührenden Abstand zu den Rangeleien an der Tür hält. Der arbeitslose Arbeiter, der Mitte der 70er Jahre „gedient“ und sich damals nach eigenen Angaben ständig mit dem Apparat angelegt hat, tippt dem Truppführer an die Schulter und sagt feixend: „Verpassen Sie dem Kollegen mit der grimmigen Miene an der Tür doch mal ‘ne Extrastunde Deeskalationsunterricht.“